Feierstunde im Landtag aus Anlass des 20. Tages der Deutschen Einheit

Stuttgart. Das 20-jährige Jubiläum der Deutschen Einheit hat der Landtag von Baden-Württemberg am Mittwochvormittag, 6. Oktober 2010, mit einer Feierstunde begangen, zu der Landtagspräsident Peter Straub rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen konnte. Festredner war der Präsident des Sächsischen Landtags, Dr. Matthias Rößler, der den Menschen in Baden-Württemberg, dem Land und dem Landtag für deren Beitrag zum Aufbau des Freistaates Sachsen ausdrücklich dankte. Wie Jugendliche, die nach 1989 geboren sind, die Deutsche Einheit erleben und einschätzen, schilderten drei Preisträger des Schülerwettbewerbs des Landtags von Baden-Württemberg. Die in der Feierstunde gehaltenen Reden hatten folgenden Wortlaut:
 

 

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Begrüßungsansprache

von Landtagspräsident Peter Straub

 

>>1. Satz Allegro des„Quintenquartetts“ von Joseph Haydn! Das war nicht irgendein musikalischerAuftakt. Allegro – also: flott und dennoch einfühlsam – ist eine passende Einstimmunggewesen auf unsere Feierstunde „20 Jahre Deutsche Einheit“. Dem „Pegasos Quartett“vielen Dank dafür. Und für die weitere klangvolle Umrahmung. Allegro – somöchte ich Sie auch verbal begrüßen. Deshalb sage ich mit festlicher Freude:Herzlich willkommen!

 

Den Zusammenbruch des DDR-Regimes 1989 begleitete der bald legendäre Satz:Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wir feiern das runde Jubiläum derWiedervereinigung drei Tage nach dem eigentlichen Datum. Trotzdem hat unsereEinladung eine außerordentlich große Resonanz gefunden. Das setzt einwohltuendes Zeichen. Und deshalb danke ich Ihnen allen sehr, dass Sie sichdie Zeit genommen haben für diesen „Epilog“ unseres Nationalfeiertags inföderalem Ambiente.

 

Je länger man etwas hat, desto selbstverständlicher wirdes. Das ist eine banale Weisheit. Sie gilt aber gerade bei existenziellenErrungenschaften. Wir zitieren sie folglich mit einem mahnenden Unterton – um Wertschätzung, Sensibilitätund Nachdenklichkeit einzufordern. Auch bei der Wiedervereinigung Deutschlandssollten wir uns immer wieder bewusst machen: Sie war und ist ein epochalesGlück. Ein nationales Glück ohnegleichen! Ein Glück, dessen wir uns auf Dauer würdig erweisenmüssen – was einschließt, in höherem Sinne dankbar zu bleiben.

 

Andererseits jedoch wäre ein allzu erhobener Zeigefingerhier fehl am Platz. Ich jedenfalls finde: Wir dürfen uns freuen,

 

  • dass mehr und mehr als Normalzustand empfunden wird, was in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober1990 staatsrechtlich zusammengefügt worden ist;
  • dass sich Klischees – zum Beispiel von den „Besserwessis“ und den„Jammerossis“ – verflüchtigen;
  • dass der Redewendung „die Mauer in den Köpfen“ der berühmte Bart wächst;
  • oder dass die Klassifizierung „neue Länder“ im Grunde als überholtbetrachtet wird.

 

Wer der Deutschen Einheit gerecht werden möchte, muss dashistorisch Nichtselbstverständliche würdigen und dennoch dessen„Selbstverständlichwerden“ positiv sehen. Juristen sprechen bei solchenKonstellationen von „praktischer Konkordanz“. Und genau die soll unsereFeierstunde herstellen: Wir wollen unterschiedliche Sichtweisen so zueinanderbringen, dass beide nachhaltig wirksam werden.

 

Deswegen heiße ich die Hauptakteure unserer Feierstundeganz herzlich willkommen. Zum einen: den Präsidenten des Sächsischen Landtags –Sie, lieber Kollege Dr. Rößler. Und zum anderen: drei Vertreter der „Generationwiedervereinigtes Deutschland“: Kerstin Geppert, Jonas Ganter und Markus ChristophMüller. Drei, bei denen schon am Geburtsdatum ablesbar ist, dass sie – wiezwölf Millionen andere Kinder und Jugendliche – nichts anderes kennen als diestaatliche Einheit. Drei, die gleichsam synchron mit dem Zusammenwachsen vonOst und West groß wurden.

 

Kerstin Geppert, Jonas Ganter sowie Markus Christoph Müllergehören zu den Preisträgern des Schülerwettbewerbs des Landtags. Für sie ist esder erste Auftritt vor einem derart großen Publikum. 23 weitere Preisträger inunserem Halbrund unterstützen sie deshalb heute Vormittag – wie man so schönsagt – „moralisch“. Schon jetzt: Herzlichen Dank für Ihre gewiss hochinteressanten und zugleich erfrischenden Beiträge!

 

Sie, lieber Kollege Dr. Rößler, sind nicht nur kraft Amtes,sondern vor allem kraft Ihrer Vita prädestiniert, das zu bilanzieren, was Ostund West – miteinander – aus der Deutschen Einheit gemacht haben. Wohlgemerkt:materiell und immateriell gemacht haben.

 

Honecker und Mielke, die SED und die Stasi zu stürzen; dasJoch der Unfreiheit abzuschütteln; sich von der allgegenwärtigen Willkür, vomZwang zur Anpassung und von der Mangelwirtschaft zu befreien – dafür brauchtees in der DDR 1989 Zivilcourage und Veränderungswillen. Und diese Tugendenwaren keine Frage des Geburtsdatums.

 

Ich denke aber: Mit den Ausschlag für den Erfolg derfriedlichen Revolution gab, dass Menschen Ihres Alters und Ihres damaligenLebenszuschnitts, lieber Kollege Dr. Rößler, nicht das Heil in der innerenImmigration suchten. Sie waren damals Anfang 30 und hätten sich alsEntwicklungsingenieur und Leiter eines Forschungsteams im real existierendenSozialismus irgendwie bequem einrichten können. Sie traten jedoch früh dem„Demokratischen Aufbruch“ bei und zählten schnell zu dessen führenden Köpfen.

 

Ihr persönlicher Weg in den letzten zwanzig Jahren bildetmustergültig ab, wie aus Aufbruch Aufbau wurde – und aus Aufbau Alltag: Siewirkten zunächst mit: am „Runden Tisch“ des Bezirks Dresden; imKoordinierungsausschuss für die Wiederbegründung des Freistaates Sachsen; in der„Gemischten Kommission Baden-Württemberg“. Dann trugen Sie Verantwortung alsLandtagsabgeordneter in herausgehobenen Funktionen und als Staatsminister. UndIhr jetziges Amt haben Sie seit einem Jahr inne.

 

Kurzum: Sie sind viel mehr als ein Zeitzeuge. Wenn Sie diezwei Dekaden von Wende und Wiedervereinigung bis zur heutigen Wirklichkeitreflektieren, dann kann man – angelehnt an den Titel von Friedrich DürrenmattsAutobiografie – sagen: Es ist auch ein Stück von Ihnen.

 

Wir sind gespannt auf Ihre authentischen Befunde – auf IhreInnenansicht einer großen gemeinsamen Leistung

 

  • unseres Volkes,
  • unserer politischen und gesellschaftlichen Institutionen
  • sowie der gesamten Exekutive einschließlich der Justizverwaltung, derSozialversicherungsträger und der Kommunen.

 

Und offen gestanden, selbst wenn es ein bisschensauertöpfisch klingt: Ich bedauere bisweilen, dass die Heldentaten unsererFußballnationalmannschaft mehr patriotische Gefühle wecken als das, was unsseit 1990 – gemeinsam – gelungen ist und was kein anderer Staat in Europa zuvollbringen hatte.

 

Aber damit es keine Missverständnisse gibt: Auch ich freuemich, dass in Dresden und Stuttgart gleichzeitig und gleichermaßen „Schweini“und „Poldi“, Khedira und Özil bejubelt werden – was zu jener Normalität gehört,die ich eingangs gelobt habe.

 

Lassen Sie mich dazu noch drei Gedanken beisteuern:Erstens: Wer den Aufbau in den zurückliegenden zwanzig Jahren bilanziert, derredet auch über 1,5 Billionen Euro, die investiert worden sind. Saloppgesprochen: eine Menge Holz. Und trotzdem kein Thema für populistischeKrämerseelen. Denn viel schwerer wiegt: Die Deutsche Einheit kostet bloß Geld,aber kein Blut. Ein Schwabe oder ein Badener, der heute sechzig ist, für dengilt: Der Urgroßvater war im Krieg „70/71“, der Großvater im Ersten Weltkrieg,der Vater im Zweiten Weltkrieg – und er selbst berappt 5,5 ProzentSolidaritätszuschlag. Und wer von ihnen hat das beste Schicksal?

 

Zweitens: Wir haben schmerzlich erfahren: Staatsformenlassen sich leichter wechseln als Wirtschaftssysteme. Und wir dürfen dieandauernden Konsequenzen nicht ignorieren. Geringere Wertschöpfung, höhereArbeitslosigkeit führen zum Wegzug der Jüngeren und der Gutausgebildeten. Undjunge Frauen, die gehen, nehmen automatisch die nächste Generation mit. Blickenwir trotzdem nicht bloß in Statistiken, wenn wir das Erreichte bewerten. Dennzwischen uns Deutschen existieren längst nicht mehr Klüfte wie vor zehn oderzwölf Jahren. Bis in die entlegenen Ecken Brandenburgs hinein mischen sichheute die Einwohner mit west- und mit ostdeutscher Biografie. Und in denöstlichen Ländern ist das Bildungswesen auf hohem Niveau; die Städte sind zumTeil schöner saniert; und die öffentliche Infrastruktur inklusive der Autobahnenbefindet sich in einem guten Zustand. Umso wichtiger ist, dem fatalen Gedankenzu wehren: Wo immer noch nichts blüht, wird auch künftig nichts wachsen.

 

Drittens: Vor der Globalisierung indes sind alle Deutschengleich. Was zählt ist, vereint an der gedeihlichen Zukunft des ganzen Landes zuarbeiten. Und zwar zuversichtlich. Wobei Zuversicht etwas anderes ist als guteLaune. Zuversicht äußert sich in der Bereitschaft, anzupacken und inVorleistung zu treten. Und in der Bereitschaft, dienationale Solidarität – weniger an der Himmelsrichtung orientiert – neu zujustieren.

 

Eine Nation muss sich kontinuierlich fortentwickeln. Unddas Gemeinschaftsgefühl – die Einheit oder besser: die Einigkeit – wächst ausder Teilnahme und der Teilhabe an diesem Prozess. Ob Schwabe oder Sachse, obRheinländer oder Mecklenburger, ob Unternehmer oder Arbeitnehmer, ob in derAltersgruppe „U 30“ oder „Ü 50“ – an jede und jeden richtet sich der Appell,Deutschland voranzubringen.

 

Die Wiedervereinigung hat auf einzigartige Weise gezeigt:Wenn der Wille stark ist, kann – buchstäblich – Weltbewegendes gelingen!Deshalb sollten wir Deutsche unsere Einheit stets so feiern, wie wir es hierheute tun wollen: „allegro“!<<

 

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20 Jahre Deutsche Einheit – Bilanzeiner gemeinsamen Aufbauleistung

Ansprache des Präsidenten desSächsischen Landtags Dr. Matthias Rößler

 

>>Ich bedanke mich rechtherzlich für Ihre freundliche Einladung zu dieser Feierstunde und freue michsehr, Ihnen anlässlich des 20. Tages der Deutschen Einheit die Grüße undGlückwünsche der Abgeordneten des Sächsischen Landtags überbringen zu können. Esist mir eine große Ehre, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, das Wortan Sie zu richten und den Menschen in Baden-Württemberg für den Beitrag zudanken, den das Land und dieses Hohe Haus zum Aufbau des Freistaates Sachsengeleistet haben. Nach zwei Jahrzehnten droht es in Vergessenheit zu geraten,dass es bereits in unmittelbarer Folge der Friedlichen Revolution von 1989innerdeutsche Vereinbarungen über die regionale Zusammenarbeit gegeben hat.

 

Nach dem Fall der Mauer war IhrMinisterpräsident Lothar Späth einer der ersten deutschen Politiker, dieAktivitäten in Richtung der DDR entwickelt haben, die der Unterstützung desDemokratisierungsprozesses in den sächsischen Bezirken dienen sollten. Lothar Späthhat sich persönlich um die Koordinierung der Zusammenarbeit mit Sachsengekümmert und sächsische Delegationen hier in Stuttgart empfangen. Hier habeich meine ersten persönlichen Erfahrungen auf dem Parkett der Landespolitikgesammelt. Deshalb bin ich zu Beginn meiner politischen Laufbahn ganz stark vonBaden-Württemberg geprägt worden.

 

Für die Mächtigen und Etablierten istdie Versuchung groß, sich an ihresgleichen zu halten. So war es auch vor 20Jahren, als Egon Krenz, Modrow und andere dem Westen suggerierten, in der DDRsei eine Wende im Gange, die von der SED selbst vollzogen würde. InWirklichkeit fand eine friedliche Revolution statt, die zum Untergang derkommunistischen DDR führte. Es ging immer um die Macht, wenn die so genanntenalten und neuen Kräfte im Osten miteinander rangen. Politiker, wie mein FreundHelmut Rau, suchten von Anfang an den Kontakt zu den „neuen Kräften“ undtrieben mit uns die Friedliche Revolution voran. Wir lernten uns Anfang 1990auf einer Demonstration kennen und schlossen unmittelbar darauf im Haus derDemokratie, unserem damaligen Hauptquartier, Freundschaft. Die hält übrigensbis heute.

 

Bis heute kann ich nicht verstehen,wie man im „Spiegel“ und in der westdeutschen Politik Leute wie Berghofer undModrow als Reformer feiern konnte. Wir erlebten bei den großen Demonstrationenin Dresden im Oktober 1989 und den anfänglichen Massenverhaftungen besondersModrow als Exponenten des SED-Unterdrückungsapperates. Die Frage „wer wen“ –oder in Abwandlung des Lenin-Zitates „wer mit wem“ war für uns, die „neuenKräfte“, damals auch entscheidend bei der Zusammenarbeit mit unserem zukünftigenParlament.

 

Baden-Württemberg beförderte im Januar1990 die Bildung einer Gemischten Kommission mit Sachsen und verdeutlichtedamit die Entschlossenheit, seinen Beitrag zur Verwirklichung der DeutschenEinheit zu leisten. Die Gemischte Kommission Sachsen/Baden-Württembergetablierte sich sehr schnell und bildete Arbeitsgruppen für unterschiedlichePolitikfelder. Es konstituierten sich Fachgruppen für die Bereiche Wirtschaftund Technologie, Soziales und Gesundheit, Umweltschutz, Finanzen,Fremdenverkehr, Kommunale Partnerschaften, Kultur, Wissenschaft und Bildung,Bauwesen und Städtebau, Ländlicher Raum und Landwirtschaft, Verkehr und Straßenbausowie für Verfassungs- und Verwaltungsreform. Bereits vor der Volkskammerwahlam 18. März 1990 nahmen einige dieser Fachgruppen ihre Arbeit auf.

 

Der CDU-Fraktionsvorsitzende imStuttgarter Landtag, Erwin Teufel, war von der Sonderrolle und Bedeutung derneuen politischen Kräfte für die kommende Entwicklung in Sachsen überzeugt. Erstand ohne wenn und aber hinter den friedlichen Revolutionären. Damals wurdendie führenden Kräfte aus der „Gruppe der 20“, dem Neuen Forum und dem „DemokratischenAufbruch“ nach Rottenburg eingeladen. Wir trafen auf Kommunalpolitiker wieWilli Stächele, einen weiteren alten Freund aus bewegter Zeit. Neben den RundenTischen war es nicht zuletzt Teufels Druck zu verdanken, dass drei prominenteVertreter der Basisdemokratie eigene Arbeitsgruppen leiten konnten.

 

Als Vertreter des „DemokratischenAufbruchs“ am Runden Tisch des Bezirkes Dresden erhielt ich die Fachkommission„Wissenschaft und Bildung“, besetzt mit Rektoren, Prorektoren undBezirksschulräten. Die oftmals stasibelasteten Altkader wurden einer nach demanderen durch unbelastete Personen aus Basisgruppen und Initiativen ersetzt. Nebeninhaltlichen Hilfen war es entscheidend, dass die Unterstützungsleistung immerstärker auf den für die Landesbildung zuständigen Koordinierungsausschussausgerichtet war, der von den neuen politischen Kräften geführt und getragenwurde. Die neuen Kräfte, für die ich hier den späteren sächsischenStaatsminister und heutigen Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz und meinenAmtsvorgänger Erich Iltgen nennen will, übernahmen damals Schritt für Schrittdie Macht in Sachsen.

 

An den Runden Tischen, in derGemischten Kommission Sachsen/Baden Württemberg und dem Koordinierungsausschusszur Bildung des Landes Sachsen haben sie die Führung übernommen und dieWiederbegründung des Freistaates Sachsen in die eigenen Hände genommen. Dieshaben wir am 3. Oktober 1990 auf der Meißner Albrechtsburg dann aucherreicht. Nur der Freistaat Sachsen wurde von unten nach oben, aus dem RundenTisch heraus, wiedererrichtet. Damals auf der Albrechtsburg, der Wiege destausendjährigen sächsischen Staates, war ich tief bewegt. Wir schrieben mitunserer Friedlichen Revolution europäische Geschichte, ja Weltgeschichte. Mitder Wiedererrichtung Sachsens haben wir zumindest deutsche Geschichte gemacht.

 

Zu Beginn der Zusammenarbeit hattenWünsche der sächsischen Seite nach Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenständen imVordergrund gestanden. Doch schon bald hat die Unterstützung in Form vonPersonalhilfe und die Einrichtung von Informations- und VerbindungsbürosBaden-Württembergs in den Bezirken Dresden, Leipzig und Chemnitz ihren Ausdruckgefunden. Zentrale Aufgabenstellung aller drei baden-württembergischen Büros inSachsen war die Koordinierung des Einsatzes von rund dreihundertbaden-württembergischen Beamten auf Landes-, Regierungsbezirks- undKommunalebene. Nach der Landtagswahl und der Regierungsbildung im Oktober 1990gab es hinsichtlich der baden-württembergischen Hilfe insofern eine Zäsur, alsdie Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen/Baden Württemberg auslief und sichdie Unterstützung nun unmittelbar in Form personeller Mitarbeit in maßgeblichenRegierungsfunktionen vollzog.

 

Heute kann gesagt werden, dass diehohe Präsenz westdeutscher Helfer ein unverzichtbarer Beitrag dazu gewesen ist,die SED-Diktatur innerhalb des Verwaltungsapparates zu überwinden. Dem erstensächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf ist zuzustimmen, wenn er imOktober 1991 vor dem Sächsischen Landtag ausführte, dass Sachsen ohne die Unterstützungvon Baden-Württemberg und Bayern noch nicht so weit vorangekommen wäre. „Ohnedie fast 700 Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung aus Baden-Württembergund Bayern hätten wir die neue Landesverwaltung nicht so zügig aufbauen und unsdas Wissen aneignen können, das man für eine moderne, freiheitliche undrechtsstaatliche Gesellschaftsordnung braucht.“ Baden-Württemberg hat seineSonderstellung für Sachsen auch in der Zeit nach der Wiedervereinigung und derWiedererrichtung des Freistaates Sachsen beibehalten und weiterhin solidarischeHilfe geleistet.

 

Wenn wir das heute Erreichte mit derAusgangssituation am Ende der achtziger Jahre vergleichen und auf dieEntwicklung in Sachsen und den anderen neuen Bundesländern seit 1990zurückblicken, dann werden wir auch ermessen können, wo wir heute stehen undwelche Herausforderungen vor uns liegen. Erinnern wir uns: Die DDR ist auchdeshalb gescheitert, weil sie rücksichtslos von der Substanz der Wirtschaft,der Natur, der Infrastruktur, der Kultur und der Menschen gelebt hat.

 

Dass die marode Volkswirtschaft derDDR unter dem Wettbewerbsdruck der offenen Weltmärkte zusammenbrechen musste,wird von den allermeisten Ökonomen nicht bestritten. Im Osten blühen allerdingsvielerlei Verschwörungstheorien, dass die Treuhand und andere dunkle Mächte denBankrott der neuntgrößten Industrienation der Erde – als solche sah sie dieDDR-Propaganda – gezielt herbeigeführt habe. Für viele Menschen, die ihrensicheren Arbeitsplatz in einem DDR-Betrieb und die damit verbundeneRundumbetreuung verloren haben, war und ist dies ein schwieriger Erkenntnisprozess.Besonders die Älteren fanden oftmals keinen neuen Arbeitsplatz und sind mitihren gebrochenen Erwerbsbiografien heute von Altersarmut bedroht. Anderemüssen um ihren wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz, der im insgesamt erfolgreichenTransformationsprozess der Wirtschaft nach der Friedlichen Revolution und derWiedervereinigung Deutschlands entstand, jeden Tag neu kämpfen.

 

Viele verklären heute – nostalgischoder „ostalgisch“ – die vermeintliche Sicherheit in der DDR und den festenZusammenhalt in der als Kollektiv bezeichneten Gemeinschaft. Auch dieGleichheit des Lebensniveaus wird gepriesen und in einen Gegensatz zurwachsenden sozialen Ungleichheit der Bundesrepublik gesetzt. Für mehrGleichheit würde eine Mehrheit heute wohl auf manche der 1989 hart erkämpftenFreiheiten verzichten. Am weit höheren westlichen Lebensstandard wollen dieehemaligen DDR-Bürger natürlich festhalten, verbunden mit den inzwischenverklärten sozialen Sicherheiten des untergegangenen SED-Regimes. Mit demwirtschaftlichen Niedergang der DDR war in den letzten Jahren und Jahrzehntenihres Bestehens eine beispiellose Umweltkatastrophe verbunden. Die rücksichtsloseWirtschaftspolitik der SED konnte zuletzt nicht einmal mehr das niedrigematerielle Lebensniveau ihrer Bürger sichern, zerstörte aber in unvorstellbaremAusmaß die Umwelt und damit die ökologische Lebensgrundlage der gegenwärtigenund der nachfolgenden Generationen.

 

Die Elbe, auf deren gegenüber Rheinund Donau größere Naturbelassenheit wir heute so stolz sind, galt alsschmutzigster Strom Europas. Alle größeren Fließgewässer befanden sich in einembeklagenswerten Zustand und waren weder für die Trinkwassergewinnung noch zumBaden geeignet. Die kommunalen und industriellen Abwässer wurden weitgehendungeklärt eingeleitet und vernichteten Fische und andere Wassertiere. DasGrundwasser litt unter der Nitrat-Überdüngung aus der industriemäßigbetriebenen sozialistischen Landwirtschaft, an versickerndenPflanzenschutzmitteln, Ölrückständen und Ähnlichem.

 

Mit hohen Risiken behaftet war nichtnur die Trinkwasserversorgung der halben Dresdner Bevölkerung aus demUferfiltrat der Elbe. Immer mehr Menschen konnten nicht mehr mit demwichtigsten Lebensmittel, mit sauberem und trinkbarem Wasser, versorgt werden.Wir mussten die Babynahrung unserer neugeborenen Kinder mit Mineralwasserkochen. Dafür gab es extra ausgereichte staatliche Bezugsscheine.

 

Das Autarkiestreben der DDR-Regierungund die schrittweise Anhebung der Öl- und Gaspreise durch die Sowjetunionführten zur fast ausschließlichen Energie- und Wärmegewinnung ausRohbraunkohle. Ganze Regionen verwandelten sich durch die Tagebaue inMondlandschaften. Verschlissene Filteranlagen und der verbreitete Hausbrand mitBraunkohlenbriketts machten die DDR zu einem der größten LuftverschmutzerEuropas. Beim Ausstoß von Schwefeldioxid – vom Kohlendioxid war damals garnicht die Rede – schaffte es der Arbeiter- und Bauern-Staat damit wirklich aufden ersten Platz.

 

Das führte nicht nur zu dem für alleDDR-Bürger und West-Besucher so unvergessenen Braunkohlengeruch in der dickenLuft, die in vielen Regionen zum winterlichen Dauersmog wurde. Fast die Hälftealler Einwohner in den damals sächsischen Bezirken waren nach Erhebungen desMinisteriums für Gesundheitswesen 1988 durch Staub stark belastet und atmetenneben Schwefeldioxid auch Chlorverbindungen, Amine, Stickoxide und vielesandere ein. Dieser Chemie-Cocktail verursachte psychische und physische Schäden,Atemwegserkrankungen besonders bei Kindern und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

 

An dieser Stelle sei angemerkt, dassdie Lebenserwartung in der DDR deutlich geringer und die Selbstmordrate dafürhöher war als in der Bundesrepublik. Dies widerspricht möglicherweise deröffentlichen Wahrnehmung, ist aber durch die Statistik recht eindeutig belegt.Neben der katastrophalen Umweltsituation dürfte dafür auch die deutlichschlechtere medizinische Versorgung verantwortlich gewesen sein.

 

Der Gesundheitszustand der Wäldergestaltete sich fast so dramatisch wie der der Menschen. Besonders denErzgebirgskamm und die ihn prägenden Fichtenwälder traf ein flächendeckendesWaldsterben. Allerdings waren auch die Kiefernbestände im Flachland und dieLaubgehölze aller Art zunehmend geschädigt.

 

Der Uranerzabbau durch die SDAG Wismutals unmittelbare Folge der Reparationsleistungen nach dem Zweiten Weltkrieg andie siegreiche Sowjetunion hinterließ Halden, Schlammdeponien und bedenklicheStrahlenbelastungen im Süden der DDR. Auch der andere Erzbergbau sorgte fürweitere Bodenverunreinigungen und Schwermetallstäube, die sich weitgehendungehindert überall niederschlugen. Um die Abfallentsorgung und die Altlastenmachten in der DDR weder Behörden noch Privatpersonen viel Aufhebens. Den etwafünfhundert Mülldeponien und kontrollierten Ablagerungsflächen standen auf demGebiet des späteren Sachsen zehnmal so viele wilde Müllkippen gegenüber. Ausihnen flossen giftige Rinnsale, manchmal wurden sie angezündet. Wir kennendiese Bilder heute nur noch aus entfernteren Weltregionen.

 

Die Zahl der ausgestorbenen oderbedrohten Pflanzen- und Tierarten in unserer reichen Kulturlandschaft nahmdurch industriellen Flächenverbrauch und die Intensivierung der sozialistischenLandwirtschaft bedrohlich zu. Das rief engagierte Naturschützer auf den Plan,die das Artensterben schon zu DDR-Zeiten bekämpften.

 

Gegen die rücksichtslose,umweltzerstörende Wirtschaftspolitik und ihr schweres Erbe formierte sich inden 1970er und 1980er Jahren die DDR-Umweltbewegung, häufig unter dem Dach derKirchen. Trotz Stasi und Repression forderte sie von der totalitären StaatsmachtAuskunft über das wahre Ausmaß von geheimniskrämerisch verschleierten Umweltschäden.Ihr ging es um die Bewahrung der Schöpfung und die ökologische Verantwortung.Sie machte deutlich, dass sich Politik nicht nur auf die „Sicherung materiellerBedürfnisse“ – wie die Kommunisten immer so schön sagten – beschränken dürfe.Neben angemessenem Wohlstand, Wirtschaftsstabilität und Vollbeschäftigung sahsie den Erhalt der Umwelt als gleichwertiges gesellschaftliches Ziel.Wirtschaft und Konsum dürften nicht auf Kosten der Regenerationsfähigkeit derNatur und der Gesundheit der Menschen betrieben werden.

 

Eine wichtige Forderung derFriedlichen Revolution wurde die ökologische Neuausrichtung der Gesellschaftund das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt. Die neu gegründete Partei„Demokratischer Aufbruch“ firmierte unter dem Logo „ökologisch und sozial“.„Lebensqualität schafft nur die soziale Marktwirtschaft mit hohem ökologischenAnspruch. Der ökologische Umbau der Wirtschaft gewinnt existentielle Bedeutung.Dazu werden wir die umfassende Hilfe aller Deutschen erhalten.“ So stand es imersten Flugblatt des Demokratischen Aufbruchs, das ich im Ringen um die erstenfreien Wahlen in der DDR verfasst hatte. Naturressourcen sollten so geschütztwerden, dass künftige Generationen die notwendigen Lebensgrundlagen vorfindenund sich an den Schönheiten unserer Heimat erfreuen könnten. WeitsichtigeUmweltpolitik dürfe sich nicht auf Reparaturen beschränken, sondern es galt denZusammenhang zwischen Lebensgestaltung, Lebenszielen und Umweltgefährdung –lokaler wie globaler – herzustellen. Wirtschaftliche Entscheidungen müsstendeshalb vor ihrer Realisierung auf ökologische Unbedenklichkeit geprüft werden.

 

Die Politik griff in allen neuenBundesländern diese Forderungen auf. Die in Sachsen regierende Sächsische Unionunter dem westdeutschen Vordenker Kurt Biedenkopf tat dies besonders nachhaltigund bekannte sich in ihrer Grünen Charta auch zur Mitverantwortung der früherenBlockpartei CDU an der Umweltkatastrophe in der DDR.

 

Tatsächlich verbesserte sich dieUmweltsituation in den 1990er Jahren rapide. Die Luftverschmutzung und dieVerunreinigung der Gewässer gingen deutlich zurück und näherten sich demwestdeutschen Niveau. Kritiker führen das immer wieder auf den flächendeckendenZusammenbruch der maroden Traditionsindustrien im Osten zurück. Das war eine,aber nicht die entscheidende Ursache.

 

Mit dem Transfer von Milliarden wurdendie modernsten Klär- und Wasserwerke der Welt aus dem Boden gestampft, Städteund Dörfer mit neuen Wasser- und Abwasserleitungen ausgestattet. Heuteversorgen diese neuen Infrastrukturen die Bürger im Osten mit erstklassigemTrinkwasser, dessen Qualität teilweise über handelsüblichem Mineralwasserliegt. In der Elbe verdoppelte sich die Anzahl der darin lebenden Fischarten.Der Lachs zieht wieder flussaufwärts. Die Gewässerqualität hat sich überalldeutlich verbessert, seit alle kommunalen und industriellen Abwässer geklärtwerden. Allerdings sind manche Anlagen überdimensioniert, weil die Annahmen derBevölkerungsentwicklung unrealistisch, einige Planer betrügerisch und mancheKommunalpolitiker naiv waren.

 

Unsere Kraftwerke und Industriebetriebeverfügen über die modernste Filtertechnik.

Über die Emission von Schwefeldioxidredet heute niemand mehr, eher über die Vorreiterrolle ostdeutscherBraunkohlekraftwerke bei der Speicherung des Klimakillers Kohlendioxid. DerHausbrand wurde auf Öl und Gas umgestellt, die Wärmedämmung hat den Heizenergieverbrauchhalbiert. Niemand vermisst übrigens den DDR-typischen Schwefelgeruch derBraunkohle.

 

Natürlich lernten die ehemaligenDDR-Bürger auch, dass Umweltschutz Geld kostet.

Seit dem Einbau von Wasseruhren inviele Mietwohnungen halbierte sich der Trinkwasserverbrauch. Bierflaschen kühltman jetzt im Kühlschrank, nicht mehr bei aufgedrehtem Wasserhahn in derBadewanne. Die Zimmertemperatur regeln heute Thermostate, nicht mehr die zurWinterzeit geöffneten Fenster. Aber immer wieder erschüttern regelrechte Unruhenkleine Städte und Dörfer, wenn Grundstücksbesitzer ihren finanziellen Anteil amLeitungsnetz durch Beiträge und Gebühren leisten sollen. Über Bürgermeisterfegt der entfesselte Volkszorn dann regelmäßig hinweg. MancherMinisterpräsident gerät in Bedrängnis und rettet sich nur mit populistischenZugeständnissen.

 

Trotzdem ist die Verbesserung derUmweltsituation in den neuen Bundesländern nicht nur bei der Verbesserung derQualität von Luft und Wasser eine Erfolgsgeschichte. Strengste Umweltauflagenund die Sanierung von Altlasten ermöglichen eine moderne Abfallentsorgung,deren Ruf gelegentlich unter Skandalen kriminellen Abfallhandels leidet.

 

Mit vielen Milliarden konnte dieBundesrepublik Deutschland auch die katastrophalen Folgen des Uranbergbausbeseitigen und so die Gesundheit von hunderttausenden Menschen in Sachsen,Thüringen und Sachsen-Anhalt schützen.

 

Beim Natur- und Artenschutz allerdingswaren wir nicht so erfolgreich wie in den vorgenannten Bereichen. Der Verbrauchvon fruchtbarem Ackerland für Verkehrsanlagen und teilweise überflüssigeGewerbegebiete nimmt eher zu, oftmals begründet mit dem Vorrang einervermeintlichen Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Gerade im Ostenknüpft eine regelrechte Agrarindustrie nahtlos an die Großflächenwirtschaft derintensivierten sozialistischen Landwirtschaft an und beschleunigt dasArtensterben in der freien Feldflur. In diesem Bereich der Landwirtschaftspolitiksteht die ökologische Neuorientierung noch aus.

 

Der Niedergang der DDR drückte sichfür uns Zeitgenossen nicht nur in der für alle schmerzhaft wahrnehmbarenUmweltkatastrophe aus. Symbolisch und mit allen Sinnen wahrnehmbar war auch derVerfall der Städte, Dörfer, Herrensitze und Kirchen, der einmaligenKulturlandschaft Mitteldeutschlands. Dabei denke ich nicht zuerst an dieBallungszentren, in denen der Versuch der Schaffung sozialistischer Großstädtegelegentlich in Akten der Zerstörung einmaliger Kulturdenkmale gipfelte.

 

Auch in westdeutschen Großstädtenbegingen Architekten und „Modernisierer“ in der Zeit des Wiederaufbaus grauenhafteBausünden, die den Vergleich mit der Stalinallee und dem Heckertviertel inKarl-Marx-Stadt durchaus standhielten. Viel schlimmer war der Verfall derKlein- und Mittelstädte. Ihre Lage außerhalb der Reichweite alliierterBomberverbände rettete sie vor der Kriegszerstörung, nicht vor dersozialistischen Mangelwirtschaft.

 

Private Eigentümer erhielten keineMaterialzuteilungen für die Reparatur ihrer Häuser und Grundstücke, die Mietenblieben niedrig und auf dem Vorkriegsniveau. Es herrschte immer Wohnungsnot.Schaute man von der berühmten Meißner Burg über die wunderschöneRenaissancestadt, war schon jedes dritte Dach eingefallen. Ganze Quartiere wiedie Dresdner Friedrichstadt wurden abgerissen und die Bewohner in seelenlosePlattenbauten verfrachtet. Immerhin lockten dort eine Innentoilette und eineBadewanne. Diese Modernisierung à la DDR ersetzte vielen die Individualität derAltstadtviertel und half vielleicht sogar etwas bei der Schaffung„sozialistischer Persönlichkeiten“.

 

Wie die Friedliche Revolution von 1989zeigte, gelang das scheinbar nicht vollständig. Die Wiedervereinigung 1990 kamgerade noch rechzeitig, um die kulturelle und architektonische Substanz dermitteldeutschen Städte und Dörfer zu retten. Vielleicht war es auch gut, dassdie Kommunisten nie genug Geld hatten. Deshalb konnten sie in der geschlossenenArchitektur alter Stadtkerne nicht solche Verheerungen anrichten wie kapitalkräftigeInvestoren im Westen.

 

Beispielgebend sind in Sachsen diePilotprojekte für den „Stadtumbau Ost“. Durch die demografische undwirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte bedingt, gilt es dabeierstmalig in der Geschichte Sachsens, einen planmäßigen Rückbau städtischer Wohnsubstanzund die sinnvolle Neunutzung der beräumten Flächen zu organisieren.

 

Wiederum flossen westdeutscheSteuermilliarden in die denkmalgerechte Sanierung von Marktplätzen undSchlössern. Steuerabschreibungen verlockten schwäbische Zahnärzte zur Sanierungvon Jugendstilvillen in Radebeul und Görlitz.

 

Heute erstrahlt die Architektur einergroßartigen Kulturlandschaft von der nordostdeutschen Backsteingotik bis zumsächsischen Barock im alten Glanz. Die Deutschen in Ost und West erbrachtengemeinsam diese gewaltige Aufbauleistung mit ihrer Anpassungsbereitschaft,ihrem Fleiß und ihrer finanziellen Solidarität. Die Westdeutschentransferierten alljährlich fünf Prozent des Bruttosozialproduktes in den Osten.

 

Trotz einer noch immer zu hohenArbeitslosigkeit entstanden eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, eine lebenswerteUmwelt, die modernste Infrastruktur Europas und wunderschöne Städte und Dörfer.Die Menschen sind wohlhabender, gesünder und leben deutlich länger als in deralten DDR. Natürlich müssen sie – wie in jeder offenen Gesellschaft – mehrUnterschiede bei den Einkommen und den Lebensentwürfen aushalten. Deshalb ist –bei aller Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt – die Lebensqualität bei derübergroßen Mehrheit der Bevölkerung gestiegen. Besonders die Jüngeren möchtendiese Lebensqualität am Ende doch nicht gegen die Gleichmacherei, Unterdrückungund Bevormundung eines totalitären Staates eintauschen.

 

Heute stehen wir in der BundesrepublikDeutschland gemeinsam vor neuen Herausforderungen. Selbst wenn uns derökologische Umbau der Sozialen Marktwirtschaft gelingt, verzehren wir doch nachwie vor die in Jahrhunderten gebildete demografische und kulturelle Substanzunserer Gesellschaft. Die deutsche Bevölkerung altert und schrumpft dramatisch,besonders im Osten. Hier wanderte in den letzten fünfzig Jahren ein Viertel derBevölkerung in den Westen ab, auf der Flucht vor der SED-Diktatur oder auf derSuche nach besseren Lebensbedingungen.

 

Dieser Aderlass an Leistungsträgern,den auf Dauer keine Gesellschaft verkraftet, führte zu einer regelrechtenEntbürgerlichung ganzer Regionen im Osten Deutschlands. In vielen der geradebeschriebenen, wunderschön renovierten Klein- und Mittelstädte leben heute vorallem Rentner und Sozialhilfeempfänger. Hunderttausende Wohnungen stehen leerund wertvolle Altbausubstanz ist wieder vom Abriss bedroht. Innenstädte verödenund ganze Dörfer werden aufgegeben. Noch weniger Geburten gab es nur zur Zeitdes Dreißigjährigen Krieges.

 

Vor dieser existenziellendemografischen und kulturellen Herausforderung sollte die Bundesrepublik dieAugen nicht verschließen. Die Kommunisten in der DDR hielten ihreGesellschaftsordnung für das Ende der Geschichte und sind damit gescheitert.

Auch die offene Gesellschaft kannscheitern, wenn sie keine nachhaltige Politik macht. Eine Gesellschaft, dienicht nachhaltig ist und nicht an ihre Kinder und Enkel denkt, hat keinePerspektive. Sie kann untergehen, weil sie gar keine Kinder und Enkel mehr hatoder keine Kultur bewahrt, die sie auf nachfolgende Generationen übertragenkann. Deshalb sollten wir in Deutschland aus der falschen Selbstüberschätzungund dem bornierten Realitätsverlust der kommunistischen DDR-Funktionäre auch inZukunft die richtigen Lehren für unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesenziehen.

 

Ich persönlich habe aus 20 JahrenDeutscher Einheit vier Lehren gezogen:

 

Erstens: Die große Mehrheit derDDR-Bürger – anders als viele Vertreter der Oppositionsgruppen, besonders inOstberlin – wollten 1989/90 keine andere oder bessere DDR. Eine Alternative zumWeg der Wiedervereinigung, zum Übergang von der sozialistischen Planwirtschaftzur Sozialen Marktwirtschaft und zur Integration in die westlichen Demokratienhat es nie gegeben. Nirgendwo schlug ein europäisches Land nach dendemokratischen Revolutionen der Jahre 1989/1990 einen „dritten Weg“ zwischenkapitalistischer Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft ein. DieSoziale Marktwirtschaft ist und bleibt das beste bekannte Ordnungssystem, indem soziale Verantwortung mit einem hohen Maß von individueller Freiheitmöglich ist.

 

Zweitens: Der alte deutsche Glaube andie Allmacht des Staates erweist sich in der Zeit der gnadenlosenGlobalisierung als Irrglaube. Der Staat muss sich wieder auf seine wesentlicheAufgabe konzentrieren und die Rahmenbedingungen so setzen, dass sie einenachhaltig positive Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft ermöglichen.

 

Drittens: Die Bürgergesellschaft lebtvon den Bürgerinnen und Bürgern, die sich für die Gemeinschaft engagieren undfür die Freiheit und Verantwortung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.

 

Viertens: Wachstum und Wohlstand sindheute an ihre Grenzen gelangt. Eine Politik der Nachhaltigkeit undGenerationengerechtigkeit ist die Antwort auf die Herausforderungen derGegenwart. Wir brauchen eine Politik für unsere Kinder und Enkel.

 

Lassen sie mich deshalb mit zweiZitaten zu diesen Grenzen und zu einem nachhaltigen Wohlstand meinen Vortragbeenden. Vor einem Jahr äußerte Kurt Biedenkopf in einem Interview: „Das 21.Jahrhundert muss ein Jahrhundert der Bescheidenheit werden. In Europa wird esnicht mehr in erster Linie um die Vermehrung des Verteilbaren gehen. Waswachsen muss, ist die Intelligenz, mit der wir unser Leben und unser Land organisieren,und seine Fähigkeit zur Begrenzung.“

 

In seinem bekannten Buch„Epochenwende“ gibt Meinhard Miegel eine sehr eindrucksvolle Definition vonWohlstand, wenn er sagt: „Wohlstand, das sind künftig Menschen, derenLebenssinn über das Anhäufen materieller Güter hinausgeht; das sind Kinder, diekörperlich und geistig gedeihen können; das sind Alte, die nicht vereinsamen;das sind viele Gebrechliche, die menschenwürdig leben. Wohlstand, das istmitmenschlicher Zusammenhalt. Ohne diese neue Qualität des Wohlstands sindrapide alternde, zahlenmäßig schwindende und abnehmend dynamische Gesellschaftentrotz materiellen Reichtums arm.“

 

Auf dieser Grundlage haben wir heutedie Chance, unser Land erfolgreich voranzubringen. Nehmen wir dieseHerausforderung gemeinsam an. Auf diesem Wege wünsche ich den Bürgerinnen undBürgern Ihres Landes und dem Landtag sowie der Landesregierung vonBaden-Württemberg auch weiterhin recht viel Erfolg.<<

 

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Geboren nach 1989 – 20 Jahre DeutscheEinheit aus der Sicht junger Menschen

Markus Christoph Müller, Neckargemünd

 

>>SiebentausenddreihundertundachtTage ist es heute her, dass Bundesrepublik Deutschland und DeutscheDemokratische Republik miteinander vereinigt worden sind. Ein kleines bisschenmehr als 20 Jahre. 20 Jahre erscheinen manch einem der Älteren nicht unbedingtals besonders lange Zeit. Einige von ihnen sagen: „Was, schon so lange her?“ Inder langen Geschichte der Menschheit sind 20 Jahre sogar fast gar nichts. Unddoch hat sich in diesen siebentausenddreihundertundacht Tagen sehr viel inunserem Land geändert.

 

Soviel, dass man als 19-jähriger in der gegenwärtigen Zeit eigentlich auf keinesichtbaren Spuren mehr stößt, die von der Existenz zweier deutscher Staatenkünden. Wenn ich heute von Baden-Württemberg aus nach Sachsen fahre, bekommeich davon im Grunde nichts mit. Vielleicht zeigt mir ein Schild auf derAutobahn irgendwann den „Freistaat Sachsen“ an, aber von einer früheren Grenzesehe ich nichts. Ich scheine nicht von einem Land in ein anderes zu wechseln,stoße auf keinen Zoll und erblicke keine Schilder in fremder Sprache.Besonderen Gegenständen, die eine andere Kultur ausmachten, begegne ich nicht.Die Autos sind häufig dieselben, vielleicht nicht so zahlreich, im Supermarktgibt es dieselben Waren, die Läden gehören sogar zur selben Kette. Menschen,auf die ich hier treffe, sind äußerlich nicht von solchen aus meiner Region zuunterscheiden. Auch die Häuserarten sind mir von zuhause allesamt bekannt.Andere Relikte, die mir eventuell sagen könnten, dass ich hier früher in einemanderen Land gewesen wäre, finde ich bestenfalls in einem Museum, oder nachlängerer Suche im Haus eines alteingesessenen Bewohners dieser Gegend. Wenn mirBegriffe wie „Einheit“, „Wiedervereinigung“ oder „deutsche Teilung“ nicht ausBüchern bekannt wären, würde ich nicht glauben, dass die neuere Geschichte indiesem Teil der Welt anders verlaufen wäre als bei mir im Ort. Denn als nachder Wiedervereinigung Geborener habe ich die Zeit, die Geschehnisse, das Lebenwährend der deutschen Teilung nicht bewusst erfahren.

 

UnsNachwendekindern ist die DDR nur noch aus Büchern, Filmen oder dem Internetbekannt. Dass Deutschland in seiner heutigen Gestalt heute so ist wie es ist,erscheint den allermeisten von uns als selbstverständlich. Etwas anderes sindwir einfach nicht gewöhnt. Berlin ist nur als pulsierende, große Metropole,nicht als die gespaltene Stadt, als Symbol des Kalten Krieges, bekannt. Berlinist unsere Hauptstadt, von Bonn haben wir nur gehört, weil es am Rhein liegt.Wir haben auch die Mauer gesehen, aber nur als graffitibesprühten Betonklotz ineinem Geschichtsbuch, auf dem Menschen tanzen. Dass Deutschland wiedervereinigtwurde, finden wir eigentlich alle gut, aber warum es dies überhaupt werdenmusste, wissen einige schon gar nicht mehr. Der dritte Oktober ist einFeiertag, wie es ihn mehrere im Jahr gibt. Ein Kumpel fragte mich unlängst, obnicht an dem Tag die Mauer geöffnet worden sei. Die Bedeutung des drittenOktobers ist uns allzu häufig nicht bekannt; in der Schule war mehr Platz fürRenaissance, Independence War und Nationalsozialismus. Wann wurde die Mauergebaut und von wem? Und was hat es noch mal mit dem Honecker auf sich? Wasgeschieht beim Subbotnik und wo arbeitet ein Kaskadeur? 20 Jahre nach derWiedervereinigung befinden sich viele von uns in einem wahren Tal derAhnungslosen. Wer viel über die DDR erfahren will, wählt daher Geschichtevierstündig. Und andere aus unserer Altersgruppe, die heute im „echten“ Ostenleben, können uns nicht besonders viel weiterhelfen. Sie kennen ja auch nur dieheutige, die neue Welt. Häufig sind ihre Eltern nach der Wende als „Wessies“ inden Osten gekommen, sind also eigentlich keine richtigen „Ossies“, sondern„Wossies“. Aber diese Wörter wirken auch fremd. Irgendwie angestaubt,ausgereizt. Verwendet werden sie von uns wenig, denn wir kennen diese alte Zeitschlichtweg nicht mehr.

 

Wennsich in diesen Tagen die Wiedervereinigung jährt, haben die meisten von unszwar kurz ein paar Gedanken im Kopf, angeregt durch die Medien registrieren siedas Datum auch, aber lange denken wir letztlich doch nicht darüber nach. 1990ist inzwischen das Jahr des letzten WM-Triumphs und weniger das derWiedervereinigung. Für uns sind andere Themen wichtiger geworden. UnsereGedanken kreisen eher um zwischenmenschliche Planeten, nicht umBegrifflichkeiten wie DDR und BRD. Die Zukunft ist bedeutender als dieVergangenheit. Fragen nach der Arbeit, ob wir überhaupt eine bekommen werden,nach dem Studium, nach Freunden, allgemein nach banaleren Themen, sindomnipräsent. Die DDR ist da nur eine weit entfernt liegende Galaxie.

 

SiebentausenddreihundertundachtTage. Seit so vielen Tagen sind die beiden Deutschlands nun wiedervereinigt.Genügend Zeit für tief greifende Veränderungen. Genügend Zeit aber auch, dassmanch ein Jugendlicher von heute über dieses Datum gar nichts weiß. Für dienächsten 20 Jahre würde ich mir daher wünschen, dass etwas gegen dieses Nichtwissenunternommen wird. Dass dem Vergessen dieses Datums und seiner VorgeschichteEinhalt geboten wird. Dass auch die jüngste Generation ihren Zugang zu dieserZeit findet. Denn nur wenn die Erinnerung an die Geschichte lebendig bleibt,kann eine Wiederholung dunkler Zeitkapitel vermieden werden.<<

 

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Geboren nach 1989 – 20 Jahre DeutscheEinheit aus der Sicht junger Menschen

Jonas Ganter, Bruchsal

 

>>Zu Beginn meiner Rede dankeich dem Landtag von Baden-Württemberg für die Einladung zu dieser Feierstundeund der Gelegenheit, ihnen meine Gedanken zur Deutschen Einheit mitzuteilen. Fürmich hat der November des Jahres 1989 eine ganz besondere Bedeutung. Ereröffnete vielen Menschen in diesem Land einen neuen Lebensabschnitt – auchmeinen Eltern, denn neun Monate später, im August 1990, wurde ich geboren.

 

Weder habe ich das sogenannte DritteReich noch das geteilte Deutschland erlebt, dennoch wecken Erzählungen undBerichte über Terror, Todesstreifen und Verfolgung politisch Andersdenkender inmir Beklemmung und ungute Gefühle, wenn auch mit einer gewissen historischenDistanz. Für mich ist die Zeit zwischen 1933 und 1989 ein zusammenhängender,historischer Komplex, der mit der Wiedervereinigung ein Stück weit seinen Abschlussfand.

 

Ein Land, das aus Angst vor seinermilitärischen Macht geteilt wurde, vereinigt sich wieder. Dies ist für mich derVertrauensbeweis der Welt in die deutsche Demokratie. Als junger Bundesbürgerbin ich stolz darauf, in einem Land zu leben, das es geschafft hat, diesesVertrauen zurückzugewinnen. Mein ganzer Respekt gilt den Menschen, die all diesdurch friedlichen Widerstand erreicht haben.

 

Doch bei aller Zuversicht für dieZukunft dürfen wir die Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren. 40 JahreTeilung hinterlassen Spuren, in der Gesellschaft und im individuellen Menschen.Mauern und Grenzanlagen mögen verschwunden sein, doch existieren beim ein oderanderen noch Barrieren im Kopf.

 

Eine Grenze, wie die der DDR, ließkeine Kommunikation zu und wer mit seinem Gegenüber nicht kommunizieren kann,wird unsicher, misstrauisch; schürt Ängste und Vorurteile, die selbst nach 20Jahren Einheit nicht ganz abgebaut sind: Will der Ossi wirklich arbeiten fürsein Geld? Versteht der Wessi überhaupt etwas von Solidarität undSozialpolitik? Diese Fragen beschäftigen sicher nicht wenige Menschen.Insbesondere Älteren  mag es schwer fallen, das Bild der alten Welt zuvergessen.

 

Für meine Generation, die wir täglichüber Facebook und Twitter mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren, gibtes keine Grenzen mehr, weder auf der Landkarte, noch in den Köpfen. Informationund Kommunikation, Dinge, die zwischen Ost und West jahrzehntelang unterdrücktwurden, sind heute wichtiger und mächtiger denn je. Das Internet ist unserSchlüssel zu jener gedanklichen Freiheit, nach der sich die Bürgerinnen undBürger der DDR so sehr gesehnt haben.

 

Natürlich bietet Kommunikation nichtsofort die Lösung aller Probleme. Sie ist aber notwendig, damit sich aus derunterschiedlichen Vergangenheit eine gemeinsame Zukunft entwickeln kann. Trotzallem Unrecht, das in der DDR geschah, sollte man nicht den Fehler machen, dasSystem mit den Menschen die darin lebten, zu verwechseln. Aus konträrenWertesystemen kann ein gesundes Mittelmaß entstehen. Denn auch das gehört zurDemokratie: die Erfahrungen und Werte des anderen zu respektieren und alleneine gleichberechtigte Stimme zu geben. Eine Einheit muss auch immer einePartnerschaft sein. Der libanesische Dichter Kalil Gibran verwendet dafür einschönes Bild, das ich ihnen zum Schluss mit auf den Weg geben will. Er sagt:“Eicheund Zypresse wachsen nicht im gegenseitigen Schatten“<<

 

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Geboren nach 1989 – 20 Jahre DeutscheEinheit aus der Sicht junger Menschen

Kerstin Geppert, Schutterwald

 

>>20 Jahre Deutsche Einheit aus meiner Sichtbeurteilen? Klar, mach’ ich gerne. Das war mein erster Gedanke, als ich gefragtwurde, ob ich mir vorstellen könnte heute hier zu sprechen. Mein zweiterGedanke war: Moment mal, ich hab’ gar keine Meinung zu diesem Thema!

 

Vermutlich geht es mir so, wie vielen meiner Generation:Die deutsche Einheit ist für mich etwas Selbstverständliches, etwas, mit demich aufgewachsen bin. Als ich z. B. vor einem Jahr nach Magdeburg fuhr, bin ichin meinem Verständnis nicht in den Osten gereist, sondern einfach nur nachMagdeburg. Eine Selbstverständlichkeit, weil ich nie erlebt habe, dass ich auf einerReise von Deutschland nach Deutschland eine Grenze passieren musste, die vonSoldaten bewacht wird. Weil ich es gewohnt bin, dass ganz Deutschlandmit seinen westlichen und östlichen Nachbarn gemeinsam in einer Union anunserer Zukunft arbeitet. Weil es für mich normal ist, dass eine Freundin aneiner Universität in Rostock studiert.

 

Diese erste Antwort hat mir aber nicht gereicht. Es hatmich gereizt, herauszufinden, ob es da vielleicht doch noch mehr zu sagen gibt.Natürlich hatten wir die Monate vom Mauerfall bis zur Wiedervereinigung in derSchule behandelt. Trotzdem informierte ich mich jetzt noch einmal umfassend.Und plötzlich hatte dieser Moment des Mauerfalls etwas Magisches. Er erscheintmir wie ein Wunder. Ein Wunder, weil zwei Republiken zueinander gefunden haben,die zwar beide den Anspruch erhoben, Deutschland zu sein, aber deren Strukturengrundverschieden, gar unvereinbar waren. Und dass diese Vereinigung  sogarfriedlich – ohne Gewalt – erzielt wurde, das ist für mich etwas Wunderbares.

 

Aber da ich nun schon intensiv am Nachdenken war, fiel mirnoch etwas auf:

Für mich besteht das einheitliche Deutschland nicht aus demalten Westen und dem alten Osten. Es ist eher ein weiterentwickelter Westen undein Osten, der versucht sich dem Westen anzugleichen. Bei derArbeitsmarktsituation oder dem Lohnniveau ist das verständlich. Aber warumsogar bei Dingen, in denen der Osten dem Westen voraus ist? Wie zum Beispielbei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Und warum ist für mich vom Osten nichtmehr übrig geblieben als das Sandmännchen, das Ostampelmännchen und dieSpreewaldgurke? Liegt es möglicherweise an einer gewissen Überheblichkeit desWestens? Die suggeriert, dass im Westen alles besser war und ist?

 

Bin ich auch deshalb zum Studieren nicht nach Jenagegangen? Weil im Unterbewusstsein westliche Universitäten für mich denbesseren Ruf haben? Dabei wird immer von den modernen Universitäten der neuenBundesländer gesprochen, an denen die Vorlesungen nicht so überlaufen sind undfür die ich nicht einmal Studiengebühren zahlen muss. Mein Gefühl und meinVerstand sagen mir, dass Deutschland für mich heute eine Einheit ist.Nichtsdestotrotz entdecke ich in meinem Handeln noch kleine Anzeichen dafür,dass mein Unterbewusstsein dennoch manchmal zwischen Ost und West unterscheidet.

 

Und dann habe ich noch etwas Wichtiges herausgefunden: ichhabe entdeckt, dass das Ereignis Wiedervereinigung uns Mut machen sollte. Dennmit der deutschen Einheit wurde ein Ziel erreicht, das 41 Jahre lang alsunser oberstes Bestreben im Grundgesetz festgeschrieben war. Wir dürfen alsozuversichtlich sein, dass auch heutige Probleme gemeistert und Ziele erreichtwerden können, die uns aus heutiger Sicht wie eine Utopie vorkommen mögen.

 

Wenn Sie mich jetzt fragen, was bedeutet 20 Jahre DeutscheEinheit für dich? Dann sage ich Ihnen:

 

Es ist ein Wunder,

etwas Selbstverständliches,

etwas, an dem weiter gearbeitet werden muss,

etwas das mir – und hoffentlich uns allen – Mut macht.<<