Ausschussvorsitzender Ulrich Müller: Hilferuf der Stromnetzbetreiber ans Land
Stuttgart. Die Debatte über die Übertragungsnetze für den Stromtransport vom Norden in den Süden Deutschlands ist in aller Munde. Doch ein genauso großes Problem sind die regionalen und lokalen Verteilnetze, bei denen nicht so sehr die Trassen strittig sind als vielmehr die Bezahlung. Rund 30 Milliarden Euro müssen deutschlandweit in deren neue Funktionen bis 2032 investiert werden – aber das Bundeswirtschaftsministerium verweigert bislang eine ausreichende Finanzierung. Dies ist das von allen Fraktionen kritisch festgestellte Ergebnis eines Gesprächs, das der Umwelt- und Energieausschuss im Landtag mit dem Verband für Energie- und Wasserwirtschaft in Baden-Württemberg führte, wie der Ausschussvorsitzende, der CDU-Abgeordnete Ulrich Müller, am Dienstag, 16. Juni 2015, mitteilte.
Die Energiewende finde entweder mit Hilfe der Verteilnetze oder gar nicht statt. Denn diese Netze – 210.000 Kilometer in Deutschland, von 130 Unternehmen (überwiegend Stadtwerken) betrieben –, hätten neue Aufgaben: 97 Prozent des Stroms aus regenerativen Anlagen werde in sie eingeleitet, was eine völlig neue Infrastruktur voraussetze, so Müller. Es gehe auch um intelligente Stromnetze (sog. „smart grids“) und um Netzstabilität, also das Vermeiden von Spannungsschwankungen trotz zunehmender Instabilität von Stromproduktion und -verbrauch. Schon bisher fließe sehr viel mehr Geld in den Ausbau der Verteilnetze als in die großen Übertragungsnetze. „Aber wenn das Bundeswirtschaftsministerium verhindert, dass diese zusätzlichen Investitionen ausreichend über die Nutzungsentgelte bezahlt werden, dann kommen die Netzbetreiber in Existenzprobleme, weil sie rote Zahlen schreiben müssen“, sagte der Ausschussvorsitzende.
Die Abgeordneten des Landtagsausschusses waren laut Müller übereinstimmend der Auffassung, dass dies nicht sein dürfe und dass insbesondere der zuständige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), Rainer Baake, seine bisherige sehr restriktive und gesprächsverweigernde Linie verlassen müsse. Seine Haltung begründe das BMWi damit, dass die Strompreise nicht weiter steigen dürften, aber um die Verteil-netzinvestitionen bezahlen zu können, müsse der Strompreis nur um 0,7 Cent erhöht werden – ein Klacks gegenüber den Subventionen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und den Stromsteuern. „Der Dissens zwischen den Netzbetreibern und dem Bundeswirtschaftsministerium liegt sogar nur bei 0,2 bis 0,3 Cent Preisunterschied, weil auch das Ministerium einen Kostenausgleich grundsätzlich akzeptiert“, hielt Ulrich Müller fest.
Das Thema ist dem Ausschussvorsitzenden zufolge aber auch ein hochgradig landespolitisches, weil die entsprechenden Regelungen von der Bundesregierung zwar ohne Mitwirkung des Bundestags, aber mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden. Dies sei auch der Grund, weshalb der Präsident des Landesverbands des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft (VfEW), Rudolf Kastner, und sein Geschäftsführer Torsten Höck den Ausschuss zum Gespräch mit dem Verband eingeladen hätten, das auf Verbands- wie auf Ausschussseite auf große Resonanz und Konsens in der Sache gestoßen sei.
Landespolitischen Bezug hatten nach Angaben Müllers auch die konkreten Vorschläge, an denen sich die baden-württembergische Regierung im Bundesrat orientieren sollte und die von der bayerischen und der hessischen Landesregulierungsbehörde unterstützt werden. Diese Unterstützung und eine Ausweitung des Personals der Regulierungsbehörde in Stuttgart wünschten sich die Netzbetreiber auch im Land. Denn neben allen Finanzierungsproblemen sei die Netzregulierung und –finanzierung auch außerordentlich bürokratisch, was zu viel zu langen Bearbeitungszeiten in Baden-Württemberg führe. „Allein die EnBW beschäftigt als Netzbetreiber rund 100 Mitarbeiter, die im Regulierungsmanagement, also dem Nachweis, dass die Netzentgelte richtig erhoben wurden, tätig sind. Das ist regulatorischer Irrsinn, der auch für bestehende Netze durch flexible und auskömmliche Vergütungen ersetzt werden muss. Wir brauchen aus Gründen der Versorgungssicherheit zwar ein Over-Engineering, aber keine Über-Bürokratisierung, die dem Bürger vielleicht 0,2 Cent spart, aber ihm keine verlässliche Stromversorgung gibt. Darin waren sich der VfEW und der Umwelt- und Energieausschuss einig“, stellte Ulrich Müller fest.