Präsidentin Aras: Wir müssen uns gegen Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit stellen

Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Montag, 27. Januar 2025, dem 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, mit einer zentralen Gedenkfeier der Ermordung und des Leids von Millionen von Menschen unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gedacht. Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) rief die Bürgerinnen und Bürger angesichts des Erstarkens rechtsextremer Kräfte dazu auf, sich entschieden gegen Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit zu stellen.

„Das Grauen, das sich der Welt am 27. Januar 1945 offenbarte, ist zum Inbegriff geworden für das Menschheitsverbrechen des Holocaust“, erklärte Landtagspräsidentin Aras in ihrer Gedenkrede. Mehr denn je gelte es heute, „den Weg des Erinnerns immer wieder zu beschreiten, sonst wuchert er zu“. Es gehe darum zu begreifen, „wozu Menschen fähig sind, wenn man dem Hass und der Herzlosigkeit nicht Einhalt gebietet“. Mit Blick auf das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte in Deutschland, Europa und weltweit sagte die Landtagspräsidentin: „Viele von uns spüren, dass wieder etwas ins Rutschen gerät. Aras zitierte in diesem Zusammenhang den israelischen Holocaustforscher Yehuda Bauer: „Es ist nicht 1933. Aber die Gefahr ist da.“ Die Landtagspräsidentin rief dazu auf, nicht zuzuschauen, „wie die Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit weiter einsickert in unsere Gesellschaft“. 
 

Die Gedenkfeier fand im Beisein von Vertretern aller Fraktionen statt, darunter die Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz (Grüne), Andreas Stoch (SPD) und Anton Baron (AfD), der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dr. Timm Kern (FDP/DVP), der Abgeordnete Arnulf von Eyb (CDU) und Landtagsvizepräsident Daniel Born (SPD). Die Landesregierung war durch Petra Olschowski (Grüne) vertreten, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Zu den Gästen zählten zudem Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens und des konsularischen Korps. Auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler waren anwesend.  
 

Eine Besonderheit der zentralen Gedenkfeier des Landtags ist, dass sie von den Verbänden der Opfergruppen mit vorbereitet wird. Stellvertretend für alle Opferverbände sprach Michael Kashi, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, ein Grußwort. Jugendliche aus der Stadtgesellschaft trugen in einem Beitrag des Vereins Weissenburg Zeitzeugenberichte aus der Zeit des Nationalsozialismus vor. An Infoständen im Foyer des Landtags war eine Begegnung mit Opfergruppen möglich. 
 

Prof. Dr. Martin Sabrow, Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes „Wert der Vergangenheit“, zeichnete in einem Vortrag Entstehung und Wirkung der Gedenkkultur in Deutschland nach. Aktuell sei das Gedenken von einer Trivialisierung bedroht, die durch das Verschwinden der letzten Zeitzeugen des Holocaust beschleunigt werde. Das Gedenken verliere dadurch an Lebendigkeit. Zugleich griffen Rechtspopulisten die Gedenkkultur frontal an, wenn etwa behauptet werde, die Nazi-Herrschaft sei nur ein „Vogelschiss in der Geschichte“. Es bleibe der „Auftrag aller historischen Wissensvermittlung, gegen die groteske Verzerrung gesicherter geschichtlicher Erkenntnisse anzugehen“, so Sabrow. 
 

Der Gedenkfeier ging ein stilles Gedenken voraus. Dabei legten unter anderem Vertreterinnen und Vertreter des Landes und von Opferorganisationen beim Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft (zwischen Altem Schloss und Karlsplatz in Stuttgart) Kränze und Gestecke nieder.
 

Der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 ist seit 1996 in Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Am 80. Jahrestag war die zentrale Gedenkfeier des Landtags dem Gedenken in der Bundesrepublik selbst gewidmet. „Wir wollen nicht nur an alle Opfergruppen erinnern, sondern auch zurückblicken auf den beschrittenen, oft beschwerlichen Weg hin zu einer bundesweiten Erinnerungskultur. Wir wollen aber auch vorausschauen auf den vor uns liegenden Weg des Erinnerns. Denn angesichts wachsender Geschichtsvergessenheit und des Erstarkens von Menschenfeinden stehen wir womöglich erneut am Scheideweg der Demokratie. Ein Erinnern, das uns leitet, ist somit wichtiger denn je“, so die Landtagspräsidentin.

Die Rede der Landtagspräsidentin zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus finden Sie hier(externer Link).