Bürgerinnen und Bürger müssen Diskussion um Europas Zukunft mitführen
Stuttgart. „Die Diskussion zur Zukunft der Europäischen Union kommt zur richtigen Zeit. Wir müssen sie sehr intensiv führen. Wir müssen sie ergebnisoffen führen und vor allem: wir müssen sie in die Hände der Bürgerinnen und Bürger legen“, zeigte sich Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) bei der Veranstaltung „Weißbuch zur Zukunft Europas“ am Mittwoch, 15. November 2017, im Haus des Landtags überzeugt.
Das von Kommissionspräsident Juncker vorgestellte Weißbuch biete dazu gute Voraussetzungen. Mit seiner Ergebnisoffenheit lege das Weißbuch die Grundlage, um die Bürgerinnen und Bürger zum Weiterdenken anzuregen und sie zu gleichberechtigten Teilnehmern der Debatte zur Zukunft Europas zu machen. „Wir brauchen diese Debatte in der Zivilgesellschaft, um zwei gegensätzliche Bewegungen wieder zusammenzubringen“, so die Landtagspräsidentin. Einerseits stelle sie bei Begegnungen mit Menschen im Land fest, dass das Bewusstsein für europäische Werte und der Wunsch nach Zusammenhalt steige. Zugleich gebe es Skepsis gegenüber den Institutionen der Europäischen Union. So habe die EU etwa beim Umgang mit den hohen Flüchtlingszahlen nicht funktioniert. Aber nicht weil die Union als solche versagt habe. Sondern weil einzelne Partner Solidarität in Europa verweigert hätten. Je stärker eine solche national-egoistische Politik die Prinzipien der europäischen Zusammenarbeit in Frage stellten, umso mehr sei vielen Menschen bewusst geworden, wie wertvoll sie sind.
Professor Dr. Martin Selmayr, Kabinettchef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, verwies in seinem Impulsreferat auf die drei Gründungsversprechen der EU: das Wohlstands- bzw. Stabilitätsversprechen, das Freiheits- und Werteversprechen sowie das Sicherheitsversprechen. Daraus resultiere aber auch ein Problem: die EU verspreche Werte, die nur ein Staat versprechen kann, die EU sei aber kein Staat. Dr. Selmayr sprach von Krisen, die die EU verändert haben. Er nannte unter anderem die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007, die Flüchtlingskrise, die Terrorismuskrise sowie die Russlandkrise. Er sah aber auch eine Wertekrise in der EU. „Jetzt ist der Moment, um die Zukunft Europas in die Hand zu nehmen“, so Dr. Selmayr. Jean-Claude Juncker habe im Weißbuch zur Zukunft Europas fünf Szenarien aufgezeigt. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen“, so der Kabinettchef. Die Szenarien skizzierte er wie folgt: Szenario 1: „Weiter wie bisher“, Szenario 2: „Schwerpunkt Binnenmarkt“, Szenario 3 „Wer mehr will, tut mehr“, Szenario 4: „Weniger, aber effizienter“ und Szenario 5: „Viel mehr gemeinsames Handeln“.
Bis zum 9. Mai 2019 sollen Ergebnisse aus dem Konsultationsprozess vorgestellt werden, so Dr. Selmayr. Das wäre sechs Wochen nach dem BREXIT und sechs Wochen vor der nächsten Europawahl. „Europa wird immer ein unvollendetes Projekt sein. Wir müssen jeden Tag daran arbeiten“, so sein Fazit.
Anschließend diskutierten Evelyne Gebhardt MdEP (Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der Europaunion Baden-Württemberg), Rolf-Dieter Krause (ehem. Leiter des ARD-Studios Brüssel), Thomas Schmid (ehem. Chefredakteur und Herausgeber der Welt-Gruppe) sowie Prof. Dr. Martin Selmayr und beantworteten auch Fragen des interessierten Publikums. Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Willi Stächele (Vorsitzender des Ausschusses für Europa und Internationales). Stächele kündigte an: „Im Ausschuss für Europa und Internationales werden wir diese Diskussion engagiert weiterführen und nach außen tragen. Der Ausschuss wird vor Ort gehen und das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg suchen.“