Anhörung von Sachverständigen zur Verbesserung der Situation von Medizinstudierenden im Praktischen Jahr
Stuttgart. Der Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat sich in seiner Sitzung am Mittwoch, 19. November 2025, mit der Verbesserung der Situation der Medizinstudierenden im Praktischen Jahr (PJ) in Baden-Württemberg befasst. Dafür führte das Gremium zu einem gemeinsamen Antrag der Fraktion Grüne, CDU, SPD und FDP/DVP eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen durch. „Die breite fraktionsübergreifende Unterstützung zeigt, wie wichtig uns allen die praktischen Ausbildungsbedingungen der angehenden Ärztinnen und Ärzte sind“, sagte die Ausschussvorsitzende Nese Erikli (Grüne). Die Abgeordneten signalisierten in der Sitzung Unterstützung für die Medizinstudierenden. Auch die Referenten zeigten trotz teilweise unterschiedlicher Positionen viel Verständnis für die geforderten Verbesserungen.
Nach Angaben der Vorsitzenden sieht der gemeinsame Antrag der vier Fraktionen vor, die gesammelten Ergebnisse der Anhörung der Landesregierung zu übergeben. Diese soll die Ergebnisse in die weitere Arbeit einfließen lassen. Das Praktische Jahr ist der letzte Abschnitt des Medizinstudiums vor dem dritten Abschnitt der ärztlichen Prüfung. Ziel ist es, praktische Anwendung der ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen. Das PJ kann in akademischen Lehrkrankenhäusern, in Gesundheitsämtern oder Arztpraxen durchgeführt werden. Mit der Anhörung wollen wir die Bedingungen der Studierenden herausarbeiten und Verbesserungen diskutieren. Damit leisten wir einen ersten wichtigen Schritt zur künftigen Verbesserung der medizinischen Ausbildung und zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Baden-Württemberg“, betonte Erikli.
Im Mittelpunkt der geäußerten Kritik an den gegenwärtigen Bedingungen standen vor allem die Themen Fehlzeiten und Aufwandsentschädigung. Tobias Henke (Vizepräsident für Externes, Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.) und Yannick Lorz (Sprecher Faires PJ Baden-Württemberg) führten aus, dass den Studierenden im Praktischen Jahr 30 Fehltage zustünden. Hier werde aber nicht zwischen Urlaubs- und Krankheitstagen unterschieden. Dies führe dazu, dass Studierende krank zur Arbeit erschienen, um die 30 Fehltage nicht zu überschreiten. Sie forderten daher 15 zusätzliche Tage im Krankheitsfall. Zudem kritisierten sie, dass immer noch keine existenzsichernde Aufwandsentschädigung gezahlt werde. Diese variiere sehr stark, nicht nur bundesweit, sondern auch innerhalb Baden-Württembergs zwischen 300 und 900 Euro. Hier forderten sie eine Entschädigung in Höhe des Bafög-Höchstsatzes. Außerdem bemängelten sie unzureichende Lern- und Lehrbedingungen, weil immer wieder Lehrveranstaltungen ausfielen. Zudem solle es einen vierwöchigen Abstand zwischen PJ und M3-Examen geben. Die gegenwärtige Situation in Baden-Württemberg führe dazu, dass viele Studierende lieber in anderen Bundesländern oder im Ausland Medizin studierten, weil die Bedingungen dort besser seien.
Dr. Jörg Woll (2. Landesvorsitzender des Marburger Bundes Baden-Württemberg) sagte, es bestehe dringender Handlungsbedarf. Er schlug die Erarbeitung eines Konzepts zur Änderung der Krankheits- und Fehlzeitenregelung für PJ-Studierende zur Vorlage auf Bundesebene vor, das eine Trennung von Urlaubs- und Krankheitstagen vorsieht. Zudem forderte er eine einheitliche, angemessene Aufwandsentschädigung für Studierende im PJ. Diese müsse sich an der Stellung und Leistung von „in der Regel ganztägig an allen Wochenarbeitstagen im Krankenhaus anwesenden“ Personen orientieren, mindestens aber am aktuellen BaföG-Höchstsatz.
Matthias Einwag (Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft e. V.) wies darauf hin, dass vieles von dem, was an den Ausbildungsbedingungen zurecht bemängelt werde, von den Krankenhäusern als Ausbildungsstätten gar nicht beeinflussbar sei. Sowohl eine Fehlzeitenregelung als auch eine Änderung der Aufwandsentschädigung stehe im aktuellen Koalitionsvertrag und müsse auf Bundesebene geregelt werden. Er verwies darauf, dass sich die Krankenhäuser aufgrund der finanziellen Situation in einem Spagat befänden. Einerseits bestünden finanzielle Nöte und damit auch begrenzte personelle Ressourcen, anderseits wolle man eine gute Ausbildung ermöglichen. Bis zur Abschaffung im Jahr 2001 hätten die Krankenhäuser für die Ausbildung noch eine Entschädigung pro Student/in erhalten.
Prof. Dr. med. Jens Maschmann (Vorsitzender des Klinikumsvorstands Universitätsklinikum Tübingen und Vorsitzender des Verbands Universitätsmedizin Baden-Württemberg e. V.) betonte, bei der Anerkennung der Leistungen durch eine Aufwandsentschädigung dürfe nicht nur der Geldbetrag betrachtet werden, sondern auch zusätzliche Leistungen wie etwa eine Wohnung. Er sprach sich dafür aus, einen geeigneten Korridor zu definieren und Geld- und Sachleistungen gemeinsam zu betrachten. Der Korridor sei notwendig, um einen Überbietungswettbewerb zu vermeiden und Ausbildungsstätten, die aus ihrem Budget keine höheren Beträge zahlen könnten, auch künftig noch zu ermöglichen, ein PJ anzubieten.
Prof. Dr. med. Hans-Christoph Friederich (Studiendekan Med. Fakultät Heidelberg, Sprecher der Medizinischen Fakultäten Baden-Württemberg) sprach sich dafür aus, angesichts der allgemeinen Teuerungsrate die Entschädigung auf das Niveau des BAföG-Höchstsatzes festzulegen. Mit Blick auf die Fehltage führte er aus, dass die Höchstzahl an Fehltagen sicherstellen solle, dass die Ausbildung in der gesetzlich vorgesehenen Zeit absolviert werde. Er betonte aber, dass es bereits jetzt Ausnahmemöglichkeiten gebe, zum Beispiel, dass Tage nachgeholt werden könnten oder dass das PJ bei längerer Krankheit pausiert und innerhalb von zwei Jahren fortgesetzt werden könne. Dr. med. Wolfgang Miller (Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg) formulierte die Forderungen: eine Entschädigung analog der Referendarinnen und Referendare, flexible Regelungen für Fehlzeiten (Mutterschutz, Pflege Angehöriger) und einen Mindestabstand zwischen PJ und M3-Examen.