Erste Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg

Präsident Straub drängt auf Reformen im Landtag Stuttgart. In seiner Antrittsrede als wiedergewählter Landtagspräsident hat Peter Straub (CDU) in der konstituierenden Sitzung des 14. Landtags am heutigen Dienstag, 13. Juni 2006, dafür plädiert, künftig mehr, aber kürzere Plenarsitzungen abzuhalten und Ausschüsse häufiger öffentlich tagen zu lassen. Durch die Föderalismusreform werde der Landtag in seiner Gesetzgebungsfunktion gestärkt und gewinne dadurch an Bedeutung, betonte Straub. Er sprach sich außerdem dafür aus, die Zahl der Wahlkreise zu verringern, das System der Abgeordnetenentschädigung neu zu ordnen und die Unvereinbarkeitsregelung zwischen Amt und Mandat zu ändern. Der Neubau eines Plenarsaals sollte nach Ansicht des Präsidenten noch in dieser Wahlperiode in Angriff genommen werden. Im Einzelnen sagte Straub: >>Ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie mich zum Präsidenten des 14. Landtags von Baden-Württemberg gewählt haben. Ich sehe dies als großen Vertrauenserweis an und werde mir alle Mühe geben, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Es gehört zu meinem Amtsverständnis, dass ich Ansprechpartner aller Abgeordneten bin. Jede und jeder von Ihnen soll das Gefühl haben, dass ich mich für alle Kolleginnen und Kollegen verantwortlich fühle und mich für die Wahrung Ihrer Rechte einsetze. Dies will ich vor allem auch gegenüber den neu gewählten Abgeordneten versichern. Wo immer es Fragen geben mag, ich bin mit meiner Verwaltung für Sie da. Im Jahr 1956, also vor 50 Jahren, hat die Wahlperiode des 1. Landtags, der aus der Verfassunggebenden Landesversammlung hervorgegangen ist, ihren Abschluss gefunden. Der Landtag von Baden-Württemberg kann also auf eine über 50-jährige Tätigkeit zurückblicken. Dies mag Anlass sein, über unsere parlamentarische Arbeit nachzudenken. Damit sind wir beim Thema Parlamentsreform, die nie abgeschlossen, sondern eine ständige Aufgabe ist. Es ist mir aufgefallen, dass die Feststellung – ehrli¬cherweise manchmal auch nur Zielgröße – „Baden-Württemberg ist Spitze“ meist nur in Berichten der Regierung steht. Ich frage mich, warum dies nicht auch für den Landtag gelten soll. Auch er muss auf der Höhe der Zeit sein und ständig an sich arbeiten, seine Organisation und seine Arbeitsstrukturen verbessern. Ohne Ihnen fertige Lösungen anbieten zu wollen, erscheint mir der eine oder andere Punkt einer Überlegung wert: So haben einzelne Parlamente mit dem Instrument der Regierungsbefragung gute Erfahrungen gemacht und es ist wohl damit gelungen, die Plenarsitzungen lebendiger zu gestalten. Gerne greife ich die Anregung aus dem Kreis der Fraktionen auf und mache mich dafür stark, mehr, dafür aber kürzere Plenarsitzungen durchzuführen. Denn nur das Plenum ist wirklich geeignet, die politisch-parlamentarische Debatte vor den Augen der Öffentlichkeit auszutragen und die Themen, die uns angehen, in die Öffentlichkeit zu transportieren. Mehr Plenarsitzungen bewirken auch mehr Rede und Gegenrede. Das bisher starre Regime der Redezeiten kann lockerer und flexibler gehandhabt werden und die Abgeordneten sind nicht in gleichem Maße, weil sie mit kurzen Redezeiten auskommen müssen, auf das Verlesen von Redemanuskripten angewiesen. Auch außerhalb des Plenums sollten wir die parlamentarische Arbeit transparenter machen, indem wir mehr öffentliche Anhörungen durchführen und häufiger öffentliche Ausschusssitzungen abhalten. Die Geschäftsordnung gibt uns dazu schon jetzt die Möglichkeit, was aber in der Praxis kaum ausgeschöpft wird. Eine wichtige Botschaft sowohl für Regierung und Verwaltung wie für die Öffentlichkeit ist es, die Präsenz des Landtags zu gewährleisten. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass meine Anregung aufgegriffen werden soll, die parlamentslose Zeit zwischen dem Arbeitsende des alten Landtags und der Konstituierung des neuen Landtags zu verkürzen. Von der Vorverlegung der Wahlperiode um einen Monat wird nicht nur das Parlament profitieren, sondern sie wird als einen nicht unerwünschten Nebeneffekt auch einen Sparbeitrag erbringen. Es ist für mich klar, dass sich der Landtag auch inhaltlich neuen politischen Herausforderungen stellen und sie aufnehmen muss. Dies hat er, um ein Beispiel zu nennen, in der Europapolitik und bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich praktiziert. Ohne unbescheiden zu sein, kann ich feststellen, dass er auf diesen Politikfeldern im Vergleich mit anderen Landtagen Schrittmacher ist. Durch die Einrichtung eines eigenen Europaausschusses stärkt der Landtag seine europapolitische Kompetenz. Freilich wird der Europaausschuss für die parlamen¬tarische Arbeit nur dann einen Gewinn darstellen, wenn sich die Ausschussmitglieder in der Sache einbringen und auch zeitlich stark engagieren. Auch muss die Landtags¬verwaltung ihren Service insoweit erweitern. Dies gilt im Hause, aber es wird auch zu prüfen sein, ob eine ergänzende Präsenz in Brüssel notwendig und hilfreich ist. Nach vielen Jahren einer ständigen Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund besteht jetzt die berechtigte Hoffnung, dass durch die Föderalismusreform die Landtage Gesetzgebungszuständigkeiten zurückgewinnen und neue Gesetzesmaterien bekommen. Wenn es soweit kommt – noch ist die Reform nicht in trockenen Tüchern –, liegt es an uns, am Landtag, an den Abgeordneten und den Fraktionen, die neuen gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger konsequent auszuschöpfen. In jedem Fall wird der Landtag durch die Stärkung seiner Gesetzgebungsfunktion an Bedeutung gewinnen. Die jetzt zum Abschluss kommende Föderalismusreform kann freilich nur ein erster Schritt sein. Ihr muss eine Reform der bundesstaatlichen Finanzverfassung folgen – und zwar noch in der laufenden Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Die jetzige Schieflage, die schwache Länder belohnt und starke Länder über Gebühr bestraft, darf keinen Bestand haben. Solidarisches Verhalten können die so genannten Nehmer-Länder nur erwarten, wenn sie selbst bereit sind, ihre Sparanstrengungen zu verstärken und ihre Ausgaben zurückzufahren. Der Grundsatz „Fördern und Fordern“ sollte als Devise auch für das System des Finanzausgleichs gelten. Wenn bisher die notwendigen Anreize hierzu fehlen, müssen sie geschaffen werden. Und wo offen¬sichtlich ist, dass einige Länder ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, kann die Frage der Länder¬neugliederung nicht länger ein Tabu bleiben. Lassen Sie mich jetzt ein Thema ansprechen, das uns unmittelbar angeht und von der Öffentlichkeit argwöhnisch beobachtet wird: Auch der neue Landtag wird sich mit den Diäten befassen müssen. An einer Neuordnung des Systems der Abgeordnetenentschädigung wird kein Weg vorbei führen. Ich habe wiederholt erklärt, dass bei der jetzigen Regelung die Abgeordnetenentschädigung im Vergleich zu den in der freien Wirtschaft bezahlten Gehältern, aber auch im Vergleich zu den Dienstbezügen der Beamten in Leitungs- und Führungs¬positionen zu niedrig ist und andererseits die Abgeordnetenversorgung vielleicht zu großzügig bemessen ist. Angesichts wachsender Versorgungslasten für die öffentlichen Haushalte und der daraus folgenden Notwendigkeit, die Alterssicherungssysteme zu konsolidieren, werden in meinen Augen auch die Abgeordneten ihren Beitrag leisten müssen. Dabei spreche ich mich für systemimmanente Korrekturen aus, wie es auch die Diätenkommission empfohlen hat. Ein Systemwechsel ist meines Erachtens nicht der richtige Weg. Er basiert auf ungewissen Prognosen, ist in den ersten Jahren erheblich teurer, führt auch zu rechtlich fragwürdigen Ungleichheiten und es ist keinesfalls gewährleistet, dass langfristig erwartete Einsparungen auch wirklich zu erzielen sind. Wenn wir aber für die Altersversorgung strengere Maßstäbe anlegen wollen, trete ich unbedingt dafür ein, dass bei der Aktiventschädigung ein angemessener Ausgleich erfolgt. Wie ein Vergleich mit den Landtagen der anderen Flächenländer zeigt, hinkt Baden-Württemberg bei der Bezahlung seiner Abgeordneten weit hinterher. Eine Entschädigung aber, die nicht amtsangemessen ist, schadet dem Ansehen der Abgeordneten und dem Landtag insgesamt. Daher gilt es, auch in der Diätenfrage das richtige Maß zu finden und nicht vorschnellen, populistischen Vorschlägen nachzugeben. Der Landtag wird ein weiteres spannendes Thema anpacken müssen: Es entspricht einer besonderen Tradition in Baden-Württemberg, dass zwischen Amt und Mandat nur eine eingeschränkte Unvereinbarkeit besteht. Daher ist ein in den Landtag gewählter Beamter grundsätzlich „kompatibel“, sofern er nicht in einem Ministerium oder bei einer oberen Landesbehörde höhere Funktionen wahrnimmt. Von dieser Besonderheit, nämlich, dass die Unvereinbarkeit in Baden-Württemberg nur sehr eingeschränkt gilt, haben in den letzten Wahlperioden vor allem auch kommunale Wahlbeamte profitiert. Andererseits hat die Diätenkommission in ihrem Bericht vom Dezember 2005 – wie ich meine zu Recht – festgestellt, dass durch die Verwaltungs¬struktur-Reform die Landratsämter und die Bürgermeisterämter der Stadtkreise einen ganz erheblichen Zuwachs originärer staatlicher Aufgaben erfahren haben. In diesem Maße ist für den staatlichen Aufgabenvollzug die Verantwortung der Landräte sowie der Oberbürger¬meister und Beigeordneten in den Stadtkreisen gewachsen. Mit der Diätenkommission bin ich deshalb der Ansicht, dass die geltende Unvereinbarkeits¬regelung in dieser Wahlperiode geändert werden sollte. Nach unserer gewalten¬teilenden Staatsverfassung führt daran kein Weg vorbei. Der Landtag wird sich im weiteren Zusammenhang auch Gedanken machen müssen, welche Konsequenzen die angestrebte Verringerung der Wahlkreise und die daraus resultierende Mehrbelastung der Abgeordneten in den Wahlkreisen für die Selbst¬organisation der Parlamentsarbeit haben wird. Ich rege an, für diese und andere Fragen, die mit den Grundlagen und dem Selbstverständnis des Landtags zu tun haben, eine Kommission einzusetzen und sie zu bitten, dazu Vorschläge auszuarbeiten. Der Landtag ist durch die Wahl vom 26. März wieder größer geworden und die zusätzlichen Sitzbänke im Plenarsaal bringen dies augenfällig zum Ausdruck. Dies gibt mir Anlass, daran zu erinnern, dass der Landtag im Jahre 1956, also vor 50 Jahren, den Bau des Landtagsgebäudes beschlossen hat. Dieses Haus wird am Ende dieser Wahlperiode im Jahr 2011 50 Jahre in Betrieb sein. Seit 1961 hat dieser Plenarsaal sein unverändertes Gesicht behalten. Es hat sich im Lauf der Jahre gezeigt und ist mittlerweile offensichtlich, dass der Plenarsaal, der das Herz des Landtags bildet, heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen kann. Dafür gibt es informationstechnische, ergonomische, baubiologische und architektonische Gründe. Ich halte deshalb die Zeit für gekommen, jedenfalls den Neubau eines Plenarsaals noch in dieser Wahlperiode in Angriff zu nehmen. Der Alterspräsident des 13. Landtags, unser früherer Kollege Rolf Kurz, hat uns hierzu in seinen Abschiedsworten am 22. Februar 2006 sozusagen als Vermächtnis Folgendes mit auf den Weg gegeben: „Das Parlament braucht ein Gebäude, in dem die besten Voraussetzungen für eine vernünftige Arbeit der einzelnen Abgeordneten gegeben sind. Haben Sie den Mut zu einer Architektur, die Weltoffenheit, Toleranz, aber auch Weitsicht, Solidarität und die Liebe zur Freiheit symbolisiert.“ Und er schließt mit dem Appell, dem ich uneingeschränkt zustimme: „Wichtig ist, dass dieser Landtag, dieses Hohe Haus, von der Bevölkerung als lebendiger Träger unserer demokratischen Ordnung wahrgenommen wird.“ Nirgendwo kommt die Symbolkraft des Landtags besser zum Ausdruck als im Plenarsaal. Schieben wir also das Problem nicht mehr länger vor uns her, sondern gehen wir mit Mut, aber auch im Bewusstsein für den verantwortlichen Umgang mit Steuermitteln die Entscheidung an. In der Öffentlichkeit wird viel über Politikverdrossenheit geredet und durch Meinungs¬umfragen zu belegen versucht. Andererseits haben unsere großen Publikumsver¬anstaltungen, die wir als Tag der offenen Tür in den Jahren 2000, 2002 und 2005 durchgeführt haben, einen völlig unerwarteten und überwältigenden Zuspruch bei unseren Bürgerinnen und Bürgern erfahren. Somit sind solche Tage geeignet, das Interesse der Bevölkerung für die Politik im Allgemeinen und für das Parlament im Besonderen zu wecken und zu vertiefen. Ich spreche mich deshalb dafür aus, diese Tradition fortzuführen und in der neuen Wahlperiode möglichst bald einen weiteren Tag der offenen Tür zu veranstalten. Wer schon einmal einen Tag der behinderten Menschen im Landtag miterlebt hat, weiß, wie wichtig es für die betroffenen Menschen ist, mit den Abgeordneten unmittelbar ins Gespräch zu kommen. Es ist für mich keine Frage, dass der Landtag in der neuen Wahlperiode einen Tag der behinderten Menschen organisiert. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Politik beginnt nach einem bekannten – und vielleicht auch schon etwas abgenutzten – Wort mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Dabei darf es aber nicht bleiben. Denn Politik bedeutet auch, wie schon Max Weber meinte, ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Und ich will in meinen Worten hinzufügen, es gilt auch, die erkannten Probleme zu lösen. Daran müssen wir als Abgeordnete und muss der Landtag als Ganzes in den nächsten fünf Jahren entschlossen arbeiten. Dafür tragen wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Verantwortung und müssen ihnen Rechenschaft geben. Ich bitte Sie deshalb alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, daran mitzuwirken, dass der 14. Landtag den vor ihm liegenden Aufgaben gerecht wird und seine Arbeit im Dienste und zum Wohle der Bevölkerung unseres Landes erfüllt. Was mich angeht, so will ich dafür mein Bestes geben.