Festakt im Landtag „50 Jahre Staatsgerichtshof“

Landtagspräsident Straub: Verfassungsgerichtsbarkeit nutzt dem gesamten Gemeinwesen Stuttgart. Eine funktionierende Landesverfassungsgerichtsbarkeit nutzt dem gesamten Gemeinwesen. Darauf hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Mittwoch, 11. Dezember 2002, in Stuttgart bei einem Festakt anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Staatsgerichtshofs hingewiesen. In seiner Begrüßung der zahlreichen Gäste im Plenarsaal des Landtags führte der Präsident wörtlich aus: >>In Baden-Württemberg ist das Landesverfassungsgericht älter als die Landesverfassung vom 11. November 1953: Bereits durch das Gesetz über die vorläufige Ausübung der Staatsgewalt im südwestdeutschen Bundesland vom 15. Mai 1952 wurde ein vorläufiger Staatsgerichthof geschaffen. Und dieser vorläufige Staatsgerichtshof stand nicht nur auf dem Papier – er hat zweimal Recht gesprochen. Obwohl das eigentliche Gesetz über den Staatsgerichtshof erst vom 13. Dezember 1954 datiert, feiern wir heute also nicht zwei Tage zu früh den 48. Geburtstag des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg – wir begehen völlig zu Recht und mit besonderem Respekt dessen 50-jähriges Bestehen. Dass die Feierstunde hier in der bescheidenen Heimstatt des baden-württembergischen Landesparlaments stattfindet, freut mich gleich zweifach: • als Hausherrn, der den Landtag als offenes, gastliches Haus führen möchte; • und vor allem aus staatspolitischen Gründen. Denn der Paragraf 1 des – vom Landtag wie erwähnt 1954 beschlossenen - Gesetzes über den Staatsgerichtshof legt zwar fest, dass der Staatsgerichtshof seinen Sitz „am Sitz der Regierung“ hat – womit man sich an die entsprechende Bestimmung für den Staatsgerichtshof des Nachkriegslandes Baden aus dem Jahr 1948 anlehnte und in erster Linie bezweckte, das Verfassungsorgan vor lokalen Begierden im Verteilungskampf um Behördenstandorte zu schützen. Ungeachtet der nüchternen Gesetzesformulierung und deren Hintergedanken, gilt jedoch: Der Plenarsaal des Landtags als „Herzkammer der Demokratie“ ist ein höchst geeigneter Ort, um das Wirken der Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu würdigen: • weil hier die Präsidenten und die Mitglieder des Staatsgerichtshofes gewählt und vereidigt werden; • und ganz besonders im Hinblick auf die Rolle des Staatsgerichtshofes als Garant, dass das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung nicht zu einer undemokratischen „Diktatur der Mehrheit“ werden kann. Dass der Begriff „Kammer“ in der Metapher „Herzkammer der Demokratie“ das Ambiente des Plenarsaales nicht untertreibend beschreibt, tut der Feierstunde keinen Abbruch; denn heute ist großer Glanz in diesem Raum - dank der hochkarätigen Festgemeinde, die Sie, meine Damen und Herren, bilden. Durch Ihr Kommen erweisen Sie dem Staatsgerichtshof die Referenz; und Sie machen deutlich, dass eine funktionierende Landesverfassungsgerichtsbarkeit dem gesamten Gemeinwesen nutzt. Besonders begrüßen möchte ich den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts – also Sie, Herr Professor Hassemer. Ihre Anwesenheit werten wir als doppeltes Zeichen: Zum einen als Zeichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Autonomie der Länder als hohes Gut achtet und dass seine führenden Repräsentanten zu den Fürsprechern einer Reföderalisierung unserer staatlichen Strukturen zählen. Und zum anderen als Zeichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsgerichte der Länder nicht von oben herab betrachtet, sondern eine Beziehung auf kollegialer Augenhöhe pflegt – was im Bund-Länder-Verhältnis leider nicht mehr überall ganz selbstverständlich ist. Nicht weniger herzlich willkommen heißen möchte ich Sie, verehrter Herr Professor Kirchhof. Durch Ihren Festvortrag erhält der Staatsgerichthof eine intellektuelle Jubiläumsgabe, aus deren Gedanken sicher auch wir Politiker mit Gewinn werden schöpfen können. Als Ehre für den Landtag und vor allem als ein Zeugnis für die Bedeutung des Staatsgerichtshofes empfinden wir es, dass der amtierende Präsident des Bundesgerichtshofes, Herr Professor Dr. Hirsch, und sein Vorgänger, Herr Dr. Geiß, unsere Einladung angenommen haben – letzterer ja auch als früheres Mitglied des Staatsgerichtshofes. Ein ebenso herzliches „Willkommen“ sage ich der Frau Präsidentin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, den Herren Präsidenten der anderen Länderverfassungsgerichte sowie den Vertretern unserer Obersten Landesgerichte in Baden-Württemberg. Die Hochachtung von uns allen gebührt heute vorrangig jenen, die mit ihrer Kompetenz die von der Verfassung verliehene Autorität des Staatsgerichtshofs bewahrt und gemehrt haben – ich spreche von den aktiven und den ehemaligen Mitgliedern des Staatsgerichtshofes, die heute in so großer Zahl unter uns sind. Sie, meine Damen und Herren, verkörpern, dass eine Verfassung ohne ein Verfassungsgericht ein totes Gebilde wäre, um es mit Worten zu sagen, die von Alexis de Tocqueville überliefert sind. Wir alle haben Ihnen zu danken, dass Sie sich für das Richteramt am Staatsgerichtshof und damit für eine Aufgabe zu Verfügung gestellt haben, in der es um nichts weniger geht als um das unmittelbare Praktischmachen unserer Verfassung – und das gerade in Bezug auf den demokratisch legitimierten Gesetzgeber und dessen Entscheidungen. Durch Ihre Urteile haben Sie nicht nur Rechtsfragen geklärt – Sie haben unsere Verfassung gestärkt. Wir können deshalb heute feststellen, dass sich beides bewährt hat: • die Zusammensetzung des Gerichts aus Berufsrichtern, Juristen mit Befähigung zum Richteramt und Persönlichkeiten ohne rechtswissenschaftliche Weihen • sowie die rollierenden Wahlen und Neubesetzungen. Auch wenn die Mitglieder des Staatsgerichtshofes wie wohl alle politisch denkenden Menschen einer Partei nahe stehen – es sind nie Zweifel aufgekommen, dass sie die richterliche Unabhängigkeit nach der Vereidigung in Frage stellen könnten. Und die Rechtsprechung, die ja oft genug im Wortsinn „Rechts-Findung“ war und ist, hat sich über personelle Änderungen hinweg kontinuierlich fortentwickelt. Die Verfassungsgerichte der Länder werden auch als die „Stille Gewalt“ bezeichnet – was ein echtes Prädikat darstellt angesichts der allzu oft steril und egozentrisch inszenierten Aufgeregtheiten in unserem öffentlichen Leben. Umso mehr wäre es heute Vormittag angezeigt, Namen zu nennen – die Namen der aktuellen und der früheren Mitglieder des Staatsgerichtshofes. Gleichwohl möchte ich mich auf drei – stellvertretend - beschränken. Ich freue mich zum einen, dass Sie, verehrter Herr Präsident Stilz, in Ihrer neuen Funktion heute bei dieser Feierstunde zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung treten können. Vor acht Wochen hat Sie der Landtag zum Präsidenten des Staatsgerichtshofs gewählt – wohlgemerkt mit 111 von 111 abgegebenen Stimmen, also in der Gewissheit, dass die Aufgabe bei Ihnen angesichts Ihrer reichen Erfahrung in Jurisdiktion und Exekutive bestens aufgehoben ist. Zusammen mit dem neuen Präsidenten hat der Landtag Sie, Herr Strauß, zum Mitglied des Staatsgerichtshofes gewählt – auch Ihnen von dieser Stelle aus nochmals alles Gute für diese Tätigkeit. Wirklich ganz besonders freue ich mich, dass wir Ihr Wirken am Staatsgerichtshof, Herr Präsident Freund, heute und damit verdientermaßen im Rahmen eines herausgehobenen Anlasses würdigen können. Nach neunzehn Jahren – davon elf als Präsident – mussten Sie mit Rücksicht auf Ihre Gesundheit aus Ihrem Amt vorzeitig ausscheiden. Das Wortspiel vom Beruf, der als Berufung empfunden wird, ist zwar nicht mehr originell – auf Sie und Ihren Weg bis zum Vizepräsidenten des VGH trifft es aber in beeindruckender Weise zu. Man spürte stets, wie Sie es als spezifische persönliche Verpflichtung interpretierten, dass Ihre herausragende Richterkarriere durch das Präsidentenamt am Staatsgerichtshof eine Krönung erfahren hatte. Sie brachten Ihre Qualitäten voll und ganz in diese Tätigkeit ein: Ihre exzellente juristische Kompetenz und richterliche Erfahrung ebenso wie Ihre in bestem Sinne konservative Bindung an unsere Grundwerte, Ihr politisches Gespür und Ihre heiter-gelassene Souveränität. Neunzehn Jahre – das entspricht der Amtszeit von Bismarck als Reichskanzler; eine ganze Politikergeneration kennt den Staatsgerichtshof nur mit Ihnen als Mitglied. Es heißt, Verfassungsgerichte sind so stark, wie sie durch ihre Anrufung gemacht werden. So gesehen, ist dem Staatsgerichtshof Baden-Württemberg vom Landtag und aus dem Landtag einiges von seiner Bedeutung zugewachsen. Ich denke an die Rechtsprechung zur Wahlprüfung, zur Wahlkampfkostenerstattung, zum Parlamentsrecht und hier speziell zum parlamentarischen Untersuchungsrecht, das konkretisiert, gefördert und erst jüngst wieder weitergeführt worden ist. Natürlich dürfen in der Demokratie der Verfassungsgerichtsbarkeit Streitfragen nicht mit leichter Hand zugeschoben werden. Andererseits sind verfassungsgerichtliche Verfahren auch nichts Negatives, denn sie kristallisieren unsere Verfassungsgrundsätze; und sie zeigen auf, in welchen Bahnen sich die Politik und die parlamentarischen Abläufe zu bewegen haben. Für den Landtag konstatiere ich gerne: Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hat in 50 Jahren dafür gesorgt, • dass die Mehrheit bekommen hat, was ihr kraft Verfassung zusteht, • und dass der Minderheit gewahrt blieb, was ihr kraft Verfassung garantiert ist. Schon deshalb, aber bei weitem nicht allein deshalb kann der Staatgerichtshof als ein allseits hoch angesehenes Staatsorgan sein 50-jähriges Jubiläum feiern. Und das ist in einer Zeit, in der die Autorität von Institutionen so leicht verfällt, wahrlich ein wohltuender Befund.