Landtagspräsidentin Aras auf Gedenkstättenreise 2023
Vor 90 Jahren begann mit der Machtübertragung an Adolf Hitler die Zerstörung der Demokratie. Der 30. Januar 1933 markiert mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler den Beginn der NS-Diktatur, die Terror, Verfolgung und Vernichtung nach sich ziehen sollte. Die diesjährige Gedenkstättenreise von Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die am 12. und 13. Juli 2023 stattfindet, steht im Zeichen des Gedenkens an die Opfer und den Widerstand gegen diese Diktatur.
„Die vielen Gedenkorte in Baden-Württemberg erinnern uns nicht nur an historische Ereignisse. Sie erinnern uns, dass unsere Grundwerte eine Antwort sind: auf Unrecht, auf Hass, auf Unmenschlichkeit“, ist Landtagspräsidentin Muhterem Aras überzeugt. „Gedenkorte mahnen uns, für diese Grundwerte auch einzustehen.“ Bei ihren Gedenkstättenreisen sucht die Landtagspräsidentin den Austausch mit Ehrenamtlichen, die sich an unterschiedlichen Gedenkorten in Baden-Württemberg für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen einsetzen. Die Landtagspräsidentin möchte sich über aktuelle Themen der Gedenkstättenarbeit informieren und die oft ehrenamtliche Arbeit der Menschen würdigen, die eine lebendige Erinnerungskultur pflegen, um Demokratie und Grundwerte auch heutzutage zu wahren und zu verteidigen.
Zum Start am 12. Juli 2023 steht der Besuch der Ausstellung „Vor 90 Jahren – Generalstreik in Mössingen“ in der Kulturscheune Mössingen an. Die Ausstellung beleuchtet den 31. Januar 1933 in Mössingen. An diesem Tag sind in dem gut 4.000 Einwohner zählenden Ort im Steinlachtal 800 Personen auf die Straße gegangen, um gegen die Machtübernahme Hitlers zu protestieren. Die drei großen Fabriken des Ortes sollten bestreikt werden. Der Streikaufruf war reichsweit erfolgt, aber eine vergleichbare Aktion ist von nirgendwo bekannt. Das Mössinger Geschehen blieb isoliert und wurde am Nachmittag durch Reutlinger Polizei aufgelöst. 80 Teilnehmer waren zu Haftstrafen verurteilt worden. Die Ausstellung zeigt Vorgeschichte, Ereignisse und Folgen des 31. Januar 1933 und gibt auch Antworten auf die Frage: Warum kam es gerade in Mössingen zu einer Aktion?
Zweite Station ist das Rathaus Mössingen. Dort informiert ein kompakter Erinnerungskubus über die örtlichen Ereignisse des 31. Januar 1933. Warum kam es gerade in Mössingen zu einem Streik? Welche Konsequenzen mussten die Beteiligten tragen? Und wie ging man nach 1945 mit dem Thema des linken Widerstands um?
Am Abend lädt die Stadt Mössingen zu einer öffentlichen Veranstaltung in die Quenstedt-Aula ein. Dabei stellen Tübinger Jugendguides ihre Qualifizierung und Stationen auf den Spuren des Generalstreiks vor. „Geschichte kann lebendig erzählt werden“, betonen sie. „Es sind nicht nur Opfer, es sind Schicksale, über die wir berichten. Dabei ist uns Faktenbasiertheit besonders wichtig.“ In einem illustrierten Podiumsgespräch diskutieren der Tübinger Kreisarchivar Wolfgang Sannwald, Ines Mayer von der KZ-Gedenkstätte Bisingen und die Mössinger Museumsleiterin Franziska Blum über die Frage wie die Erinnerung an die NS-Zeit zukünftig gestaltet werden kann. „Besonders berührt hat mich bei diesem Termin auch die Begegnung mit Rosemarie Vogt, einer direkten Nachfahrin von Teilnehmenden des Generalstreiks in Mössingen 1933, die mir sehr persönlich die Geschichte ihrer Familie geschildert hat“, so die Landtagspräsidentin.
Der Donnerstag, 13. Juli, beginnt wieder in Mössingen, in der Forschungs- und Archivstelle Artur und Felix Löwenstein. Der Löwenstein-Forschungsverein e. V. (gegr. 2007) erforscht die Geschichte des Textilunternehmens „Pausa“ in Mössingen, das im Jahr 1919 von den Brüdern Artur und Felix Löwenstein gegründet wurde. Die „Löwenstein’sche Pausa“ arbeitete seit 1921 mit dem „Bauhaus“ zusammen. 1936 wurde das jüdische Unternehmen von Nationalsozialisten enteignet und ihre Besitzer vertrieben. 73 Jahre danach kamen auf Initiative des Vereins erstmalig Nachkommen der Firmengründer nach Mössingen. Der Verein hat 2019 zum 100. Gründungstag zusammen mit den Nachkommen und mit Unterstützung der Stadt Mössingen und des Landkreises Tübingen die „Forschungs- und Archivstelle Artur und Felix Löwenstein“ ins Leben gerufen.
Weiter geht es in der ehemaligen Synagoge und auf dem Jüdischen Friedhof in Rexingen. In Rexingen ist das Zusammenleben von Christen und Juden ab 1516 be¬zeugt. Die Synagoge wurde 1837 eingeweiht. Von den knapp 1.000 Einwoh-nerinnen und Einwohnern war 1933 etwa ein Drittel jüdisch. 41 Rexinger Männer, Frauen und Kinder schlossen sich 1938 einer im Deutschen Reich einzigartigen Gruppenauswanderung nach Palästina an. Sie gründeten im britischen Mandatsgebiet die Siedlung Shavei Zion. Am 9. November 1938 wurde die Synagoge Rexingen geschändet. Über 120 Personen wurden deportiert, nur drei überlebten. 1952 richtete die evangelische Pfarrgemeinde Horb-Dettingen eine Kirche in dem Gebäude ein. Seit 1997 kümmert sich der Rexinger Synagogenverein um den Erhalt der Gedenkstätte. Eine Ausstellung erzählt die Geschichte der Entstehung von Shavei Zion.
Der Jüdische Friedhof Rexingen wurde 1760 angelegt. Er gehört mit zu den größten jüdischen Friedhöfen in Baden-Württemberg und umfasst mehr als 1.100 Gräber.
Die KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen, nächste Station auf der Gedenkstättenreise, erinnert an die Geschichte des Nachtjägerflugplatzes, der sich von 1938 bis 1945 auf der heutigen Gemarkung von Tailfingen und Hailfingen befand. Er wurde u. a. von 601 jüdischen Häftlingen, die im KZ-Außen¬lager Hailfingen/Tailfingen einquartiert waren, unter härtesten Bedingungen ausgebaut und instandgehalten. Mitglieder des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ haben sich dafür eingesetzt, dass die lange verborgene Geschichte des Lagers rekonstruiert und dokumentiert wird. Im Juni 2010 konnte die von der Gemeinde Gäufelden finanzierte Gedenkstätte eröffnet werden, die den Hailfinger Häftlingen gewidmet ist. Große Fototafeln sowie elf Monitore mit 124 Zeitzeugeninterviews ermöglichen die Auseinandersetzung mit den Lebensumständen der Häftlinge sowie der Wahrnehmung dieses Außenlagers des KZ Natzweiler vor Ort.
Den Abschluss der Gedenkstättenreise bildet der Besuch am Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen in Rottenburg am Neckar-Hailfingen. Das Mahnmal am westlichen Ende der ehemaligen Startbahn des Nachtjägerflughafens Hailfingen erinnert seit Juni 2010 an die 601 KZ-Häftlinge, die im Winter 1944/45 die Piste instandhalten mussten. Das Monument hält ihre Namen fest. Es wurde von dem Ellwanger Künstler Rudolf Kurz aus Aluminium, dem Material des Flugzeugsbaus, und aus Beton geschaffen und von der Stadt Rottenburg finanziert. Die letzten Spuren des Flugplatzes sind seit 2007 auf der Gemarkung Gäufelden und seit 2008 auch auf der Gemarkung Hailfingen als archäologisches Bodendenkmal ausgewiesen. Ein Gedenkpfad führt entlang dieser Spuren, vorbei an zwölf Stationen mit Informationstafeln und einem Audioguide. Auf dem Tailfinger Friedhof liegen 75 Häftlinge des KZ-Außenlagers begraben, ihre Namen konnten ihnen wiedergegeben werden.