War nur so eine Idee: Land ändert nichts an Lehrer-Teilzeit
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat es vielleicht schon ahnen können. Vor knapp zwei Monaten hatten sich Gewerkschaften und Opposition bereits unisono irritiert gezeigt über seinen überraschenden Vorstoß für eine eingeschränkte Teilzeit von Lehrern. Das sei wenig durchdacht, hieß es damals. Nun verschwindet die Idee, die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit wegen des Lehrermangels zu erhöhen, wieder in der Schublade. Das Kultusministerium habe sie umfassend geprüft, sagte eine Regierungssprecherin am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. «Allerdings hat die Prüfung ergeben, dass wir dadurch lediglich 80 bis 120 Deputate gewinnen würden. Deshalb werden wir die Idee nicht weiterverfolgen.»
Getrieben vom Lehrermangel und der hohen Zahl von Flüchtlingskindern aus der Ukraine drehen Regierungschef Kretschmann und seine Kultusministerin Theresa Schopper (beide Grüne) derzeit eine ganze Menge Steine um. In einem gemeinsamen Schreiben an die Schulen gehen beide erneut auf die Lehrkräfte zu und bitten offen um deren Unterstützung. «Bitte überlegen Sie sich doch, ob Sie nicht im kommenden Schuljahr eine, zwei oder vielleicht sogar drei zusätzliche Stunden unterrichten können», heißt es unter anderem in dem Brief. «Oder ob Sie Ihren anstehenden Ruhestand noch etwas hinausschieben und uns als Pensionärin oder Pensionär unterstützen können.»
Kretschmann und Schopper argumentieren auch, eine längere Arbeitszeit könne sich beachtlich auf die Unterrichtsversorgung im Land auswirken. Unterrichte jede zweite Lehrkraft in Teilzeit eine Stunde zusätzlich pro Woche, könnten laut Schreiben im kommenden Schuljahr rund 1000 Deputate gewonnen werden. «Wir wissen, dass wir Ihnen mit unserem Aufruf einiges abverlangen», schreiben beide weiter. Das Land benötige aber in der aktuellen Krise die Unterstützung der Lehrer. Der Brief liegt der dpa vor.
Der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW), Ralf Scholl, reagierte fassungslos auf Brief und Bitte. «Wir finden es eine Ungeheuerlichkeit, dass die nach zweieinhalb Corona-Jahren völlig erschöpften Lehrkräfte gebeten, ja beinahe angebettelt werden, für die Landesregierung die Kastanien aus dem Feuer zu holen», sagte er der dpa. Der Dank an die Lehrkräfte sei nicht mehr als ein «Lippenbekenntnis». Der Verband forderte, zusätzliche Stunden müssten auch bezahlt werden. «Von dem dafür notwendige Nachtrags- oder Sonderhaushalt ist aber bislang nichts zu sehen», sagte Scholl.
Für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßte dessen Landesvorsitzender Gerhard Brand den Rückzug der Regierung. Lehrkräfte hätten sich oft aus familiären Gründen ganz bewusst für die Teilzeit entschieden und dadurch auch anteilig auf Gehalt verzichtet. «Eine erzwungene Erhöhung der Teilzeit hätte bei vielen von ihnen dazu geführt, ihren Dienst ganz niederlegen zu müssen», sagte Brand. «Dadurch wäre das Ziel der Landesregierung konterkariert worden.»
Kretschmann hatte im April erklärt, angesichts der Ankunft von Tausenden von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine brauche das Land dringend mehr Lehrkräfte. Die Regelungen bei Teilzeit seien derzeit «sehr großzügig», sodass vor allem viele Lehrerinnen relativ wenige Stunden unterrichteten. Eine Erhöhung der allgemeinen Wochenarbeitszeit von 41 Stunden für Landesbeamte werde aber nicht angestrebt.
Die GEW kritisierte am Mittwoch, die Lehrkräftebedarfsprognosen für Grundschulen und für alle Schularten der Sekundarstufe I lägen schon seit fünf Jahren vor. «Sie wurden bisher weitgehend von der Landesregierung ignoriert», sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Befristet eingestellte Lehrkräfte brauchten Einstellungszusagen für das kommende Schuljahr, um nicht über die Sommerferien arbeitslos zu sein und dem Land verloren zu gehen. Möglich sei auch eine höhere Altersermäßigung, damit weniger Lehrkräfte wegen der Belastung früher in den Ruhestand gehen müssten. Ziel der Altersermäßigung ist es, ältere Lehrkräfte zu entlasten und ihnen mehr Zeit für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts einzuräumen.
Landesbeamte haben grundsätzlich Anspruch darauf, ihre Arbeitszeit in der Teilzeit auf bis zu 50 Prozent herunterzufahren. Ein Antrag auf Teilzeit aus familiären Gründen, etwa weil ein Kind betreut oder ein Angehöriger gepflegt wird, kann nur abgelehnt werden, wenn zwingende dienstliche Gründe dem entgegenstehen. Die Untergrenze bei der Teilzeit ist seit einer Änderung unter Grün-Rot 25 Prozent - vorher waren es noch 30 Prozent. Solche Anträge werden bei Lehrkräften individuell vom jeweiligen Regierungspräsidium geprüft.
Im Südwesten gibt es gut 110.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, 52.000 arbeiten nach Angaben des Landes in Teilzeit. Vor allem in Grundschulen ist der Anteil der Lehrerinnen groß.
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