Alterspräsident Karl Traub eröffnet die konstituierende Sitzung des 15. Landtags

Stuttgart. Die konstituierende Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg hat am heutigen Mittwoch, 11. Mai 2011, der CDU-Abgeordnete Karl Traub in seiner Eigenschaft als ältestes Mitglied des Parlaments eröffnet. Dass die erste Sitzung einer neuen Wahlperiode vom Alterspräsidenten einberufen und geleitet wird, ist in der Landesverfassung festgeschrieben. Nach der Begrüßung zahlreicher Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft sagte Traub im Einzelnen: >>Zu den Privilegien eines Alterspräsidenten gehört es, in der Antrittsrede die Punkte ansprechen zu können, die ihm besonders wichtig sind. Diese Gelegenheit möchte ich nun gerne nutzen: Mit der 15. Wahlperiode treten entscheidende Änderungen in Kraft, die uns als Abgeordnete betreffen. Am 30. April 2008 haben wir mit großer Mehrheit die Parlamentsreform in Kraft gesetzt und damit die Weichen für einen modernen Landtag gestellt. Ziel der Veränderung war es, den Landtag als Parlament entsprechend der immer größer werdenden Komplexität politischer Themenstellungen zu stärken. Dieser eingeschlagene Weg ist im Grundsatz richtig. Die nun – auch nach außen – sichtbar vergrößerte Präsenz macht deutlich, was sich ohnehin bereits in der Vergangenheit gezeigt hat: Die Tätigkeit als Abgeordnete ist keine Nebenbeschäftigung. Als gewählte Volksvertreter sind wir nicht nur für das Wohl des ganzen Volkes zuständig, sondern gleichzeitig auch die Anwälte der Bürgerinnen und Bürger in unseren Wahlkreisen. Die Menschen erwarten vollkommen zu Recht, dass wir uns als Abgeordnete um ihre Sorgen und Nöte kümmern. Unsere Aufgabe im Landtag geht aber auch noch darüber hinaus: Wir stellen die Weichen für die Zukunft Baden-Württembergs. Als zentrales Organ der Legislative kommt uns hier eine Schlüsselrolle zu. Wir stellen die Weichen für die Zukunft Baden-Württembergs. Der Landtag ist der zentrale Ort, in dem die politischen Entscheidungen getroffen werden. Die Landesregierung bezieht ihre Legitimation aus dem Parlament heraus und braucht eine Mehrheit der Abgeordneten, um ihre Ziele verwirklichen zu können. Als direkt von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gewählte Abgeordnete kommt uns daher eine besondere Verantwortung zu. Diese sollten wir mit besonderer Sorgfalt wahrnehmen. Dazu gehört auch ein faires Miteinander. Es geht um die Rechte des Parlaments als Ganzes. Die Menschen im Land werden ein Auge darauf haben, auf welche Weise wir um politische Inhalte ringen und wie wir unsere Ziele begründen und umsetzen wollen. Wir Abgeordnete sind direkt vom Volk gewählt, und auch die erfreulicherweise gestiegene Wahlbeteiligung zeigt die hohe Legitimation dieses Parlaments. Deshalb fordere ich – auch mit einem Blick nach Europa –, dass der Einfluss des Landtags weiter gestärkt wird. Der mit der Parlamentsreform eingeschlagene Weg war wichtig und richtig, aber er ist noch nicht abgeschlossen; daran muss weitergearbeitet werden. Gerade in Zeiten einer wachsenden Entfremdung der Menschen von der Politik müssen wir alle Mittel ergreifen, diesem Trend wirksam entgegenzusteuern. Nur wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ein Parlament im politischen Konzert eine wichtige Rolle spielt und diese auch ehrlich und transparent ausfüllt, setzen sie sich mit seinen Aufgaben, den darin vertretenen Parteien und den Abgeordneten, also mit uns, auseinander. In einer Welt, in der Entscheidungen nicht einfacher sondern immer komplexer werden, sind eine verstärkte Kommunikation politischer Fragen und ein intensiverer Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern notwendig. Politische Alternativen, unterschiedliche Konzepte und Lösungswege müssen genauer und besser erklärt und diskutiert werden. Hier im Plenum des Landtags ist der zentrale Ort für genau diese Aufgabe. Hier können Meinungen ausgetauscht, um Zustimmung geworben und Konzepte erläutert werden. Die modernen Medien bieten allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit sich live oder auch nachträglich zu informieren. Wir als gewählte Abgeordnete haben von den Bürgerinnen und Bürgern das Mandat erhalten, dies zu tun. Damit haben wir eine einzigartige Verantwortung, die außer uns niemand besitzt. Als langjähriger Bürgermeister von zwei kleinen Gemeinden weiß ich: Bei Entscheidungen kommt es darauf an, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, sie mit Sachargumenten zu überzeugen. Dabei kommt es vor allem darauf an, sie bereits bevor sich Alternativen gebildet haben und Vorentscheidungen getroffen wurden, einzubinden. Viele Fragen in der heutigen komplexen Welt lassen sich nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten. In den kommenden Jahren müssen wir uns hier im Landtag wie auch im Bund, in den Kommunen und in Europa um ein Thema kümmern, das alle Menschen betreffen wird. Ich spreche vom Demografischen Wandel und den daraus resultierenden Herausforderungen. Mit den Begriffen „Geburtenschwache Jahrgänge“, „Fachkräftemangel“ und „Anstieg der Ausgaben unserer Sozialkassen“ nenne ich drei Eckpunkte eines damit verbundenen Spannungsfeldes. Den Medien entnehmen wir dazu, dass Demenz ein prägendes Thema für die kommenden Jahrzehnte sein wird, und vereinzelt nehmen wir schon wahr, dass sich die Industrie, die Wirtschaft insgesamt mit speziell optimierten Produkten auf die älter werdende Gesellschaft einstellt. Bei dieser Entwicklung haben wir als Land eine starke Gestalterrolle, denn der Landtag entscheidet über zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen und hat darüber hinaus über den Bundesrat Einfluss auf die Entscheidungen auf Bundesebene. Die Alterung der Gesellschaft wird nicht nur auf dem Arbeitsmarkt sichtbar werden. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns erwarten wird, können wir derzeit in den neuen Bundesländern in manchen Landesteilen beobachten. Dort, wo junge Menschen reihenweise ihre Heimat verlassen, weil sie vor Ort keine Ausbildungs- und Berufschancen sehen, wird deutlich, wie stark sich auch das ganze Umfeld verändert. Das betrifft die Frage der Verfügbarkeit eines Öffentlichen Personennahverkehrs, von wohnortnahen Schulen, die soziale Infrastruktur mit Kindergärten, niedergelassenen Ärzten, Kliniken, Pflegeheimen, Ambulante Pflege und vieles mehr. Kurz eine Abwärtsspirale. Auch die Gestaltung der Innenstädte, aber auch besonders der Dörfer muss dieser Entwicklung angepasst werden. Dazu brauchen wir weitere Ansätze, um den Standort Baden-Württemberg weiter attraktiv halten zu können. Bevor jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Die Tatsache, dass immer mehr Menschen, wie dies in unserem Land besonders der Fall ist, ein höheres Lebensalter erreichen können, ist ohne Frage begrüßenswert. Hier haben wir der Medizin, den sich geänderten Lebensbedingungen und dem wachsenden Gesundheitsbewusstsein viel zu verdanken. Auch die individuelle Wahlfreiheit über das eigene Lebensmodell und die daraus resultierende häufige Berufstätigkeit qualifizierter Frauen ist im Interesse unserer Wirtschaft und auch der betroffenen Frauen und Familien sehr erfreulich. Wir haben gemeinsam in diesem Hause viele Weichen dafür gestellt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, dennoch sind eben viele Kinder nicht geboren worden und das können wir kurzfristig nicht mehr ausgleichen. Deshalb müssen unsere Anstrengungen noch intensiver in konkrete Maßnahmen münden, die den Mut junger Paare stärken, sich auf Kinder einzulassen. Unser Land, unsere Gesellschaft muss noch kinderfreundlicher werden. Wenn wir die Vielfalt Baden-Württembergs mit einer ausgewogenen Mischung aus Mittelstand, großen Unternehmen, Landwirtschafts- und Forstbetrieben sowie kleinen Handwerksbetrieben, Handel und Dienstleistung, mit verdichteten Räumen und landschaftlichen Reizen der schwächer besiedelten ländlichen Gebiete erhalten wollen, müssen wir auch künftig dafür sorgen, dass auch in ländlichen Räumen eine Infrastruktur erhalten und weiter gestärkt wird, die die Lebensqualität der Menschen auf hohem Niveau erhalten kann. Wir brauchen also auch im ländlichen Raum Kindergärten und Schulen, wir brauchen dort auch eine wohnortnahe qualifizierte ärztliche Versorgung mit guter Erreichbarkeit, sei es mit niedergelassenen Ärzten, Kliniken, Sondereinrichtungen und nicht zuletzt mit finanzierbaren Wohnbaumöglichkeiten und einiges mehr. Wir brauchen aber auch für die Menschen, die unseren Wohlstand erarbeitet haben, wohnortnahe Pflegeeinrichtungen, wenn schon die geforderte Flexibilität der Jüngeren bei der Arbeitsplatzwahl den Generationenvertrag durchlöchert, und wir brauchen auch weiter auf dem Land attraktive Verkehrsverbindungen und damit Firmen mit attraktiven Arbeitsplätzen, die sie für die dort lebenden Menschen anbieten können. Wir brauchen auch im ländlichen Raum Breitbandnetze für schnelles Internet und auch künftig eine flächendeckende Landwirtschaft und vieles mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Als Landtag können wir dazu weitere und wichtige Akzente setzen.
Für den Schluss habe ich mir die gesellschaftliche Entwicklung und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft aufgehoben. Wo Menschen zusammenleben, gibt es je nach Ausgangslage unterschiedliche Interessen. Politik muss für die Menschen da sein und wir müssen versuchen, deren unterschiedliche Interessen zusammenzuführen oder auszugleichen. Maßstab darf hier nicht nur die Dominanz des Stärkeren sein, sondern wir brauchen hierzu ein ausgewogenes Wertesystem; ansonsten würden wir dem Trend einer Ellenbogengesellschaft Vorschub leisten. Politik muss also Rahmenbedingungen für vielfältige Lebensbereiche schaffen – Rahmenbedingungen, die unser Menschenbild respektieren. Wie uns die Nachkriegsgeschichte lehrt, ist es für die Politik aber nicht immer einfach, frühzeitig gesellschaftliche Weiterentwicklungen aufzunehmen und diese sensibel zu bewerten, sich damit auseinanderzusetzen und mit den richtigen Konzepten darauf zu reagieren. Ziel unserer Arbeit muss daher – bei allen gegensätzlichen Auffassungen über den Weg – sein, die Rahmenbedingungen der verschiedensten Bereiche so zu koordinieren und zu verknüpfen, dass ein gedeihliches Miteinander aller Menschen in Baden-Württemberg ermöglicht wird. Agieren ist besser als reparieren! Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam an die Arbeit in unserem 15. Landtag von Baden-Württemberg gehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<<