Betroffene Menschen sind aufgerufen, sich beim Land zu melden

Stuttgart. Der Petitionsausschuss hat sich in seiner Sitzung am Donnerstag, 2. Juni 2022, mit einer Petition zur Einrichtung eines NS-Härtefonds in Baden-Württemberg für geraubte Kinder befasst. „Das ist ein sehr bedrückendes Thema, das bislang noch nicht gut aufgearbeitet wurde“, berichtete der Ausschussvorsitzende Thomas Marwein (Grüne). „Die persönliche Belastung Betroffener durch das begangene Nazi-Unrecht ist kaum fassbar“, legte er dar. „Im Ausschuss war man sich einig darüber, dass hier geholfen werden muss.“

Einer großen Anzahl an Kindern wurde großes Leid angetan. Sie wurden ab 1942 vor allem in den besetzten Gebieten im Osten Europas von den Nationalsozialisten entführt und auf eine oft unmenschliche Art und Weise im Wege der so genannten „Germanisierung“ linientreuen deutschen Familien zur Adoption angeboten und davor in Heimen untergebracht. Es sei bekannt, so Marwein, dass es ein Heim im Schwarzwald gegeben habe. Die genaue Zahl Betroffener konnte bislang nicht ermittelt werden. Viele, die noch im Säuglings- oder Babyalter entwendet wurden, haben von ihrer Herkunft erst Jahrzehnte später oder gar nie erfahren. „Der Petent ist Vorsitzender des Vereins ‚geraubte Kinder – vergessene Opfer‘. Er setzt sich mit seinem Verein dafür ein, einen Härtefonds für bisher nicht berücksichtigte Opfer der Zwangsarisierung einzurichten“, erläuterte Thomas Marwein. Diese und weitere NS-Opfer seien bislang weder von der Landesregierung in Baden-Württemberg noch von der Bundesregierung anerkannt und entschädigt worden. „Der Petent wünscht sich, dass die ehemals geraubten Kinder eine unbürokratische Entschädigung in Baden-Württemberg erhalten“, so der Vorsitzende.

Das Staatsministerium, so Marwein, teile in seiner Stellungnahme ausdrücklich die Auffassung des Petenten, dass an diese Schicksale in angemessener Weise erinnert werden müsse. Dem Antragsteller sei bereits erläutert worden, dass die Wiedergutmachung von NS-Unrecht – das in der Sache als solches nicht wiedergutzumachen sei – vorrangige Aufgabe des Bundes sei. Unabhängig von der Einrichtung eines dauerhaften Fonds oder Ähnlichem stünden im Landeshaushalt grundsätzlich Mittel für die Gewährung von Einmalzahlungen in Höhe von bis zu 50.000 Euro für übergesetzliche Wiedergutmachungsleistungen auch an nicht unter den Anwendungsbereich des Bundesentschädigungsgesetzes fallende Personen zur Verfügung.

„Wir haben einstimmig beschlossen, die Petition zur Erwägung an die Landesregierung zu überweisen“, so Vorsitzender Thomas Marwein. In der Sitzung sei die Möglichkeit erörtert worden, dass die Landeszentrale für politische Bildung (LpB), bei der auch die Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit angesiedelt sind, als Schnittstelle fungieren könne. „Wir fordern Betroffene aus Baden-Württemberg und Menschen, die Betroffene kennen, gleichermaßen auf, sich beim Land oder bei der LpB zu melden“, führte Marwein aus. Man wisse nicht, wie viele Betroffene noch am Leben seien.

Dem zweiten Teil der Eingabe des Petenten, einen Erinnerungsort am landeseigenen Gebäude Bertoldstraße 43 in Freiburg zu schaffen, hat der Petitionsausschuss nicht abgeholfen. „Die Behörden vor Ort müssen untereinander klären, wo ein Ort des Gedenkens geschaffen werden kann“, so Marwein.