Klimasachverständigenrat warnt Umweltausschuss vor erheblicher Verfehlung der Klimaziele
Stuttgart. Der Ausschuss für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft hat sich in seiner Sitzung am Donnerstag, 15. Mai 2025, mit dem mündlichen Bericht des Klimasachverständigenrates befasst. Das Gremium wurde über aktuelle Bewertungen und Empfehlungen zur Klimapolitik in Baden-Württemberg informiert, wie der Ausschussvorsitzende Daniel Karrais (FDP/DVP) mitteilte. „Hier gibt es ja durchaus Uneinigkeit, was eine Zielverfehlung ist und was nicht. Die konkreten Maßnahmen, die vom Sachverständigenrat vorgeschlagen werden, interessieren uns“, sagte Karrais zu Beginn.
Wie Karrais berichtete, weise der Klimaschutz- und Projektionsbericht den Experten des Klimasachverständigenrates zufolge auf eine drohende erhebliche Zielverfehlung hin. Für das Jahr 2030 werde eine Überschreitung um 6,07 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente prognostiziert – das entspreche einer Abweichung von 17 Prozent gegenüber den gesetzten Zielwerten. Der Klimasachverständigenrat habe deshalb die Vorlage eines Klimaschutzsofortprogramms durch die Landesregierung sowie die Bereitstellung entsprechender Mittel aus dem Doppelhaushalt 2025/2026 gefordert. Von politischer Seite aus sei derzeit Uneinigkeit festzustellen, ob eine „erhebliche Zielverfehlung“ vorliege oder nicht, so Karrais. Insbesondere Vertreter der CDU äußerten sich skeptisch, während die Grünen eine Zielverfehlung als gegeben ansahen.
FDP/DVP sowie AfD hätten die Prognosen übereinstimmend als klare Zielverfehlung bewertet. Die FDP/DVP zog die Handlungsmöglichkeiten der Landesregierung in Zweifel, da diese die notwendige Gesetzgebungskompetenz gar nicht habe. Ferner wurde der Regierung vorgeworfen ein Gesetz gemacht zu haben, bei dem die Definition der Zielverfehlung gar nicht gegeben sei. Der Klimasachverständigenrat zeigte auf, dass ein Erreichen der Ziele nur mit dem Setzen von Rahmenbedingungen erreichbar sei. Die AfD habe jedoch grundsätzlich infrage gestellt, dass der Klimawandel gestoppt werden könne und dem Ministerium mangelnde Technologieoffenheit vorgeworfen. Die Grünen hätten sich klar für ein Klimaschutzsofortprogramm ausgesprochen – mit Verweis auf den Schutz der Bevölkerung vor Hitze, Hochwasser und wirtschaftlichen Schäden. Die CDU zog in der Debatte die vorgezogenen Klimaziele gegenüber dem Bund und der EU in Zweifel. Durch die europäische Regulierung sei der Klimaeffekt überschaubar, da die Preissignale auf andere EU-Länder geringer ausfallen würden, wenn Deutschland vorher klimaneutral sei. Es wäre besser gewesen, so ein CDU-Abgeordneter, wenn man auf EU-Ebene für ein Ziel 2045 statt 2050 gesorgt hätte, statt einen nationalen Alleingang zu begehen. Das Umweltministerium habe die drohende erhebliche Zielverfehlung, nicht nur innerhalb des Landes, in der Sitzung bestätigt. Man arbeite laut Ministerium dort, wo das Land Verantwortung trage, an Lösungen. Ziel sei es, die Lücke schrittweise zu schließen. Eine gemeinsame Stellungnahme zum Bericht sei geplant, allerdings fehle aktuell eine abgestimmte Position innerhalb der Landesregierung.
In nahezu allen untersuchten Bereichen seien Karrais zufolge verfehlte Ziele prognostiziert worden. Der Verkehrssektor sei laut der Vorsitzenden des Klimasachverständigenrats, Maike Schmidt, das größte Problemfeld. So sei eine Überschreitung von 4,63 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten und damit einer Überschreitung der Zielwerte von 50,6 Prozent zu befürchten. Um dem gegenzusteuern, schlugen die Mitglieder des Klimasachverständigenrates vor, die Elektromobilität und die damit verbundene Ladeinfrastruktur konsequent auszubauen. Zudem sei ein konsequenter Umstieg auf den ÖPNV und der Ausbau von dessen Infrastruktur und Kapazitäten notwendig. Auch die Radinfrastruktur müsse konsequent ausgebaut werden. Die Experten hätten erklärt, dass eine Trendumkehr noch möglich sei. Die aufgeführten Maßnahmen und eine nachhaltige Mobilitätskultur müssten dafür jedoch konsequent umgesetzt werden. Mit schnellen Erfolgen sei jedoch nicht zu rechnen, da es sich um langfristige Umstrukturierungsprozesse handele.
Im Bereich der Energiewirtschaft werde der Zielwert um 1,26 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente und damit um 25 Prozent überschritten. Im Bereich der Industrie sei eine Überschreitung von 6,2 Prozent zu erwarten. Eine klimaneutrale Produktion sehe der Sachverständigenrat als Wettbewerbsvorteil, den die Industrie nutzen müsse. Zu den von ihren vorgeschlagenen Maßnahmen zählten der Netz- und Speicherausbau von erneuerbarem Strom und eine stringente Entwicklung und Umsetzung eines Carbon- Managements. Zudem sei die Sicherung eines zeitnahen Zugangs zu Wasserstoff ein notwendiger Schritt, um die Klimaziele erreichen zu können. Dafür sei unter anderem die Förderung von Wasserstoff-Hubs notwendig. Das Ministerium habe erklärt, die notwendigen politischen Rahmenbedingungen schaffen zu wollen, um den Wasserstoffhochlauf zu ermöglichen, so Karrais.
Die Landwirtschaft verfehle ihr Ziel dem Bericht nach um 0,57 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente und liege damit bei einer Überschreitung der Zielwerte von 15,2 Prozent. Ein Ansatz sei hier unter anderem, Lebensmittelverluste zu reduzieren und auf die Stärkung einer pflanzenbasierten Ernährung zu setzen. Ein weiterer Vorschlag sei eine umweltorientierte Reform der Mehrwertsteuer gewesen. So sei empfohlen worden, diese für Fleisch und Fleischprodukte von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen.
Im Bereich der Gebäude werde derzeit eine Übererfüllung der Ergebnisse um 5,2 Prozent mit 0,56 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten angegeben. Die Experten hätten in der Sitzung jedoch Zweifel am Eintreten dieser Projektionen gezeigt, da sie die Einschätzungen für zu optimistisch hielten. Man müsse jetzt mit langfristigen Investitionen die Weichen für die Zukunft stellen. Zudem brauche es eine Entbürokratisierung und Beschleunigung der Modernisierungsmaßnahmen und des Infrastrukturausbaus, u.a. durch den „Sanierungssprint“-Ansatz und Maßnahmen wie EE-fit, um Gebäude auf den Heizungstausch vorzubereiten.
Auch beim Sektor LULUCF hätten sich die Experten wenig optimistisch gezeigt. Dem Bericht zufolge sei mit einer Verfehlung um 1,83 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten und somit einer Unterschreitung der Senkenleistung um 41,6 Prozent zu rechnen. Von Seiten der Experten werde jedoch befürchtet, dass die Senkenleistung bis 2023 durch den Klimawandel komplett wegfallen könnte. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse würden gar darauf hindeuten, dass Wälder bis dahin gar zu einer Treibhausgasquelle werden könnten. Dies hätte gravierende Auswirkungen auf die Klimaziele. Folglich müsse man einen klimaresilienten Umbau der Wälder stärken.
Schmidt habe Sorge über das schwindende öffentliche Interesse am Klimaschutz geäußert. Sie habe zudem Aussagen der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, wonach Klimaschutz „überbetont“ sei, als gefährlich kritisiert. Sie fordere ein ernsthaftes Engagement der Landesregierung im Klimaschutz, auch zur wirtschaftlichen Zukunftssicherung.
Zum Abschluss bedankte sich Karrais beim Klimasachverständigenrat für die klaren Aussagen. „Zusammenfassend zeigt sich, dass die Möglichkeiten des Landes in den Rahmenbedingungen liegen. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, an der Beschleunigung von Genehmigungsprozessen zu arbeiten, um Innovation und Fortschritt in Richtung Klimaneutralität zu ermöglichen“, sagte Karrais abschließend. Er gab zudem bekannt, dass Hans-Peter Behrens (Grüne) zum neuen stellvertretenden Ausschussvorsitzenden gewählt wurde. Behrens folgt auf Alexander Schoch (Grüne), der zum 31. März 2025 sein Mandat niedergelegt hatte.