Schoppers Sorgenfalten vor neuem Schuljahr
Baden-Württembergs Schülerinnen und Schülern, sicher aber auch den Lehrkräften steht ein weiteres schwieriges Jahr bevor. «Es hat sich ehrlicherweise bei mir an den Sorgenfalten nicht sehr viel geändert», sagte Kultusministerin Theresa Schopper am heutigen Donnerstag in Stuttgart. Trotz zahlreicher Neueinstellungen seien Hunderte von Stellen noch nicht besetzt, es gebe schwer zu vermittelnde Fächerkombinationen und keine große Sympathie bei angehenden Lehrerinnen und Lehrern für die eine oder andere Region. Zudem werde sich nicht nur die Zahl der ukrainischen Flüchtlingskinder deutlich erhöhen, auch gehörten weiterhin Lehrkräfte zu den Corona-Risikogruppen, gingen in Pension oder würden im Laufe des Schuljahres schwanger.
«Die Herausforderungen werden in diesem Schuljahr leider nicht geringer ausfallen», sagte Schopper. Es seien zum neuen Schuljahr, das am Montag beginnt, mehr als 6060 Stellen zu besetzen gewesen, davon seien aber 890 noch frei. Es müssten frische Pensionäre ersetzt werden, der Bedarf durch grundsätzlich erfreuliche Elternzeiten nehme weiter zu. In den vergangenen zwölf Jahren habe das Land mehr als 50 000 junge Lehrkräfte eingestellt, rechnete Schopper vor. «Damit haben wir quasi unseren halben Personalkörper ausgetauscht.»
Problematisch sei es weiterhin, offene Stellen vor allem auf dem Land oder abseits von Ballungsräumen wie Heidelberg, Karlsruhe oder Freiburg zu besetzen, sagte Schopper. Auch der Großraum Stuttgart sei kein einfaches Terrain. Nach wie vor entschieden sich viele junge Lehrkräfte gegen eine feste Stelle in einer der unbeliebteren Regionen wie den Kreisen Rottweil oder Tuttlingen. Sie warteten stattdessen auf eine Stelle als Krankheitsvertretung oder für den Unterricht mit Flüchtlingen in einer anderen Gegend. «In Heidelberg oder in Freiburg kommen etwa 150 Bewerbungen auf eine einstellige Zahl von Stellen. In Waldshut haben wir auf etwa 50 Stellen knapp 20 Bewerbungen erhalten.»
Nach Angaben Schoppers wurden 2405 Pädagogen in benachbarte Regionen versetzt, unter anderem auch, weil ihre Stellen an Rückkehrer zurückgegeben wurden. Getrieben vom Lehrermangel und der hohen Zahl von Flüchtlingskindern aus der Ukraine hatten Regierungschef Winfried Kretschmann und Schopper im Sommer zudem an Lehrer und Schulleiter appelliert, freiwillig ihre Arbeit aufzustocken. Würde jede zweite Lehrkraft in Teilzeit eine Stunde zusätzlich pro Woche unterrichten, könnten rund 1000 Deputate gewonnen werden. Auch könne ein anstehender Ruhestand hinausgeschoben werden. «Dieser Appell hat gefruchtet», zeigte sich Schopper zufrieden. Insgesamt 2973 Lehrkräfte in Teilzeit hätten aufgestockt, das entspreche 317 Deputaten. Außerdem würden 173 Verträge entfristet. 442 Rentner erhielten zudem Verträge auf Zeit.
Allerdings sind neue Lehrkräfte auch dringend nötig, denn Schopper rechnet unter anderem mit mehr als den bislang erwarteten rund 30.000 geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. «Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an unsere Schulen kommen, noch einmal deutlich zunehmen wird», sagte die Grünen-Ministerin am Donnerstag in Stuttgart. Außerdem kämen junge Flüchtlinge aus anderen Ländern hinzu. An manchen Orten würden die Kapazitätsgrenzen an den Schulen erreicht, warnte Schopper.
Den Gewerkschaften reicht die Personalplanung bei weitem nicht aus: Statt der für den Haushalt 2023/24 angekündigten 500 zusätzlichen Lehrerstellen seien allein für den Unterricht mit den ukrainischen Kindern und Jugendlichen bis zu 2000 zusätzliche Stellen nötig, kritisierte der Philologenverband Baden-Württemberg. Die Lehrerversorgung habe sich in allen Schularten im Vergleich zum vergangenen Schuljahr noch einmal massiv verschlechtert. «Sämtliche Reserven sind bereits zum Schuljahresbeginn aktiviert», sagte der Landesvorsitzende Ralf Scholl. Auch die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein sprach von benötigten «mehreren Tausend» Stellen, um nur die größten Lücken zu stopfen.
Die SPD warf der Landesregierung vor, die Reserven für die Krankheitsvertretungen nicht ausreichend ausgebaut und zu wenige multiprofessionelle Teams an den Schulen etabliert zu haben.
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