Dr. Renate Köcher über Land und Leute aus demoskopischer Sicht
Landtagspräsident Straub eröffnet vierten und letzten Vortragsabend im Rahmen des Landesjubiläums Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Zum Abschluss der von Landtag und Landesregierung anlässlich des 50-jährigen Landesjubiläums veranstalteten vierteiligen Vortragreihe sprach am Dienstagabend, 12. November 2002, im Haus des Landtags die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach Dr. Renate Köcher. „Typisch Baden-Württemberg: Urteile, Vorurteile, Meinungen 1952 – 2002“ lautete der Titel ihrer Betrachtungen über Land und Leute. Begrüßt wurden die Referentin und die zahlreichen Gäste von Landtagspräsident Peter Straub (CDU). Wörtlich führte der Präsident aus: >>Stuttgart als Landeshauptstadt? Karlsruhe als Sitz des Bundesverfassungsgerichts? Oder Allensbach, eine Gemeinde mit 7.000 Einwohnern am badischen Bodensee-Ufer? – Welcher Name einer baden-württembergischen Kommune erscheint am häufigsten auf den ersten Seiten der überregionalen Tageszeitungen? Verehrte Anwesende, Sie sind – umgangssprachlich gesagt – „nicht im falschen Film“ - Sie haben sich nicht in die Quizarena von Günther Jauch verirrt. Sie sind richtig beim vierten und abschließenden Abend der kleinen, aber hochkarätigen Vortragsreihe, für die Landtag und Landesregierung vier herausragende - geborene oder „gewordene“ - Baden-Württemberger gewinnen konnten, um eines zu tun – nämlich Baden-Württemberg, seine Menschen und die landestypischen Feinheiten vor dem Horizont unseres Landesjubiläums aus ihrer individuellen Sicht zu beleuchten. Und ich freue mich sehr, dass auch die Einladung zum heutigen Vortrag eine bemerkenswerte Resonanz gefunden hat – trotz des beginnenden Jahresendspurts und der vermehrten Verpflichtungen, die deshalb unsere Kalender füllen. Leider musste ausgerechnet mein „Co-Produzent“, Herr Ministerpräsident Teufel, diesem Termindruck Tribut zollen: Er ist durch eine Veranstaltung in Berlin gebunden und bittet, sein Fehlen hier bei uns zu entschuldigen. Umso herzlicher möchte ich Sie alle, meine Damen und Herren, willkommen heißen und Ihnen für Ihr Interesse danken. Mein besonderes „Grüß Gott“ gilt selbstredend der beeindruckenden Frau, die die nächsten zwei Stunden hier bestreiten wird: Herzlich willkommen, verehrte Frau Dr. Köcher – wir freuen uns, dass Sie unserem Vortragszyklus einen krönenden Abschluss verleihen. Enttäuschen muss ich Sie, meine Damen und Herren, jetzt allerdings, wenn Sie von mir eine Antwort erwarten auf meine Eingangsfrage, welcher Name einer baden-württembergischen Kommune am häufigsten auf den ersten Seiten der überregionalen Tageszeitungen erscheint. Säße ich bei Günther Jauch auf dem Kandidatenstuhl, käme ich nicht umhin, den beliebtesten Joker zu ziehen und das Votum des Publikums abzurufen. Das möchte ich jetzt aber nicht tun, denn das können wir ebenso gut bei einem Glas Wein im geselligen Teil des Abends, zu dem ich Sie jetzt schon einladen möchte, nachholen. Tatsache ist jedoch zweifellos: Selbst wenn Allensbach im Vergleich mit Stuttgart und Karlsruhe nicht am häufigsten auf den politischen Seiten der Presse erwähnt werden sollte – in den vielfältigen Betrachtungen zu unserem Landesjubiläum ist es zu kurz gekommen, und das ist unter mindestens zwei Aspekten ein Fehler. Denn zum einen bedeutete die Gründung des ersten deutschen Meinungsforschungsinstituts durch Elisabeth Noelle-Neumann und Ihren Gatten Erich-Peter Neumann am 8. Mai 1947 – also exakt zwei Jahre nach Kriegsende - den Beginn einer jener unternehmerischen – und in diesem Fall auch wissenschaftlichen – Erfolgsgeschichten, auf die wir Badener und Württemberger gemeinsam stolz sind: Marktführer kommen auch in unserer persönlichen Wahrnehmung immer aus Baden-Württemberg – nie aus Baden oder aus Württemberg! Übrigens: Elisabeth Noelle-Neumann hatte die Demoskopie in Amerika kennen gelernt und studiert – womit ich an die gerne übersehene Facette erinnern möchte, dass Weltoffenheit ein häufiges Persönlichkeitsmerkmal von Unternehmensgründern im deutschen Südwesten ist, gerade auch im Mittelstand. Und noch mal „übrigens“: Wie etliche derartige Erfolgsgeschichten begann auch die, für die „Allensbach“ als Synonym steht, in einer schlichten Garage – in einer Garage, die es noch gibt und die des Denkmalsschutzes wohl nicht unwürdig wäre. Und ein letztes „Übrigens“: Das Institut für Demoskopie gehört zu jenen von der Gründerpersönlichkeit geprägten Unternehmen, die – was nicht überall gelingt - den Generationswechsel hervorragend hinbekommen haben. Nicht nur die operative Geschäftsführung und die Außenrepräsentanz sind gut gemanagt in jüngere Hände – in Ihre Hände, verehrte Frau Dr. Köcher – übergegangen, sondern eben auch die Passion für das Metier und der hohe Selbstanspruch, das Original zu bleiben. Der zweite Aspekt, warum Allensbach in den historischen Reminiszenzen anlässlich unseres Landesjubiläums nicht fehlen darf, ist ganz einfach, dass von Allensbach aus die Demoskopie als Hilfsmittel der Demokratie in der Auseinandersetzung um den Südweststaat erstmals so richtig zum Einsatz kam. Die ersten Umfragen zur Erforschung der politischen Meinung hatte – man höre und staune – die Regierung des Landes Baden in Freiburg schon 1948 in Auftrag gegeben. Dann stand Elisabeth Noelle-Neumann vor jetzt 51 Jahren mit an der Wiege des neuen Bundeslandes – nicht als Geburtshelferin, aber – um im Bild zu bleiben – als jene, die die richtige Schwangerschaftsgymnastik empfohlen hatte: Denn vor der Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 wurde durch Meinungsumfragen im vermeintlich und – wie sich herausstellen sollte – auch tatsächlich maßgeblichen Abstimmungsbezirk Nordbaden professionell erforscht, welche Argumente besonders zugkräftig sein würden. Und schließlich war Allensbach auch dabei, als um den Namen für das „Kind“ gerungen wurde: Bei einer Umfrage, die das Allensbacher Institut für Demoskopie im Juni 1953 erstellte, sprachen sich 32 Prozent der 1.500 Befragten für „Baden-Württemberg“ aus. Die umgekehrte Reihenfolge „Württemberg-Baden“ favorisierten nur 19 Prozent; für den Namen „Schwaben“ stimmten 15 Prozent. 22 Prozent machten keine Angaben. Am Rande sei allerdings vermerkt, dass sich die Verfassunggebende Landesversammlung nicht reflexartig nach der Veröffentlichung dieser Umfrage im Frühsommer 1953, sondern erst unmittelbar vor der Verabschiedung der künftigen Landesverfassung am 11. November für den Namen „Baden-Württemberg“ aussprach. Damals war man offensichtlich noch etwas weiter entfernt von dem, was in der Sprache unserer Tage „Stimmungsdemokratie“ heißt. Mit dem Begriff „Stimmungsdemokratie“ ist ein Phänomen angesprochen, um das es heute Abend nicht – oder zumindest nicht im Schwerpunkt – gehen soll, obschon es genügend – auch sehr aktuelle – Gründe gäbe, darüber zu räsonieren, und obschon es kein überflüssiges Unterfangen wäre, dabei manches Urteil über das Verhältnis von Politik und Demoskopie zu hinterfragen. Eine Feststellung sei mir aber – in einer letzten Anlehnung an die Quizsendungen mit Kultstatus - gestattet: Wir Politiker missachten unseren Auftrag, wenn wir bei schwierigen, protestträchtigen Problemen Meinungsumfragen als „Publikumsjoker“ betrachten. Die Demoskopie wird gerne und zu Recht mit einem Seismographen verglichen – es wäre jedoch verkehrt sie als Kompass zu gebrauchen: Die politische Wegweisung gehört nicht zu ihren Aufgaben. Und politischen Mut müssen wir Politiker aus anderen Quellen schöpfen. Ob Politiker oder nicht – in diesem Wahljahr konnte es leicht passieren, dass wir die Demoskopen und ihr Tun auf die so genannte „Sonntagsfrage“ verengt und damit verzerrt wahrgenommen haben. Demoskopen – auch und gerade die in Allensbach - verdienen ihr Geld aber nicht vornehmlich bei Wahlen. Marktforschung, Mediaforschung, Sozialforschung – die Demoskopie ist in den letzten fünf Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Informationsinstrumente in den modernen Gesellschaften geworden. Nicht nur öffentliche Institutionen und Parteien, viele – insbesondere die Wirtschaft und jüngst selbst die Evangelische Kirche – haben ein Interesse, das Volk qualifiziert zu „beschauen“ und vor allem die Wünsche und Einstellungen der Bevölkerung zu entschlüsseln. Demoskopie blickt in unsere Köpfe, misst unsere Vorlieben und kondensiert die Ergebnisse zu allgemein verständlichen Befunden. Zu Befunden, die natürlich nur Momentaufnahmen darstellen – zumal in unserer „beschleunigten“ Zeit. Aber wenn alle Befunde aufbewahrt und aneinandergereiht werden, dann wächst ein spezifischer, facettenreicher Wissensschatz. Und über den größten derartigen Wissensschatz verfügt – man ist geneigt zu sagen – „natürlich“ das Institut für Demoskopie in Allensbach. Sie, verehrte Dr. Frau Köcher, werden uns heute Abend einen kleinen Einblick in das geben, was „Allensbach“ in fünf Jahrzehnten über uns Baden-Württemberger herausgefunden hat. Sie werden damit unsere Neugier über uns selbst befriedigen. Auf diese anspruchvolle, sicher auch amüsante und hoffentlich schmerzfreie Form der Selbsterkenntnis freuen wir uns. Und weil es nicht auszuschließen ist, ja weil es im Grunde sogar gewollt ist, dass die anschließende Diskussion – frei nach Woody Allan – unter der Überschrift steht „Was Sie schon immer über uns Baden-Württemberger wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“, haben wir die Diskussionsleitung wieder in die bewährten professionellen Hände unseres – ich darf ihn so nennen – „Hausmoderators“ Dr. Michael Zeiss vom SWR-Fernsehen gelegt, den ich hiermit last but not least ganz herzlich begrüßen möchte. Verehrte Frau Dr. Köcher, Sie haben jetzt das Wort. Wer sind die Baden-Württemberger, die aus den Befunden des Allensbacher Instituts für Demoskopie heraustreten? Wir alle sind gespannt, in unser demoskopisches Abbild zu schauen!