55-jähriges Bestehen
Präsident Straub: Landesverfassung ist Ausdruck unserer EigenstaatlichkeitStuttgart. An das 55-jährige Bestehen der Verfassung des Landes Baden-Württemberg hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) zu Beginn der Plenarsitzung am Mittwoch, 5. November 2008, erinnert. Die Landesverfassung sei Ausdruck unserer Eigenstaatlichkeit, betonte der Präsident. Mehr Finanzautonomie und mehr fiskalische Klarheit im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, wie sie die Föderalismusreform II anstrebe, bedeuteten für den Südweststaat einen Rückgewinn an politischem Gestaltungsspielraum. Im Einzelnen führte Straub aus: >>55 gehört nicht zu den ganz markanten Zahlen. Trotzdem sollten wir heute einen Moment innehalten und fünfeinhalb Jahrzehnte zurückblicken. Denn am 19. November 1953 ist unsere Landesverfassung in Kraft getreten, nachdem sie am 11. November von der Verfassunggebenden Landesversammlung mit überwältigender Mehrheit besiegelt worden war. Damit wurde nicht nur die Gründung des Landes Baden-Württemberg staatsrechtlich vollendet. Auch die innere Selbstfindung des neuen Gemeinwesens hatte spürbare Fortschritte gemacht. Das war umso bemerkenswerter, als die ersten Verfassungsentwürfe der Regierung und der zunächst oppositionellen CDU anfangs kaum vereinbar schienen. Nach Bildung einer breit angelegten Koalition unter Ministerpräsident Gebhard Müller gelang es jedoch, in konstruktiven Debatten tragfähige Kompromisse zu erarbeiten und überzeugend Einheit zu stiften. Die intensive Auseinandersetzung um die Fusion der drei südwestdeutschen Nachkriegsländer prägte nicht mehr allein das politische Klima. Der manifest gewordene Grundkonsens förderte das Überwinden alter Vorbehalte. Unsere nicht verblassende Hochachtung gilt den 121 Mitgliedern der Verfassunggebenden Landesversammlung. Neben dem erwähnten Gebhard Müller sei stellvertretend erinnert an: Emmy Diemer-Nicolaus, Theopont Diez, Walter Erbe, Franz Gog, Wolfgang Haußmann, Walter Krause, Reinhold Maier, Alex Möller, Viktor Renner, Fritz Ulrich und Hermann Veit. Die Mitglieder der Verfassunggebenden Landesversammlung haben ein Dokument geschaffen, das dauerhaft von föderaler Staatskunst zeugt. Unsere Landesverfassung besitzt zwar keinen eigenen Grundrechtsteil; sie übernimmt pauschal die im Grundgesetz formulierten Grundrechte. Aber gerade weil sie sich auf die substanziellen Freiräume der Länder im bundesstaatlichen Gefüge konzentriert, wird sie zu den besonders geglückten Verfassungsschöpfungen eines Gliedstaates gezählt. Bei allem notwendigen Wandel soll eine Verfassung als Konstante wahrgenommen werden und so wirken. Dem Landtag von Baden-Württemberg oblag daher in den vergangenen fünfeinhalb Jahrzehnten, diese Konstante zeitgemäß auszuformen, ohne an ihr hastig herumzudoktern. Ich denke, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, widersprechen mir nicht, wenn ich mit maßvollem Stolz feststelle: Unsere Vorgänger und wir haben diese Aufgabe stets sensibel erfüllt. Durch 19 Änderungen und Ergänzungen ist unsere Verfassung – im Geist ihres ursprünglichen Selbstverständnisses – klug fortgeschrieben worden. Unsere Verfassung bindet die staatliche Macht und weist ihr Aufträge zu. Unsere Verfassung gewährleistet Kontrolle und politische Teilhabe. Und sie betont das Grundprinzip unseres Gesellschaftssystems und unserer Wirtschaftsordnung – nämlich die Symbiose von Freiheit und Verantwortung. Diese Facette zu würdigen ist ja im Herbst 2008 ungeahnt aktuell.
Und noch einen Aspekt mit Zeitbezug sollte man hervorheben. Ich meine den Gesichtspunkt, dass unsere Verfassung Ausdruck unserer Eigenstaatlichkeit ist. Wir sind deshalb in diesen Wochen gleichsam verfassungsrechtlich verpflichtet, jene zu bestärken, die mit Augenmaß und Leidenschaft für den Erfolg der Föderalismusreform II streiten. Mehr Finanzautonomie, mehr fiskalische Klarheit im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, mehr Anreize für sparsames Haushalten und eine effiziente Standortpolitik wären ein Gewinn, genauer ein Rückgewinn an Eigenstaatlichkeit. Schon so gesehen, ist es durchaus angemessen gewesen, kurz zurückzuschauen – obwohl 55 Jahre in der Rangfolge der Jubiläen nicht ganz oben rangieren.