Eröffnungsrede zum Tag der offenen Tür im Landtag

Präsident Straub: Substanz der Demokratie sind Menschen, die sich für Politik und deren Institutionen interessieren Stuttgart. Bei der Eröffnung des Tags der offenen Tür im Landtag von Baden-Württemberg am Samstagvormittag, 9. Juli 2005, hat Landtagspräsident Peter Straub darauf hingewiesen, dass im Mittelpunkt dieser Veranstaltung Kommunikation und Transparenz stehen. Mit Blick auf die zahlreichen Besucherinnen und Besuchern erklärte Straub im Plenarsaal: „Die Substanz der Demokratie sind Menschen, die sich für die Politik und deren Institutionen interessieren, die sich persönliche Urteile bilden und die aktiv werden.“ Im Einzelnen führte der Präsident aus: >>Herzlich willkommen in Stuttgart! Herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg! Sie hatten hoffentlich eine problemlose Anfahrt. Schön, dass sich bereits der Auftakt unseres „Tages der offenen Tür“ als Magnet erweist. Politikverdrossenheit sieht anders aus. Die Anziehungskraft eines Landesparlaments an einem Samstag im Sommer ist natürlich bloß ein grober Indikator. Ein bisschen lässt sich daran aber schon ablesen, ob die Distanz zwischen Bürgern und Politik wirklich so groß ist, wie manche behaupten. „Die da oben machen ohnehin, was sie wollen“ – dieser gängige Satz wird der Realität nicht gerecht. Und Sie, meine Damen und Herren, empfinden das genauso. Sie haben heute mit den Füßen abgestimmt, und zwar „pro Landtag“. Für dieses Votum – das heißt: für Ihr Kommen – danke ich herzlich. Sie beweisen einen Wesenzug, den unsere Gesellschaft mehr denn je braucht: optimistische Lust an neuen Erkenntnissen. Der „Tag der offenen Tür“ des Landtags findet heute zum dritten Mal statt. Bei der ersten Auflage im Jahr 2000 hatten wir 10.000 Besucherinnen und Besucher. Bei der zweiten im Jahr 2002 konnten wir um 20 Prozent zulegen auf 12.000. Selbstredend wollen wir weiter wachsen. Rezession und Stagnation gibt es in Deutschland ansonsten leider genug. Unser Problem ist, dass wir gewissermaßen mit uns selbst konkurrieren. Wir haben ständig geöffnet: Pro Jahr verzeichnen wir zwischen 40.000 und 50.000 Besucherinnen und Besucher, die den Landtag als „Politik-Werkstatt“ erleben wollen. Am meisten gefragt sind naturgemäß die Termine, an denen der Landtag zu Plenarsitzungen zusammentritt. Andererseits sind wir Abgeordneten an Plenartagen in ein enges Zeitkorsett gezwängt. Und sowohl die Landtagsverwaltung als auch die Beraterstäbe der Fraktionen müssen – umgangssprachlich formuliert - „volle Pulle ranklotzen“. Das bedeutet: Der Ablauf der Besuchsprogramme ist schematisiert. Blicke in das Innenleben des Parlamentsbetriebs sind – beim besten Willen – nur am Rande möglich. Und wir Abgeordnete haben wenig „Luft“, entspannte Gastgeber, Diskussionspartner und Lotsen durch die Gebäude zu sein. Heute ist das völlig anders. Das parlamentarische Tagwerk hat Pause; Kommunikation und Transparenz stehen im Mittelpunkt. Nicht nur die Pforte ist offen; fast alle Türen sind es – vom Archiv bis zum Stenografischen Dienst. „Tag der offenen Türen“ hätten wir die Veranstaltung nennen können. „Offene Türen“ – der Plural besagt: Wir wollen Ihnen, meine Damen und Herren, mannigfaltige Einsichten bieten – politische Einsichten, tatsächliche und nicht zuletzt menschliche. Lernen Sie uns kennen. Prüfen Sie Ihre Meinung über den Landtag, über uns Politiker und über die Verwendung Ihrer Steuergelder. Die Grundlagen dazu liefern wir Ihnen. Wir hoffen, dass wir jede Frage erschöpfend beantworten können. Und wir sind neugierig auf Ihre Zensuren. Ein umfangreiches Programm erwartet Sie. Angesichts der Ebbe in der Landeskasse mussten wir an der einen oder anderen Stelle Kosten vermeiden – Mühen jedoch haben wir keine gescheut, um Attraktives auf die Beine zu stellen. Betrachten Sie diesen „Tag der offen Tür“ einfach als opulentes Buffet. Als Buffet, das staatsbürgerliche „Nahrung“ in vielen Variationen offeriert: • schwere Kost und Habhaftes ebenso wie leichte Appetithappen und Sahnestückchen; • Anspruchsvolles und Tiefschürfendes ebenso wie Spielerisches für beide: für die Wähler von heute und speziell für die Wähler von morgen. Der „Tag der offenen Tür“ ist etwas, das es gerade in Zeiten des dezidierten Streits um den richtigen Weg auch geben muss: Er ist ein Gemeinschaftsprojekt: Alle, die hier tätig sind, wollen heute zeigen, wer und was sich hinter dem Begriff „Landtag“ verbergen, wie und mit welcher Ausstattung hier gearbeitet wird. Und „alle“ gilt wörtlich. Im Einsatz sind praktisch sämtliche 128 Abgeordnete plus die 132 Köpfe zählende Landtagsverwaltung plus die 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionsarbeitsstäbe plus unsere – in Anführungszeichen – „Untermieter“. „Untermieter“ meint: • erstens den Südwestrundfunk, der unter der Zuhörertribüne des Plenarsaals – also gegenüber von mir – hinter den Glasscheiben hochmoderne Rundfunkstudios betreibt. • zweitens die Privatradios, die direkt daneben ein „Basislager“ haben. • und drittens den Fernsehsender R.TV, der nachher zusammen mit den baden-württembergischen Kabelnetzbetreibern eine Innovation ins Werk setzen wird: das „Landtag-TV“. Unsere Plenarsitzungen haben künftig einen festen Platz im Kabelnetz und können zwar nicht live, sondern zeitversetzt, aber in ganzer Länge verfolgt werden. Ohne den SWR, ohne Radio Regenbogen, Radio 7 und Hitradio Antenne 1 wäre unser heutiges Informations- und Unterhaltungsangebot kleiner und unattraktiver. Im Alltag produzieren die Rundfunk- und Fernsehmacher den Rohstoff für eine demokratische Meinungsbildung – nämlich seriöse Berichte und kritische Analysen. In den nächsten Stunden stellen sie sich partnerschaftlich in den Dienst des Landtags. Und dafür möchte ich den Verantwortlichen und Mitwirkenden besonders danken. Eingeschlossen in diesen Dank sind die schreibenden Parlamentsjournalisten, die unserem „Tag der offenen Tür“ positive Vorberichte gewidmet haben und die über das heutige Geschehen hoffentlich nur Gutes berichten werden. Schließlich danke ich der „Marketing- und Absatzförderungsgesellschaft für Agrar- und Forstprodukte aus Baden-Württemberg“. Denn Sie, meine Damen und Herren, können zwischen Ihrer Anreise und Ihrer Heimreise eine weitere Reise unternehmen: eine kulinarische Reise durch Baden-Württemberg! Sie sind eingeladen, den „Süden zu schmecken“. 35 Betriebe und unsere Landtagsgaststätte sorgen bei moderaten Preisen für eine reiche Auswahl und erinnern zugleich daran, dass Heimatliebe auch durch den Magen gehen sollte. Den „Tag der offenen Tür“ als Ausdruck von Heimatliebe zu charakterisieren, wäre übertrieben. Von praktiziertem Landesbewusstsein darf man jedoch sprechen. Und dieses Landesbewusstsein muss sich doppelt bewähren: im europäischen Zusammenhang und im Rahmen unserer bundesstaatlichen Ordnung. Damit es aber keine Missverständnisse gibt: Die europäische Einigung hat uns 60 Jahre stabilen Frieden, materiellen Wohlstand und viele Annehmlichkeiten gebracht. Und Baden-Württemberg zählt zu den Regionen, die davon besonders profitiert haben. Wir wollen deshalb Europa so stärken, dass es mit Amerika und Asien mithalten kann. Und das schließt logischerweise ein, jene Fehlentwicklungen zu revidieren, die Europa schwächen. Zu den Fehlentwicklungen gehört, dass in Europa zu viele Aufgaben „gelandet“ sind, die besser und billiger von den Kommunen, Regionen und Mitgliedstaaten geregelt werden könnten. Nicht jedes Problem in Europa ist auch ein Problem für Europa. Auch Sie, meine Damen und Herren, werden die EU als undurchschaubare Regelungsmaschine empfinden. Die von den Franzosen und den Niederländern mehrheitlich abgelehnte EU-Verfassung hätte gerade insoweit entscheidende Verbesserungen gebracht. Darin liegt eine spezielle Tragik der negativ ausgegangenen Volksabstimmungen in unseren Nachbarstaaten. Wir sagen, dass die nationalen Parlamente – in Deutschland also auch die Landtage – viel früher und intensiver am europäischen Gesetzgebungsprozess beteiligt werden müssen. Denn es sind die Parlamente in den Mitgliedstaaten, die EU-Richtlinien umsetzen und die dann dafür die Verantwortung gegenüber den Bürgern tragen. Mehr und konkrete Verantwortung für die Landtage – das ist auch der Kern der so genannten Föderalismusreform. Die Marschrichtung ist zwingend: Rückverlagerung von Zuständigkeiten auf die Landtage, weniger Einfluss der Landesregierungen auf die Bundespolitik und damit größeren Freiraum auf beiden Ebenen. Je konsequenter man dieser Linie folgt, je besser für alle. Dass der erste Anlauf zur Auflösung der innerstaatlichen Blockaden vor einem halben Jahr gescheitert ist, war höchst bedauerlich, ja schädlich. Egal, wie der neue Bundestag zusammengesetzt sein wird – er muss sich dieser Aufgabe wieder stellen und ein nachhaltiges Ergebnis erzielen. Es geht nicht um platten Machtzuwachs für die Landtage. Es geht um Entscheidungsfähigkeit, Durchschaubarkeit und Bürgernähe. Es geht um klare Verantwortlichkeiten und die Chance, das eigene Land individuell weiterzuentwickeln und dabei erfolgreicher zu sein als die anderen. Positiver Wettbewerb statt zentralistischer Nivellierung - das bringt Fortschritt. Und das stärkt unsere Demokratie. „Stärkung der Demokratie“ ist ein hervorragendes Stichwort, um zum Ende meiner Rede und zum Anfang der Veranstaltung zu kommen. Denn die Substanz der Demokratie sind Menschen, die sich für die Politik und deren Institutionen interessieren, die sich persönliche Urteile bilden und die aktiv werden. Durch demokratiefaule Bürger fault die Demokratie. Demokratiebewusste Bürgerinnen und Bürger hingegen vermitteln der Demokratie Energie und Stabilität. So gesehen, ist dieser „Tag der offenen Tür“ ein – zulässiges - Doping für die Landespolitik. Deshalb, meine Damen und Herren: Nehmen Sie den Landtag in Beschlag! Wir sind bereit! Der „Tag der offenen Tür“ ist eröffnet!