Ausstellungseröffnung im Landtag „Baden-Württemberg und die Europäische Union“

Präsident Straub: Gesicherte Datengrundlage trägt zur Versachlichung der politischen Diskussionen bei Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. „Baden-Württemberg und die Europäische Union“ heißt eine Ausstellung, die am Dienstagabend, 29. April 2003, im Stuttgarter Landtag von Parlamentspräsident Peter Straub und der Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Dr. Gisela Meister-Scheufelen, eröffnet wurde. Gezeigt werden ca. 70 Schaubilder zu zahlreichen Lebensbereichen der Regionen Europas. Bei der Begrüßung der Gäste wies Landtagspräsident Straub darauf hin, dass für die Entscheidungen im europäischen Einigungsprozess eine gesicherte Datengrundlage enorm wichtig sei, weil sie zu einer Versachlichung der oftmals aufgeheizten politischen Diskussionen beitrage. Wörtlich sagte Straub: >>Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Baden-Württemberg und die Europäische Union“ des Statistischen Landesamts, darf ich Sie recht herzlich hier im Landtag willkommen heißen. Ich freue mich sehr, für die nächsten zwei Wochen Gastgeber dieser Ausstellung Ihres Hauses, sehr geehrte Frau Dr. Meister-Scheufelen, zu sein. Waren noch vor nicht allzu langer Zeit „Europa-Müdigkeit“ oder „Euro-Sklerose“ Be-griffe, die man mit „Europa“ verband, so sehen die Assoziationen heute anders aus, wenngleich sie nicht immer nur rein positiver Natur sind. Ich möchte die wichtigsten Themen benennen, die die öffentliche Diskussion seit Monaten beherrschen: Der EU-Konvent zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung, das erweiterte Europa der 25, ein gemeinsamer Außenminister für Europa oder das auf den Beginn des europäischen Einigungsgedankens zurückreichende Projekt einer gemeinsamen Europäischen Verteidigung, sind die Themen, die derzeit auf der europäischen Agenda zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden. Dass wir gerade heute diese Diskussion über die Zukunft Europas führen, liegt hauptsächlich daran, dass die Institutionen und Entscheidungsverfahren der EU spätestens mit der Aufnahme der zehn neuen Mitgliedstaaten und vor der Perspektive weiterer Aufnahmen in den nächsten Jahren den Anforderungen an ein modernes transparentes Europa nicht mehr genügen. Man kann sagen, vierzehn Jahre nach der Zeitenwende der Jahre 1989/90 und angesichts der weltpolitischen Veränderungen, die wir derzeit erleben, steht die EU vor der wohl entscheidenden Wegmarke ihrer Geschichte. Dass Veränderungen dringend geboten sind, wird angesichts eines Europas, das vom Nordkap bis nach Sizilien und vom Baltikum bis zu den Azoren reicht, niemand ernsthaft bestreiten wollen, der die berechtigte Skepsis der Bürger Europas entkräften möchte. Was uns Landespolitikern seit langem klar ist, wird durch die zunehmende Vielfalt und Verschiedenartigkeit, die durch die Erweiterung in die EU hineingetragen wird, nunmehr auch den letzten Zweiflern klar: Die EU darf, soll und vor allem kann nicht alles regeln. Das bedeutet, dass die Reform der EU vor allem eine klare Kompetenzabgrenzung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips zum Ergebnis haben muss. Um den Bürger auf diesem Weg nicht alleine zu lassen, muss er auf Informationen zurückgreifen können, damit er die notwendigen Reformvorhaben verstehen und somit auch mittragen kann. So werden Vorbehalte gegen die EU-Osterweiterung sicherlich einfacher abgebaut werden können, wenn die Bürger unseres Landes die enormen Chancen erkennen, die sich vor allem für die Wirtschaft bieten. Bereits jetzt gehen zehn Prozent aller Exporte des Landes nach Mittel- und Osteuropa und der Wert der Ausfuhren stieg von 1996 bis 2002 von 5,1 auf 10,2 Milliarden Euro. Für die politisch Verantwortlichen braucht es zuvorderst politischen Weitblick, um diese großen Herausforderungen bestehen zu können. Ohne eine gesicherte Datengrundlage, die zu einer Versachlichung der oftmals aufgeheizten politischen Diskussionen beiträgt, kann die Politik gerade bei dem komplexen europäischen Einigungsprozess nicht überzeugen. Jenseits der großen Ideen und Visionen sind es die Zahlen, Daten und nachprüfbaren Fakten, die das politische Leben in unserem Land und der EU bestimmen. Am Beispiel wird dies deutlich: Wie könnten etwa die Mittel der EU-Strukturfonds, von denen auch unser Land profitiert, und die immerhin den zweitgrößten Posten der von Brüssel verwalteten Mittel darstellen, ohne zuverlässige statistische Daten vergeben werden? Wie können wir auch in Zukunft ein High-Tech-Standort bleiben, ohne zu wissen, was die „Konkurrenz“ macht - die Konkurrenz innerhalb Deutschlands, vor allem aber die innerhalb Europas. Ohne den messbaren Vergleich mit unseren Nachbarn, die gleichzeitig ja auch unsere Konkurrenten sind, können wir unsere Spitzenposition nur schwerlich auf Dauer halten. Selbstverständlich sollte die Politik Entwicklungen vorhersehen, um bereits im Vorfeld die richtigen Entscheidungen zu treffen, manchmal werden Entwicklungen aber eben auch erst im Vergleich mit anderen Staaten, europa- und weltweit, sichtbar. Auch hier möchte ich zwei Beispiele anführen: Geben wir im europäischen Durchschnitt genügend Mittel für Bildung und Forschung aus? Genügt unsere Infrastruktur den zukünftigen Waren- und Verkehrs- und vor allem Informationsströmen? Die Liste ließe sich beliebig verlängern, aber auch in der Kürze zeigt sie, wie sehr unser Wohlstand von den richtigen zukunftsweisenden Entscheidungen abhängt. Ohne Statistiken, die die Entscheidungen stützen, ist dies ein nur schwer vorstellbares Unterfangen. Was nützt aber das Wissen um Fakten, wenn politische Entscheidungen nicht mehr vor Ort getroffen werden, sondern zunehmend nur noch vom Zentralstaat zur Umsetzung nach unten an die Länder und Kommunen weitergereicht werden? Bei allem Verständnis für die Berechtigung der vom Grundgesetz geforderten „Gleichwertigen Lebensverhältnisse“, kann es nicht sein, dass unter Berufung hierauf laufend Kompetenzen auf den Bund übertragen und die Länder zu bloßen Ausführungsorganen degradiert werden. Dies ging in den letzten Jahren auch und vor allem zu Lasten der Landesparlamente. An einer großen Diskussion und einer tief greifenden Veränderung unseres föderalen Systems kommen wir nicht vorbei. Es ist deshalb begrüßenswert, dass die deutschen Landesparlamente mit ihrer „Lübecker Erklärung“ vom 31. März 2003 ein deutliches Bekenntnis zum Föderalismus abgegeben und konkrete Vorschläge zu einer nachhaltigen Reform unterbreitet haben. Nicht nur der EU-Reform-Konvent muss dazu führen, dass Politik wieder von unten nach oben verläuft, auch in Deutschland muss der Föderalismus wieder von unten nach oben ausgerichtet werden. Sehr geehrte Frau Dr. Meister-Scheufelen, wenn ich eben davon gesprochen habe, dass Politik sich ohne ein Fundament aus Zahlen und Daten weder vorstellen noch den Bürgern vermitteln lässt, so ist es vor allem Ihrem Haus und seinen Mitarbeitern zu verdanken, dass die Politik über dieses unverzichtbare Fundament verfügt. Gerade in diesen für Europa so ereignisreichen Tagen wünsche ich der Ausstellung die Resonanz, die ihr gebührt. Die tägliche Arbeit des Statistischen Landesamts leistet einen wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz der „Idee Europa“ bei unseren Bürgern.<< Die Ausstellung im Stuttgarter Landtag ist bis 16. Mai 2003 montags bis freitags jeweils von 9:00 bis 19:00 Uhr geöffnet.