Bericht im Plenum über die erste Hälfte der Wahlperiode
Vorsitzender Jörg Döpper: Falls erforderlich begibt sich der Petitionsausschuss auch ins Unterholz der Verwaltungstätigkeit Knapp 17 Prozent der Eingaben waren erfolgreichStuttgart. Im Petitionsausschuss des Landtags sind in der laufenden Wahlperiode bislang knapp 3.400 Petitionen eingegangen, rund 900 weniger als im vergleichbaren Zeitraum der letzten Wahlperiode. Diese Zahlen gab der Vorsitzende des Petitionsausschusses Jörg Döpper (CDU) in seinem mündlichen Bericht in der Plenarsitzung am Donnerstag, 27. November 2003, bekannt. Als Gründe für den - bundesweit zu beobachtenden - rückläufigen Trend nannte Döpper den Umstand, dass ausländerrechtliche Petitionen stark rückläufig sind. Der übrige Rückgang betreffe gleichmäßig alle Hauptbereiche, also Bausachen, Steuerangelegenheiten, Sozialhilfe und Gnadensachen. Der Ausschussvorsitzende appellierte an die Verwaltungsbehörden, Spielräume besser zu nutzen. Er wünschte sich bei den örtlich Verantwortlichen mehr Zivilcourage. Die Entscheidungen müssten nicht nur rechtlich in Ordnung sein, sondern auch bürgerfreundlich getroffen werden. Im Einzelnen führte Döpper aus: In den vergangenen Wochen und Monaten stand der Petitionsausschuss in ungewohnter Weise im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Anlass hierfür war die Entscheidung des Ausschusses zu den Windenergieanlagen auf dem Schauinsland bei Freiburg. Eine große Ausschussmehrheit hatte den Standort „Holzschlägermatte“ abgelehnt. Sie widersprach damit der Auffassung der Behörden bis hin zum Ministerium, die alle diesem Standort zugestimmt hatten. Je nach politischer Ansicht war dies eine richtige Entscheidung, oder eben eine falsche. Gewonnen hat aber auf jeden Fall der Petitionsausschuss als Landtagsgremium. Eine solche Berichterstattung in den Medien wünscht sich jeder Abgeordnete und jede Fraktion. Interessant für die Medien war nicht nur, dass die Ausschussmehrheit eine andere Auffassung vertrat als die Fachbehörden. So etwas kommt öfter vor, weil sich der Ausschuss als kritischer Begleiter von Behördenentscheidungen versteht. Breit kommentiert wurde aber auch die Thematik an sich, also das Für und Wider von Windenergieanlagen an sensiblen oder weniger sensiblen Standorten in Baden-Württemberg. Dass über den Petitionsausschuss diese Debatte einen derartigen publizistischen Niederschlag gefunden hat, kann er sich zugute halten und er tut es auch. An dieser Stelle möchte ich eines klar stellen: Der Petitionsausschuss ist in seiner Mehrheit nicht generell gegen Windenergieanlagen in Baden-Württemberg. Er hat auch schon mehrere Standorte gebilligt. Uns kommt es vielmehr darauf an, dass jeder Einzelfall sorgfältig geprüft wird und insbesondere auch Naturschutz- und Landschaftsbelange umfassend gewürdigt werden. In dieser Frage sieht sich der Ausschuss mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg einig. Und mittlerweile ist auch das Regierungspräsidium Freiburg auf diese Linie eingeschwenkt, wie ein Erlass an die nachgeordneten Behörden zeigt. Wenn das Regierungspräsidium eine „Verspargelung“ der Landschaft im Regierungsbezirk vermeiden will, dann kann ich dies nur unterstützen. Diese Ausschussentscheidung und die rechtlichen Folgen, die Sie alle kennen, ist ein Beweis dafür, dass das Petitionsrecht nicht unterschätzt werden sollte, wie es – auch in diesem Haus – immer wieder zu beobachten ist. Die Menschen, die sich an uns wenden, haben einen Anspruch darauf, dass ihr Anliegen sorgfältig geprüft wird. Alle Petenten erwarten eine gezielte Hilfe. Wir sollten diesen Anspruch nicht klein reden. Aber auch nicht die Arbeit, die sich die Ausschussmitglieder machen. Ohne deren Engagement, ohne Bereitschaft, sich in viele Sachgebiete einzuarbeiten und ohne Fingerspitzengefühl lässt sich gar nichts erreichen. Und dass in vielen Fällen auch Mut zu einer bestimmten Entscheidung erforderlich ist, brauche ich nicht weiter betonen. An dieser Stelle darf ich deshalb allen Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss ganz herzlich für ihre Tätigkeit danken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Schlagzeilen, wie ich sie eben geschildert habe, bekommt der Petitionsausschuss ganz selten. Vielleicht noch, wenn es um Beschneiungsanlagen auf dem Feldberg geht, um eine Motocross-Strecke in freier Landschaft oder um den Standort von Mobilfunksendemasten. Auch dies sind Themen, die landesweit Interesse finden und in der Bevölkerung diskutiert werden. Dass nur diese Fälle besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden, ist aber nicht die Schuld des Ausschusses. Es liegt ganz einfach an der Eigenart der meisten Fälle, die an den Petitionsausschuss herangetragen werden. Es sind ganz überwiegend Einzelschicksale, menschliche Notlagen. Und sie eignen sich halt nicht oder wenig für die Berichterstattung in den Medien. Nicht dass wir uns darüber beklagen würden, dies muss ich ausdrücklich sagen. Aber es erklärt doch, weshalb der Petitionsausschuss mehr im Hintergrund arbeitet. Die große Mehrzahl der Fälle, die der Petitionsausschuss in der ersten Hälfte dieser Wahlperiode zu bearbeiten hatte, betrafen allgemeine Dinge des täglichen Lebens. Es geht um Baugenehmigungen, Sozialhilfe, Gnadengesuche oder Aufenthaltsrechte. Ich denke hier beispielsweise an einen Fall, in dem der Ausschuss Haftverschonung für einen Ehemann erreichen konnte, damit er seine wegen Krebses todkranke Ehefrau pflegen konnte. Oder an eine geschiedene Mutter mit fünf Kindern, die eine Haftstrafe antreten sollte. Da drei Kinder schulpflichtig waren, ein Kind schwerstbehindert und ein weiteres erst zwei Jahre alt war, setzte sich der Ausschuss erfolgreich dafür ein, dass Strafaufschub gewährt und ein Bewährungshelfer an die Seite gestellt wurde. Oder ich denke an einen Mann, der wegen seiner schweren Erkrankung und einer zusätzlichen Schwerkriegsbeschädigung einen hohen Bedarf an Medikamenten hatte. Der Petitionsausschuss konnte erreichen, dass der Petent von den Zuzahlungen für die Medikamente befreit wurde. Nichts Spektakuläres für den Außenstehenden, für den Betroffenen oftmals aber schicksalhafte Fragen. Sie kennen alle diese Fälle, wenn Sie die Drucksachen mit den Berichten des Petitionsausschusses durchblättern. Man glaubt gar nicht, welche immense Bedeutung diese Probleme, die beim Durchlesen der Petition zunächst nicht gravierend erscheinen, für die Betroffenen haben. Diese Petenten sind emotional aufgewühlt. Man merkt es ihren Schilderungen an und auch den telefonischen Nachfragen, die regelmäßig eingehen. Ich möchte hier beispielhaft auf Nachbarstreitereien wegen eines Bauvorhabens oder auf Lärm- oder Geruchsemissionen durch Gewerbebetriebe verweisen. Wir im Petitionsausschuss können uns bei diesen Fällen nicht auf die rechtliche Problematik beschränken. Gerade bei Ortsterminen müssen wir Streitschlichter sein, und das sind wir sogar sehr oft mit Erfolg. Hier ist das Fingerspitzengefühl erforderlich, das ich eben ansprach. Oder ich denke an Renten- oder Personalangelegenheiten, wo kleine Ursachen große Auswirkungen haben können. Dass diese Fälle nicht schlagzeilenträchtig sind, ist klar. Und trotzdem müssen sie sorgfältig bearbeitet werden, weil die Bürgerinnen und Bürger sich uns anvertraut haben. Man muss es nicht gleich wie eine Petentin halten, das darf ich an dieser Stelle einfügen, die sich in allergrößter Not – wie sie schreibt – an den Petitionsausschuss gewandt hatte, weil ihr nur noch eine höhere Macht helfen könne. Wenn der Petitionsausschuss das offene Ohr des Landtags sein soll, darf es keine lästigen Petitionen geben. Dann darf es keinen Unterschied machen, ob eine Petition ein politisch brisantes Thema betrifft oder das Problem eines einzelnen Menschen. Alle Eingaben sind und werden mit der gleichen Intensität bearbeitet. Und wenn wir uns dazu vereinzelt ins Unterholz der Verwaltungstätigkeit begeben müssen, dann tun wir das auch. Dort ist meistens zu finden, was einer Petition zum Erfolg verhilft oder wenigstens zur Befriedung der Beteiligten beiträgt. Manchmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, stoßen wir auf Fälle, die eigentlich gar nicht zum Petitionsausschuss hätten kommen müssen. Ich denke an jene Behördenentscheidungen, die zwar rechtlich in Ordnung sind, die aber in der Sache nicht optimal und bürgerfreundlich getroffen worden sind. Dass wir uns alle an die rechtlichen Vorschriften halten müssen, ist unbestritten. Aber es gibt innerhalb des rechtlichen Rahmens oft verschiedene Möglichkeiten, eine Sache zu entscheiden. Damit das richtige und gerechte Ergebnis gefunden wird, bedarf es gerade vor Ort mehr Zivilcourage bei den Entscheidungsträgern. Ich wünsche mir, dass nicht nach Schema F entschieden wird. Eingefahrene Gleise sollten verlassen und ein Maßstab gefunden werden, der zu einer recht- und zweckmäßigen Entscheidung führt. Mein Appell also an die Verwaltungsbehörden: Nutzen Sie Ihren Spielraum aus und entscheiden Sie zugunsten der Menschen. Versetzen Sie sich in die persönliche Situation Ihrer Kunden und verstehen Sie sich als Dienstleister im wahren Sinne des Wortes. Mit Sicherheit kommt dann ein Ergebnis zustande, das rechtlich unangreifbar ist und auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Wer nämlich sieht, dass man zu seinen Gunsten alle gesetzlichen Möglichkeiten auslotet, ist auch bereit, Kompromisse einzugehen. Ein weiteres Phänomen, das ich heute ansprechen möchte, erlebe ich oft bei Ortsterminen. Wenn man fragt, was die bisherigen Gespräche erbracht hätten, erhält man als Antwort: Alles ist bisher nur schriftlich gelaufen. Was mich hierbei stört, ist die Tatsache, dass ein persönliches Gespräch von keiner Seite gesucht worden ist. Für diese Sprachlosigkeit habe ich kein Verständnis. Es muss doch jedermann klar sein, dass sich beispielsweise eine Baurechtsangelegenheit, eine Straßenplanung oder auch ein wasserrechtliches Verfahren leichter realisieren lässt, wenn alle Beteiligten an einem Tisch sitzen und zusammen eine Lösung suchen. Nach meiner Erfahrung gibt es bei der gemeinsamen Konsenssuche aber vielfach noch erhebliche Defizite. Auch hier möchte ich an die Behörden appellieren, den ersten Schritt zu tun und zu einer Besprechung einzuladen, um eine gütliche Einigung zu erzielen. Noch ein kurzes Wort zur Zahl und Art der Fälle, die den Petitionsausschuss in der ersten Hälfte dieser Wahlperiode beschäftigt haben. Eingegangen sind bisher rund 3400 Petitionen. Rechnet man diese Zahl auf die gesamte Wahlperiode hoch, ergibt sich ein Rückgang von rund 1800 Petitionen gegenüber der letzten Wahlperiode. Wir liegen damit in einem bundesweit zu beobachtenden Trend. Auch die Petitionsausschüsse von Bundestag und anderen Landesparlamenten haben durchweg rückläufige Eingangszahlen. Eine nähere Ursachenforschung hat kein Parlament betrieben. Eine Erklärung ist aber darin zu sehen, dass ausländerrechtliche Petitionen stark rückläufig sind. In Baden-Württemberg gehen in dieser Wahlperiode voraussichtlich 1000 Eingaben weniger von diesem Personenkreis ein. Der übrige Rückgang betrifft gleichmäßig alle Sachgebiete, die an der Spitze der Skala liegen. Dies gilt also für Bausachen, Steuerangelegenheiten, Sozialhilfe und Gnadensachen. Ein größerer Rückgang ist bei Rentenangelegenheiten zu verzeichnen. Aber auch bei Personalangelegenheiten von Lehrern gab es ein gravierendes Minus. Die Eingaben von Lehrern sind in der letzten Wahlperiode aber in erster Linie deshalb hochgeschnellt, weil die Ermäßigung des Regelstundenmaßes aus gesundheitlichen Gründen gestrichen worden ist. Landespolitische Entscheidungen wirken sich also sehr kurzfristig auch auf die Eingangszahlen des Petitionsausschusses aus. Noch ein Wort zu den Ausländerpetitionen, die gut 20% der Gesamteingänge ausmachen. Auffallend ist, dass in der vergangenen Wahlperiode Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina mit rund 650 Eingaben an der Spitze lagen, in dieser Wahlperiode hochgerechnet aber nur rund 85 Eingaben kommen werden. Dies ist ein Ergebnis der Friedensbemühungen im früheren Jugoslawien, über das wir uns freuen können. Ich möchte es bei diesen statistischen Daten belassen. Weitere interessante Details können Sie aus den Unterlagen entnehmen, die Ihnen vorliegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte abschließend nochmals allen Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss für ihre hervorragende Arbeit danken. Erwähnen möchte ich hier ausdrücklich meinen Stellvertreter, den Kollegen Reinhold Gall. Unser Verhältnis, das darf ich sagen, zeichnet sich durch eine freundschaftliche Zusammenarbeit aus. Mein Dank gilt auch den Ministerien für die Stellungnahmen zu den einzelnen Petitionen. Für uns ist es wichtig zu wissen, dass wir uns auf diese Grundlagenarbeit verlassen können. Außerdem möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Petitionsbüro ganz herzlich für ihre umfassende und sorgfältige Zuarbeit danken. Es ist eine Freude mit ihnen zusammen zu arbeiten. Schließen möchte ich mit der Aussage einer Kollegin aus dem Bundestag vom Sommer dieses Jahres: Jede Petition hat einen Namen, ein Geburtsdatum, einen Wohnort, eine Telefonnummer und in den meisten Fällen auch eine ganz lange Geschichte.