Empfang im Konzerthaus „Landtag trifft Südbaden in Freiburg“

Landtagspräsident Straub würdigt staatspolitische Leistungen Südbadens für das gesamte Land Freiburg. Anlässlich der auswärtigen Plenarsitzung des Landtags in Freiburg hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Mittwochabend, 16. Oktober 2002, zu einem Empfang in das Konzerthaus eingeladen. Bei der Veranstal-tung, die unter dem Motto „Landtag trifft Südbaden in Freiburg“ stand und vom Jacques Offenbach Salontrio musikalisch umrahmt wurde, konnte Straub rund 500 Gäste begrüßen. Wörtlich sagte der Präsident: >>50 Jahre Baden-Württemberg – wir feiern unser Landesjubiläum in vielfältiger Form. Mal rückblickend, mal zukunftsweisend, mal fröhlich, mal mit Tiefgang. Aber immer, um zu zeigen: DAS sind wir! Und zu diesem „DAS sind wir“ gehört eben, dass wir die leidenschaftliche Auseinandersetzung um die Bildung des Südweststaa-tes als Teil unseres gemeinsamen politischen Erfahrungsschatzes betrachten. Ge-hört eben, dass wir uns als ein Land der Regionalisten verstehen, die sich aber alle finden im Satz „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Gehört eben, dass unsere Freundschaft zu Frankreich und unsere Verankerung in Europa wesentlich begründet worden sind durch die badische Fähigkeit, mit Grenzen positiv umzuge-hen. Schon aus diesen drei Aspekten ist es dem Landtag wichtig gewesen, Südbaden die Reverenz zu erweisen und die staatspolitischen Leistungen zu würdigen, die hier für unser gesamtes Land erbracht worden sind und erbracht werden. Und umso mehr freut es mich und meine Kolleginnen und Kollegen, dass unsere Einladung zum Empfang „Landtag trifft Südbaden in Freiburg“ eine derart große Resonanz gefunden hat. Ich grüße Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf das Herzlichste und danke Ihnen, dass Sie den Weg hierher auf sich genommen haben. Durch Ihr Kommen verleihen Sie der politischen Geste des Landtags das erhoffte Echo im Sinne der Botschaft „DAS sind wir“. Ich denke, wir alle, meine Damen und Herren, haben es im Laufe des Jahres mehr-fach so empfunden: Auch nach fünf Jahrzehnten liest sich die Auseinandersetzung um die Bildung des Südweststaates noch höchst spannend. Das - freilich - befördert das bequeme Denken in Rollenklischees und in so pauschalen Kategorien wie Sieg und Niederlage. Wer jene Phase unserer Landesgeschichte jedoch gleichsam mit der Mentalität eines Konsumenten von Seifenopern betrachtet, der schlägt ein politi-sches Erbe aus und der verzichtet auch auf ein Stück Selbstvergewisserung. Leo Wohleb und seine Mitstreiter waren weder Partikularisten noch rückwärts stre-bende Traditionalisten; und schon gar nicht ging es ihnen darum, irgendein Schwarzwaldidyll zu bewahren. Leo Wohleb und seine Mitstreiter waren Föderalis-ten. Föderalisten, die zwar auf die historischen Grenzen pochten, die aber das aus ihrer Sicht wiederherzustellende alte Land Baden immer eingebettet sahen nicht nur in ein föderales Deutschland, sondern vor allem in ein föderales Europa. So be-zeichnet sich das „Nachkriegs-Baden“ in seiner Verfassung von 1947 als „demokra-tischer und sozialer Freistaat und ein Glied der Gemeinschaft der deutschen Län-der“. Und der Badische Landtag stimmte dem Grundgesetz zu, wobei er den Artikel 118 – die Südweststaatsklausel - aus übergeordnetem Interesse trotz schwerster Bedenken schluckte. Als Föderalisten bewegte Leo Wohleb und seine Mitstreiter die Frage, welche Struk-turen das Wohl des Einzelnen im nationalen und im europäischen Rahmen am bes-ten gewährleisten würden. Sie sahen im Grunde schon damals jene Aufgabe, die mit dem Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip in unserer modernen Zeit unweigerlich verbunden ist -nämlich die Aufgabe, den Wert kleiner Einheiten gegen die Chancen gebündelter Kräfte verantwortungsvoll auszutarieren. Heute wissen wir, dass die großen Potentiale, die konstruktiven inneren Prozesse und die Kraft zur inneren Plu-ralität des Südweststaates von Leo Wohleb und seine Mitstreitern unterschätzt wor-den waren. Wir sollten jedoch erkennen und vor allem sollten wir anerkennen, dass vieles von dem, was die Gegner der Dreierfusion im Kern bewegte, durchaus nahe bei dem liegt, was wir heute angesichts der Globalisierung und Ökonomisierung un-seres Lebens denken, fühlen und politisch wollen. Das kurze Dasein des Bundeslandes Baden war geprägt vom Kampf um die Länder-neugliederung. Gleichwohl wäre es verkehrt, Südbaden als politisches Gebilde zwi-schen 1945 und 1952 auf die Gegnerschaft zum Südweststaat zu reduzieren und die staatspolitischen Leistungen gering zu achten, die hier erbracht wurden und die ein sehr konkretes Wiederanknüpfen an den Geist der Revolution von 1848/49 darstell-ten. Leo Wohleb, Anton Dichtel und Karl Person; Fritz Schieler und Richard Jäckle; Georg Menges und Paul Waeldlin und alle anderen, die in Legislative und Exekutive Verantwortung trugen, waren sich einig im Bestreben, das demokratische Denken und Handeln nach dem Ende der Nazidiktatur im – man darf wohl so sagen – „ deut-schen Stammland der Demokratie“ wieder freizulegen und in Gang zu bringen. Mit Leidenschaft und Geschichtsbewusstsein, mit Würde und Tiefgang formten sie eine wegweisende, wehrhafte Verfassung. Eine Verfassung, die das Konstruktive Miss-trauensvotum kannte, die den Rechten des Einzelnen einen Katalog der „Grund-pflichten“ gegenüberstellte und die der Kommunalen Selbstverwaltung hohe Bedeu-tung einräumte. Und es gelang, durch funktionierende Institutionen Vertrauen zu schaffen. Wie es dem alten badischen Selbstverständnis ab 1819 entsprach, war das Bundes-land Baden ein fortschrittliches Gemeinwesen – besonders in der Sozialgesetzge-bung – von der Kriegsopferversorgung bis zur betrieblichen Mitbestimmung - und fast noch wichtiger in der Bildung: Man praktizierte das Zentralabitur; und mit der Festlegung auf die „Simultanschulen mit christlichem Charakter im überlieferten ba-dischen Sinn“ fand man ein zeitgemäßes Muster für den erstrebten Kulturföderalis-mus. Richtig dabei ist, dass der französischen Besatzungsmacht und deren – ver-ständlichem - Misstrauen viele Rechte abgerungen werden mussten und dass es in praktischen Fragen oft eines langen geduldigen Verhandelns bedurfte. Die Räumung der Stadt Kehl und das Errichten eines gemeinsamen Hafenregimes für Kehl und Straßburg sind Beispiele dafür. Aber richtig ist genauso, dass sich das vom Krieg ebenfalls geschundene und inner-lich zerrissene Frankreich seiner besonderen Funktion bewusst war als unmittelbarer Andockpunkt für die Rückkehr Deutschlands in die Völkergemeinschaft und damit für das Restaurieren demokratischer Rechtsinstitute und Prinzipien. Darüber hinaus vernachlässigte Frankreich trotz aller eigenen Probleme eines nicht: die Kulturpolitik bis hin zur frühen Begründung des Jugendaustausches. Schon 1946 wurde hier in Freiburg das erste „Institut français“ eröffnet. Die Verständigung, Zusammenarbeit und Aussöhnung zwischen Franzosen und Deutschen bekam einen Leuchtturm, dessen Bedeutung nicht geschwunden ist. Die Gründung des Landes Baden-Württemberg, die in Südbaden verständlicherweise nur langsam Akzeptanz finden konnte, hat manches verändert. Manches aber auch nicht. Freiburg zum Beispiel ist badisch geblieben, genauer gesagt: südbadisch – und wohl auch deshalb liegen die Stadt und ihr Umland auf Platz zwei in Deutschland, wenn nach der Zufriedenheit mit dem Leben am Wohnort gefragt wird. Und was für Freiburg gilt, darf man verallge-meinern: Südbaden ist Südbaden geblieben. Die traditionellen Einheiten in unserem kleinteilig und vielfältig strukturierten Raum konnten ihre Identität bewahren. Und sie taten und tun das nicht weinerlich, sondern selbstbewusst; nicht auf die Landes-hauptstadt starrend, sondern nach Westen und auch nach Süden orientiert. Die bes-ten Mittel gegen zentralistische Tendenzen sind eben nicht das Verharren in einer märtyrerhaften Abwehrhaltung oder gar das Instrumentalisieren der "Badenfrage". Die besten Mittel sind, - in aufrechter, souveräner Loyalität zum Ganzen - den Ges-taltungsauftrag der Kommunalfreiheit weit auszulegen, die eigenen Stärken auszu-bauen und das individuelle Profil zu schärfen. Und ich bekräftige es gerne: Eine dieser Stärken war und ist, dass in Südbaden das Miteinander – auch das grenzüberschreitende Miteinander – einfach dazu gehört. Und das hat sich nicht nur positiv niedergeschlagen durch freiwillige Kooperation auf kommunaler Ebene und durch die selbst organisierte, grenzüberschreitende Zu-sammenarbeit im Dreiländereck, am Bodensee und am Oberrhein. Das hat auch un-ser ganzes Land weitergebracht: Von Südbaden aus ist so manchem in Stuttgart die Angst vor der Regionalität genommen und zugleich ein Muster geliefert worden, wie Stadt-Umland-Probleme angepackt werden können. Und die eingangs erwähnte er-erbte badische Fähigkeit, unbefangen mit Grenzen umzugehen, hat 1995 quasi Ver-fassungsrang erhalten: Die Präambel unserer Landesverfassung qualifiziert die För-derung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit seither explizit als Staatsziel. Meine Damen und Herren, „Das Wichtigste an der Demokratie ist der Wille, Schwie-rigkeiten und Meinungsverschiedenheiten durch gemeinsame Beratung zu lösen – und die Bereitwilligkeit der Bürger, Opfer im Interesse des Gemeinwohls auf sich zu nehmen“. Dieser Satz ist 55 Jahre alt – er stammt von Leo Wohleb. Und ich zitiere nicht allein als Ehrbekundung für diesen bedeutenden Akteur unserer jüngeren Ge-schichte. Ich zitiere ihn auch, um abschließend der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass beides - gerade in nächster Zukunft - zu unserem gemeinsamen baden-württembergischen „DAS sind wir“ gehört: der Wille, Schwierigkeiten und Meinungs-verschiedenheiten durch gemeinsame Beratung zu lösen, und die Bereitwilligkeit, Opfer im Interesse des Gemeinwohls auf sich zu nehmen.