Buchvorstellung „Politische Köpfe aus Südwestdeutschland“ im Landtag

Birzele: Politik benötigt Identifikationsfiguren Stuttgart. „Politische Köpfe aus Südwestdeutschland“ heißt ein neues Buch der Landeszentrale für politische Bildung“, das am heutigen Dienstag, 29. November 2005, im Landtag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Diese Publikation zeige, was „politische Köpfe“ zu leisten vermögen und auf welche Weise sich politisch denkende Menschen in unterschiedlichen Epochen bewähren, sagte Landtagsvizepräsident Frieder Birzele bei der Begrüßung der Gäste. Politik benötige Identifikationsfiguren. Im Einzelnen führte Birzele aus: >>Der Föderalismus verlangt – erstens - mehr „politische Köpfe“ als der Zentralismus. „Politische Köpfe“ müssen sich – zweitens - auch außerhalb der Parlamente finden. Und die Summe der „politischen Köpfe“ formt – drittens – maßgeblich die politische Kultur eines Landes, die wiederum – viertens - nicht bloß ein akademisches Phänomen, sondern ein echter Standortfaktor ist. Mit diesen vier Feststellungen begrüße ich Sie auf das Herzlichste zur Vorstellung des 33. Bandes der „Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs“. „Politische Köpfe aus Südwestdeutschland“ – der schlichte Titel des Buches ist eine Untertreibung. Ich löse mich daher bewusst für einen Moment aus unserer stammestypischen Bescheidenheit und betone freiweg: Heute lernen wir eine feine Genealogie der politischen Elite des deutschen Südwestens kennen. Dieses handliche „Who’s Who“ mit dreißig gelungenen Kurzbiografien dokumentiert: „Politische Elite“ hat als Begriff zu Unrecht einen negativen Touch. Der Parlamentarismus und unsere demokratischen Grundwerte brauchen herausragende, prägende Charaktere – das heißt: authentische Persönlichkeiten, die Orientierung vermitteln, die Überzeugungen mit Leib und Seele leben und die deswegen über den Tag hinaus Haltungen und Ideen verkörpern. Man sagt, ein Mensch werde beim Kommen nach dem Gesicht beurteilt, beim Gehen aber nach dem Kopf. Und in der Tat: Aussehen, Eloquenz und Selbstinszenierung machen aus einem politischen Akteur keinen „politischen Kopf“. „Politischer Kopf“ - das ist ein Prädikat „sui generis“, das nur erworben werben kann • durch die Konsequenz, mit der man sich zu den existenziellen Herausforderungen seiner Zeit intellektuell positioniert; • und durch die Intensität, mit der man für das als richtig Erachtete faktisch einsteht. Folglich sollte die Kenntnis großer Persönlichkeiten schon deshalb zur politischen Allgemeinbildung zählen, weil sie hilft, gegen beides immun zu werden: sowohl gegen das mediale Dauerfeuer der Schlaumeier und Egomanen wie gegen das pauschalierende Stammtischgeschwätz über „die“ Politiker. Uns wird also ein Grundlagenbuch präsentiert, das zeigt, was „politische Köpfe“ zu leisten vermögen und auf welche Weise sich politisch denkende Menschen in unterschiedlichen Epochen bewähren mussten - und bewährt haben! Der historische Bogen spannt sich vom Kaiserreich bis in die sechziger Jahre. Und den „politischen Köpfen“ werden keine essayistischen Denkmäler gewidmet. Umso klarer tritt vor Augen: „Geschichte“ meint nicht lediglich Geschehenes; „Geschichte“ meint zudem Geschichtetes. Wir Heutigen stehen – unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit – in der Folge des Wirkens derer, die vor uns waren. Die „politischen Köpfe“, die uns das Buch näher bringt, sind Vorbilder. Trotzdem verbieten sich vordergründige Vergleiche mit der Gegenwart. Wir befinden uns mitten in der Aufgabe, ein hoch komplexes, in Teilen überfordertes Gemeinwesen Schritt für Schritt zu sanieren. Das ist ein spezifisches „Bohren dicker Bretter“ - und das muss sich im Erscheinungsbild der Politik und ihrer führenden Repräsentanten niederschlagen. Hinzu kommt: Die staatliche Gestaltungsmacht schrumpft; die Politik agiert immer häufiger aus der Defensive. Unverändert jedoch speist sich Politik aus dem Antagonismus zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Politik braucht deshalb Ethik und Moral, wie der Rest der Gesellschaft einschließlich der Wirtschaft. Und deshalb benötigt Politik Identifikationsfiguren – wohlgemerkt: Identifikationsfiguren, nicht Ikonen! Benjamin Disraeli hat diesen Gedanken in den guten Rat gepackt: „Lies keine Geschichten, nur Biographien - denn das ist Leben ohne Theorie.“ Sie, meine Damen, sehen das offenkundig genauso. Und ich freue mich sehr, dass Sie trotz der vorweihnachtlichen Terminfülle die Zeit gefunden haben, den „politischen Köpfen aus Südwestdeutschland“ die Reverenz zu erweisen. Danken möchte ich der Landeszentrale für politische Bildung, dass sie durch den 33. Band der „Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs“ das Anliegen unterstützt, politisch-historische Bildung nicht auf das memotechnische Aneinanderreihen geschichtlicher Ereignissen zu reduzieren. 33 wird ja gemeinhin zur Familie der „Schnapszahlen“ gerechnet. Dieses Buchprojekt zu initiieren, war freilich das schiere Gegenteil einer „Schnapsidee“: Es war ein genialer Einfall, die besten Kenner der Politik- und Parlamentsgeschichte unseres Landes für dieses „Jointventure“ zu verpflichten. Meine Hochachtung gilt den Autoren. Entstanden ist eine rundherum sympathische Schrift. Die wohltuend individuellen Beiträge fügen sich zu einem homogenen Ganzen fügen. Und der hohe wissenschaftliche Standard schmälert nicht die Verständlichkeit und die leichte Lesbarkeit. Der Band „Politische Köpfe aus Südwestdeutschland“ ist mehr als Nachschlagewerk. Das liegt – zum einen – an der klugen, umfassenden Einführung, die von Passion der beiden Herausgeber für die Materie zeugt. Und das liegt – natürlich – an den Aufsätzen, die kein „Schnellimbiss“ sind und doch Appetit machen, sich mit jeweils betrachteten „politischen Kopf“ vertiefend zu beschäftigen. Diese Qualitäten des Buches spiegeln sich in unserem Programm wider: Zunächst erhalten wir eine bündig-hinführende Darstellung durch Sie, verehrter Herr Frick, als Direktor der LpB. Danach kommen - quasi exemplarisch - die Biografen von Friedrich Ebert und Theodor Heuss zu Wort, nämlich Sie, verehrter Herr Dr. Mühlhausen, und Sie, verehrter Herr Dr. Hertfelder. Herzlichen Dank für Ihre Mitwirkung! Perikles hat vor zweieinhalbtausend Jahren gesagt: „Der weiseste Ratgeber ist die Zeit“. Lassen wir uns in diesem Sinne ein auf die „Politischen Köpfe aus Südwestdeutschland“.