20 Jahre Dauerausstellung „Spurensicherung – Jüdisches Leben in Hohenzollern“

[Begrüßung]
20 Jahre „Spurensicherung“, was für ein genialer Name für eine Gedenk-Ausstellung! Denn, in der Tat, geht diese Ausstellung einerseits einem Verbrechen nach, dem Menschheitsverbrechen der Shoah. Die Fundstücke sind Beweisstücke. Sie legen dar, sie führen vor Augen, wie die Nationalsozialisten das jüdische Leben in Hohenzollern auslöschten. Nicht zuletzt ist auch dieser Ort hier ein Tatort gewesen. Spurensicherung bedeutet aber auch behutsames Bewahren, vorsichtiges Freilegen, dokumentieren, wie es wirklich war. Und ich finde, das ist ein sehr eindrückliches Bild für Gedenkarbeit. Denn auch Gedenkarbeit erfordert, ähnlich der polizeilichen Ermittlung, Sorgfalt und Genauigkeit, womöglich sogar Spürsinn bei der Spuren-Suche. Der Unterschied zur Polizeiarbeit ist der, es steht außer Frage, wer die Täter waren. Vielmehr geht es im Gedenken darum, wer die Opfer waren, wie sie lebten, wie sie glaubten und wie sie hier verwurzelt waren. Diese Art von Spurensicherung begrenzt sich nicht auf das Verbrechen, weder räumlich noch zeitlich. Sie reicht stattdessen bis ins 14. Jahrhundert zurück, zu den ersten Nachweisen jüdischen Lebens in Hohenzollern. Und sie dokumentiert auch das Geschehen nach der Tat, nach der Verfolgung, nach der Vertreibung und nach der Vernichtung.
Treffend heißt es auf der Homepage der Ausstellung: „Die Suche führt in alle Welt – und sie ist noch lange nicht zu Ende“. Und deshalb ist die „Spurensicherung“ der Ehemaligen Synagoge Haigerloch nicht nur ein großartiger Titel, sie ist schlichtweg ein großartiges Projekt, und dafür danke ich allen Beteiligten von Herzen! Vielen Dank an das Haus der Geschichte für diese wirklich gelungene Konzeption und Kuration, für die wissenschaftliche Begleitung und Bestärkung! Vor allem aber, ein besonderer Dank an den Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Haigerloch. Mit Ihrem Engagement füllen Sie dieses Begegnungs- und Ausstellungszentrum vor Ort mit Leben, Sie vergegenwärtigen die Vergangenheit und
leisten damit einen entscheidenden Beitrag gegen das Vergessen. Deshalb, lieber Herr Opferkuch, liebe Frau Schumayer, Ihnen als Vorsitzende sowie allen Vereinsmitgliedern gilt große Anerkennung! Es ist wunderbar zu sehen, was Sie alle aus diesem Ort gemacht haben,
wie Sie ihm zu früherer Würde verholfen haben. Auch jener Spur können die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung nachgehen. Wie das einstige Gebetshaus nicht nur durch die SA verwüstet wurde, sondern wie es auch, viele Jahre nach der NS-Zeit, entweiht worden war als Kino und sogar als Supermarkt. Diese schamlose Nutzung, diese Verschüttung des jüdischen Lebens, gewissermaßen das Verwischen der Spur, das mit in die Gedenkarbeit einzubeziehen, macht die Ausstellung buchstäblich noch vielschichtiger. Und es verdeutlicht, wie viel Arbeit darin steckt, das Vergangene freizulegen, etwa die Tora-Wand oder das Lesepult, auf dem die Tora einst verlesen wurde. Dieser Ort ist zum würdevollen Gedenkort geworden, das ist Ihre großartige Leistung. Und es ist eine unfassbar schöne Entwicklung, dass dort, wo ein Kino die Synagoge vergessen machte, heute Filme gegen das Vergessen zu sehen sind.
Meine Damen und Herren, das 20-Jährige Jubiläum dieser Dauerausstellung fällt in ein weiteres Jubiläumsjahr. Unser Grundgesetz, unsere Bundesrepublik, unsere Demokratie gibt es nun 75 Jahre, ein Menschenleben lang. Auch hier gilt es immer wieder zu erinnern, zu erinnern daran, vor welchem Hintergrund das Grundgesetz entstand. Es war die Antwort auf die Grauen der NS-Zeit. Viele Mitglieder des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz verfasste, waren selbst ihrer Menschenwürde beraubt worden, gehörten selbst zu den Verfolgten. Auch in ihren Spuren wandeln wir.
Dass das Grundgesetz seine Wirkung entfalten konnte, dass wir Teil eines vereinten Europas geworden sind, dass wir heute in einer der stärksten Demokratien der Welt leben dürfen,
all das ist auch der Gedenkarbeit und Erinnerungskultur zu verdanken. Auch, wenn ehemalige NSDAP-Funktionäre noch lange Machtpositionen innehatten, auch, wenn es bis heute elendige Schlussstrich-Debatten gegen das Erinnern gibt, auch, wenn den Gedenkstätten selbst leider viele Jahre Steine in den Weg gelegt wurden. Es gehört inzwischen zu unserem Selbstverständnis als Bundesrepublik, zu erinnern, Demokratie und Gedenkkultur gehören zusammen. Und keine dieser Errungenschaften kann ohne die jeweils andere bestehen. Dass die Würde des Menschen am Anfang unserer Verfassung steht, als Grundstein unserer Demokratie, im Mittelpunkt unseres Miteinanders, das ist das Resultat aus unserer Vergangenheit. Darin liegt aber auch unser Versprechen für die Zukunft seither, und dieses Versprechen lautet: „Nie wieder“! Nie wieder sollten Jüdinnen und Juden Angst in diesem Land haben. Nie wieder sollten Menschenfeinde an die Macht kommen und unsere Demokratie aushöhlen. Und zu den größten Erfolgen dieses Landes gehört, dass viele Jüdinnen und Juden aufgrund dieses Versprechens zurückgekehrt sind und sich hier wieder beheimatet fühlten. Das Urversprechen unserer Demokratie ist aber leider gefährdet wie nie, Jüdinnen und Juden haben wieder Angst. Seit Jahren nehmen antisemitische Hassverbrechen zu. Und seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und den dadurch verursachten Krieg
tritt der Antisemitismus auch hierzulande immer unverhohlener zu Tage.
Deutsche Jüdinnen und Juden werden angefeindet und bedroht. Viele trauen sich nicht mehr,
die Kippa zu tragen, vor die Haustür zu gehen. Wohnhäuser werden mit Hakenkreuzen beschmiert. Das ist eine ungeheure Schande für unser Land. Und ich erwarte nicht nur von der Politik und von den Gedenkvereinen, sondern von der gesamten Gesellschaft, unmissverständlich die Botschaft zu senden. Für Antisemitismus, für jegliche Form von Menschenfeindlichkeit ist in unserer Demokratie kein Platz, nicht einen Millimeter! Jüdinnen und Juden gehören zur Vielfalt dieses Landes, sie gehören seit 1700 Jahren dazu, sie sind ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft und wer sie angreift, greift uns alle an! Dieses Zeichen erwarte ich!
Aber, meine Damen und Herren, dafür müssen wir auch den zweiten Teil unseres Versprechens einhalten, dass Menschenfeinde, Freiheitsfeinde, Gleichheitsfeinde nie wieder hier an die Macht kommen dürfen! Eine von den Sicherheitsbehörden als teils gesichert rechtsextrem eingestufte Partei ist bei den jüngsten Wahlen zweitstärkste Kraft geworden,
in einigen Bundesländern sogar stärkste Kraft. Der Menschen- und Verfassungsfeind Björn Höcke könnte bald ein Bundesland regieren. Jener Björn Höcke, der SA-Parolen benutzt und
eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, was nichts weniger ist als eine
demokratische Geisterfahrt. Dass seine Partei von „Remigration“ spricht und Deportation meint,
hat viele Menschen zurecht an die NS-Zeit erinnert und aufgerüttelt. Die Proteste von Millionen von Menschen beweisen, dass unsere Gedenkkultur auch ein Warnsystem ist. Deshalb bedrohen die Demokratiefeinde auch unsere Gedenkkultur. Gedenkstättenvereine sorgen sich insbesondere in den besagten Bundesländern vor Kürzung und Zensur, sollten die Rechtsextremen dort an die Macht kommen. Und nicht zuletzt werden viele Mitarbeitende in Gedenkstätten von Rechtsextremen beschimpft und bedroht. Das ist absolut inakzeptabel und ein Fall für die volle Härte des Rechtsstaates! Aber auch hier ist es nicht nur die Aufgabe des Staates, sondern aller Demokratinnen und Demokraten, Haltung zu zeigen, dagegenzustehen, und unsere Demokratie zu verteidigen!
Für den Landtag von Baden-Württemberg kann ich versichern, bei allen Streitpunkten und Differenzen, die es gibt, was die Gedenkstättenarbeit angeht, haben Sie die absolute und geschlossene Rückendeckung der Fraktionen FDP/DVP, SPD, CDU und Grüne! In den letzten Jahren haben wir die Mittel der Gedenkstättenförderung des Landes kontinuierlich vervielfacht. Im aktuellen Doppelhaushalt hat der Landtag insbesondere die Unterstützung für die kleinen und mittleren Gedenkstätten und -initiativen verstärkt. Der Landtag und ich wissen aber auch, dass der Bedarf größer ist. Ich kann Ihnen versichern, dass die große Mehrheit des Parlaments daran arbeitet, hier weiter Fortschritte zu erzielen, was ich außerordentlich unterstütze,
denn, wir brauchen das Gedenken mit jedem Jahr mehr. Bewahren wir also gemeinsam unser kollektives Gedächtnis, bewahren wir die Gedenkkultur, bewahren wir unsere Demokratie. Das,
meine Damen und Herren, ist die einzig richtige Spur!