Das Thema Analphabetismus aus seinem Schattendasein holen
Stuttgart. Jeder sechste deutsche Erwachsene liest wie ein Zehnjähriger. Dies ist ein Ergebnis der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies), mit der sich der Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport in seiner Sitzung am Mittwoch, 12. März 2014, befasst hat. Wie der Vorsitzende des Gremiums, der Grünen-Abgeordnete Siegfried Lehmann, mitteilte, gebe es in Baden-Württemberg nach Schätzungen des Volkshochschulverbandes rund eine Million funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten. „Das sind erschreckende Zahlen. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf. Bund und Länder haben mit weiteren Partnern die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener gegründet, die bis 2016 fortgesetzt und intensiviert werden soll. Das Thema Analphabetismus muss aus seinem Schattendasein geholt werden“, forderte Lehmann.
„Baden-Württemberg wird darauf drängen, diese Nationale Strategie auszuweiten und über 2016 hinaus zu verlängern. Alle in Deutschland lebenden Erwachsenen sollten ausreichende Kenntnisse im Schreiben und Lesen haben“, so der Ausschussvorsitzende. Das Land setze sich mit vielseitigen Angeboten an Institutionen und Einrichtungen für die Alphabetisierung ein. „Seit der Landtagsenquetekommission ‚Fit für das Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Bildung, Aus- und Weiterbildung‘ sind wir auf einem guten Weg, Risikogruppen wie Bildungsbenachteiligte in eine höhere Weiterbildungsbeteiligung zu führen“, hob Siegfried Lehmann hervor. Insbesondere würden durch das Bündnis für lebenslanges Lernen von relevanten Trägern der Weiterbildung und der Landesregierung wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wie der Ausschussvorsitzende ausführte, werde aktuell ein Landesnetzwerk Weiterbildungsberatung konzipiert und ein digitaler Weiterbildungscampus installiert. „Diese Maßnahmen verfolgen das Ziel, dass Menschen sich besser orientieren und einen niedrigschwelligen Zugang zur digitalen Welt erhalten“, betonte Lehmann. Wichtig sei, Strategien zu entwickeln, um die Betroffenen auch zu erreichen.
Außerdem würden mit Enquetemitteln Projektförderlinien aufgelegt, um die Weiterbildungsbeteiligung von bildungsfernen Personen zu erhöhen. Zudem seien die Grundfördermittel der Träger der allgemeinen Weiterbildung wie z.B. Volkshochschulen in drei Schritten um 4,3 Millionen Euro erhöht worden. Lehmann führte ferner aus, dass 2013 ein Impulsprogramm Alphabetisierung in Höhe von 200.000 Euro initiiert worden sei, um mehr Kurse für funktionale Analphabeten durchführen zu können. „27 Weiterbildungsträger erhalten aktuell eine Förderung“, berichtete Lehmann.
Funktionaler Analphabetismus sei laut dem Bundesverband Alphabetisierung e.V. kein individuelles, sondern ein multikausales gesellschaftliches und strukturelles Problem. Funktionale Analphabeten seien Menschen, die zwar Buchstaben erkennen und durchaus in der Lage seien, ihren Namen und ein paar Wörter zu schreiben, die jedoch den Sinn eines etwas längeren Textes nicht verstünden und daraus keinen praktischen Nutzen ziehen könnten. Weiter erläuterte Lehmann, dass dies auf über 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland zutreffe, wie die sogenannte „Level-One-Studie“ (LEO) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für das gesamte Bundesgebiet festgestellt habe. PIAAC habe erstmals auf wissenschaftlicher Ebene das Alltagswissen von Erwachsenen im Vergleich von 24 teilnehmenden Ländern untersucht. Wie Siegfried Lehmann darlegte, sei Deutschland lediglich Mittelmaß im internationalen Vergleich. Jüngere Menschen hätten besser abgeschnitten als ältere. Entscheidender Faktor sei der Bildungshintergrund der Menschen.