Europawoche im Landtag eröffnet

Präsident Straub: Einhaltung von Kompetenzen sollte von politischer Kammer überwacht werden Stuttgart. Eine klare Abgrenzung von Aufgaben, die auf Europaebene geregelt werden, und Zuständigkeiten, die besser bei den Mitgliedstaaten, Ländern und Kommunen verbleiben, hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) gefordert. Bei der Eröffnung der Europawoche 2002 am Donnerstag, 2. Mai 2002, im Landtag in Stuttgart schlug Straub die Einrichtung einer politischen Kammer vor, in der die Einhaltung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten, Länder und Regionen überwacht wird. Dieser Kammer sollten nach Vorstellung des Landtagspräsidenten Vertreter des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente, aber auch Abgeordnete der Landtage angehören. Wörtlich sagte er: >>Zur Eröffnung der diesjährigen Europawoche darf ich Sie alle sehr herzlich im Landtag willkommen heißen. Ich freue mich besonders über die große Zahl junger Menschen, die heute in den Landtag gekommen sind. Pierre Pflimlin, der große elsässische Europäer hat einmal gesagt: „Um die Beziehungen zwischen den Nationen zu verbessern, reicht der Wille von Staatsmännern oder Parlamentariern allein nicht aus. Ein enges und freundschaftliches Verhältnis muss von der Zustimmmung der Völker getragen werden.“ Europa hat deshalb nur dann Zukunft, wenn gerade Sie, die junge Generation, Europa zu ihrer eigenen Sache machen. Manch einer wird fragen: Warum müssen wir uns noch für Europa engagieren? Europa ist doch heute mit dem Euro als gemeinsame Währung, freiem Warenverkehr, vielfachen Begegnungen mit Menschen aus den Ländern der Europäischen Union, durch Schüler- und Jugendaustausch, Auslandsstudienaufenthalten und privatem Tourismus alltägliche Realität. Gewiss, mehr als jemals zuvor in der Geschichte der europäischen Einigung, scheint Europa heute gerade für die jungen Menschen zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Nach mehr als 50 Jahren Frieden und Stabilität sind die alten Barrieren innerhalb Europas, die Jahrhunderte alten Gegensätze und Kriege, die unseren Kontinent in der Vergangenheit zerrissen haben, kaum mehr im Bewußtsein. Doch die Konflikte in Jugoslawien wie auch der Anschlag vom 11. September haben uns drastisch vor Augen geführt, dass Frieden und Freiheit eben kein Naturzustand sind, vielmehr jede Generation sich darum neu bemühen muss. Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche haben wir das 50-Jahr-Jubiläum unseres Landes gefeiert. Wenn wir auf eine 50jährige Erfolgsgeschichte unseres Landes zurückblicken können, die Baden-Württemberg zu einem der leistungsstärksten deutschen Länder gemacht hat, ist das auch der Europäischen Union zu verdanken. Die Europäische Union hat entscheidend zu unserem wirtschaftlichen Wohlstand beigetragen. Ohne den Binnenmarkt, der Absatzmärkte für unsere exportorientierte Wirtschaft geöffnet hat, wären wir nicht da, wo wir heute stehen. Ich möchte Ihnen, sehr geehrte Frau Reding, stellvertretend für die europäischen Institutionen, Dank und Anerkennung sagen und Sie sehr herzlich im Landtag willkommen heißen. Einige Worte zu Ihrer Vita: Sie stammen aus Luxemburg und sind seit 1999 das für Bildung und Kultur zuständige Mitglied der Europäischen Kommission. Sie waren zuvor viele Jahre Parlamentarierin zunächst im Luxemburger, dann im Europäischen Parlament und in dieser ganzen Zeit auch in der Kommunalpolitik ihrer Heimatstadt Esch engagiert. Subsidiarität ist deshalb für Sie kein Fremdwort . Das zeigt auch Ihre Rede vor der deutschen Kultusministerkonferenz im letzten Jahr. Sie haben sich dort dafür ausgesprochen, dass Bildungsfragen in letzter Instanz von denjenigen entschieden werden müssen, die den unmittelbaren Bezug zur Lebenswirklichkeit auf der lokalen und regionalen Ebene haben. Die Frage, welche Aufgaben künftig von Brüssel wahrgenommen werden sollen und können, ist vor dem Hintergrund der anstehenden Erweiterung auch ein zentrales Thema des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union, der Ende Februar seine Arbeit aufgenommen hat. Dieser Konvent aus 105 Mitgliedern, darunter 39 Mitglieder aus den Beitrittsländern, steht vor der Aufgabe, Vorschläge zu machen, wie eine künftige Union mit 25 und mehr Mitgliedstaaten funktionsfähig bleiben kann. Dazu müssen nach meiner Auffassung insbesondere die bisherigen Aufgaben der Europäischen Union auf den Prüfstand. Denn klar ist: Der Aufgabenbestand in einer EU mit 25 Mitgliedern kann nicht derselbe sein wie in der EU mit 6 oder 15 Mitgliedstaaten. Die erweiterte Union kann nur funktionieren, wenn sie sich auf die Aufgaben konzentriert, die zwingend gemeinschaftlich zu erledigen sind. Europa darf sich nicht in Fragen verzetteln, wie etwa die Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs, die besser und bürgernäher von den Mitgliedstaaten, Ländern und Kommunen geregelt werden können. Eine Union, die alle Lebensbereiche von Brüssel aus regeln wollte, wäre hoffnungslos überfordert. Um nicht missverstanden zu werden: Ich spreche mich damit nicht für eine Schwächung der Europäischen Union aus. Im Gegenteil: Es dient der Stärke Europas, wenn es sich auf die übergreifenden, wirklich großräumigen Fragen beschränkt. Da es sich nicht um alles kümmern kann, muss es mit dem Subsidiaritätsprinzip ernst machen und nicht alles über einen Kamm scheren, sondern den Ländern und Kommunen genügend eigenen Gestaltungsspielraum überlassen, um Aufgaben vor Ort bürgernah wahrzunehmen. Nur dann wird die Union Zustimmung bei den Bürgern finden. Selbstverständlich gibt es genügend Probleme, wo wir mehr Europa brauchen. So sind wir gespannt von Ihnen zu hören, sehr geehrte Frau Reding, welchen Beitrag die Europäische Union - gerade auch vor dem Hintergrund des blutigen Konflikts im Nahen Osten - für Frieden, Toleranz und Menschenrechte in der Welt leisten kann. Nach einer aktuellen Umfrage erwarten die Bürger mit großer Mehrheit gerade in diesem Bereich mehr Engagement der Union. Neben einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erwarten die Bürger vor allem Schutz vor dem internationalen Terrorismus. Dies bedarf angesichts der Anschläge in New York und Tunesien keiner weiteren Ausführungen. Auf der anderen Seite müssen Aufgaben, wie die öffentliche Daseinsvorsorge, regionale Wirtschaftspolitik, Schul-und Hochschulwesen, regionaler Umwelt-und Naturschutz, oder auch der öffentliche Nahverkehr, da sie vor Ort besser und bürgerfreundlicher geregelt werden können, bei den Ländern und Kommunen bleiben und durch eine klare Kompetenzabgrenzung in den europäischen Verträgen gesichert werden. Dies allein reicht jedoch nicht aus. Notwendig sind Vorkehrungen, damit die Kompetenzordnung und das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis auch eingehalten werden. Ich plädiere deshalb dafür, eine politische Kammer oder Ausschuss einzurichten, die in der Entstehungsphase von Rechtsakten der Europäischen Union die Einhaltung der Kompetenzordnung überwacht. Dieser Kammer sollten Vertreter des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente, aber auch Abgeordnete der Landtage angehören. Ich bin überzeugt, dass eine solche Kompetenzkammer aus Vertretern der Parlamente aller Ebenen wesentlich dazu beitragen kann, die Akzeptanz europäischer Entscheidungen bei den Bürgern zu erhöhen. Meine Damen und Herren, der jetzt angestoßene Reformprozess der Europäischen Union, an dessen Ende ein europäischer Verfassungsvertrag stehen soll, wird nur dann Erfolg haben, wenn die Bürger die Ausgestaltung und Fortentwicklung des europäischen Einigungswerks als eigene Sache verstehen und sich einbringen. Gerade die Europawoche ist eine gute Gelegenheit, sich zu informieren und die Entwicklung und die Perspektiven des europäischen Einigungsprozesses zu diskutieren. Ich wünsche deshalb den vielfältigen Veranstaltungen in der Europawoche gutes Gelingen und möchte damit den Dank und die Anerkennung verbinden für die vielen unermüdlichen Helfer, die sich nicht nur in der Europawoche ehrenamtlich für die europäische Sache einsetzen.