Ministerium erklärt Pflegekammer für gescheitert
Nach einer monatelangen Prüfung hat das Sozialministerium die Errichtung einer Pflegekammer in Baden-Württemberg für gescheitert erklärt. Das sogenannte notwendige Quorum sei um knapp 3400 Stimmen verfehlt worden, teilte das Ministerium am Montag in Stuttgart mit. Die Kammer wäre nur eingerichtet worden, wenn mindestens 67.757 Pflegekräfte keine Einwände gegen die Einrichtung der Kammer erhoben hätten. Dies hätten aber bis Ende Februar nur 64.380 von rund 120.000 angeschriebenen Pflegekräfte getan.
Der Landtag hatte im vergangenen Mai den Weg für eine Pflegekammer frei gemacht. Die grün-schwarze Landesregierung hatte damals argumentiert, die Kammer könne den Pflegefachkräften eine Stimme geben und das Berufsbild schärfen.
Sozialminister Manne Lucha zeigte sich enttäuscht. «Es ist kein Geheimnis, dass ich mir die Errichtung einer Pflegekammer gewünscht hätte», sagte der Grünen-Politiker. Man habe dieser mit dem vorgeschalteten Quorum eine starke Legitimation geben wollen. «Dies ist nach dem Ergebnis des Registrierungsverfahrens leider nicht der Fall. Jetzt gilt es, dieses Ergebnis zu akzeptieren.»
Offenbar sei die Gruppe derer, die eine Pflegekammer wollen, und derer, die keine Pflegekammer wollen, im Südwesten fast gleich groß, so Lucha. «Jetzt gilt es, und das vereint alle Pflegekräfte und politischen Verantwortlichen, die berufspolitischen Fragen der Zukunft auch ohne Pflegekammer engagiert und mit größter Kraft zu bearbeiten.»
Enttäuschung über Entscheidung
Der Gründungsausschuss für die Pflegekammer zeigte sich enttäuscht: «Die Veröffentlichung des Ministers hat uns überrascht, da wir in unserem Abschlussbericht das Erreichen des Quorums dargelegt haben», sagte der Vorstandsvorsitzende Peter Bechtel. Man habe dem Ministerium Anfang April einen Dokumentationsbericht übersandt, demzufolge das Quorum nach Rechtsauffassung des Gründungsausschusses erreicht worden sei. «Es wird einmal mehr deutlich, dass von Anfang an der politische Wille für eine Kammer in Baden-Württemberg gefehlt hat», sagte Bechtel.
Das Ministerium teilte mit, man sei anders als der Gründungsausschuss zum Ergebnis gekommen, dass weniger Einwendungen als unwirksam zu werten seien. Zudem müssten zur Berechnung des Quorums noch gut 3000 Pflegefachkräfte abgezogen werden, denen das Anschreiben des Gründungsausschusses nicht habe zugestellt werden können. Der Gründungsausschuss habe dagegen die Auffassung vertreten, dass diese Fälle als Zustimmung zur Kammer zu werten seien.
Kritik am Minister
Der pflegepolitische AfD-Fraktionssprecher Bernhard Eisenhut erklärte, die Politik müsse sich der Herausforderungen in der Pflege annehmen. «Das Votum hat deutlich gezeigt, dass die Pflegekräfte an echten Lösungen und nicht an neuen Verwaltungsstrukturen interessiert sind.» Gesundheitspolitiker Florian Wahl von der SPD im Landtag teilte mit, Lucha habe die Pflegefachkräfte nie für voll genommen und sie gefragt, ob sie eine Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeitrag wirklich wollen. «Das Einzige, was er jetzt mit seinem Verhalten erreicht hat, ist die Pflege in Baden-Württemberg zu spalten. Und das in Zeiten, in denen wir danach suchen, wie wir die Pflege stärken können.»
Der Landesbezirksleiter der Gewerkschaft Verdi, Martin Gross, erklärte laut Mitteilung, ein «ausgesprochen undemokratisches Verfahren» habe doch noch einen demokratischen Ausgang gefunden. «Dieser Schritt des Ministers ist wichtig, um verlorengegangenes Vertrauen bei Zigtausenden Pflegekräften wiederherzustellen.» Jakob Becker, Verdi-Landesfachbereichsleiter Gesundheit und Soziales, sagte: «Wir reichen der Politik die Hand, um jetzt gemeinsam die Bedingungen in der Pflege zu verbessern. Wir haben dazu viele gute Vorschläge und stehen für eine konstruktive Zusammenarbeit zur Verfügung.»
Pflegekammern gibt es in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein waren sie eingerichtet worden. Allerdings wurden sie dort wieder abgeschafft, weil der Unmut über Pflichtmitgliedschaft, Zwangsbeiträge und zum Teil auch Management der Kammern in beiden Bundesländern zu groß war.
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