Gedenkbuch für im Nationalsozialismus verfolgte Abgeordnete vorgestellt

Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Mittwoch, 20. März 2019, ein neues, umfassendes Gedenkbuch für die in der NS-Zeit aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgten Abgeordneten vorgestellt. 308 Männer und 19 Frauen aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg sind darin mit ihrer Verfolgungsbiografie dokumentiert. „Dieses Gedenkbuch ist mehr als eine formale Würdigung. Es ist eine Mahnung und das Signal, dass die Aufarbeitung der NS-Geschichte nicht abgeschlossen ist“, so Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) bei der Präsentation. Ein leinengebundenes Exemplar ist im Übergang zwischen Landtagsgebäude und Bürgerzentrum auf einem Pult ausgestellt, darüber der Schriftzug „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Art.1 GG). Alle Inhalte sind auch an einem barrierefreien Touchscreen-Tisch sowie auf der Landtags-Homepage abrufbar.

„In diesem Gedenkbuch sind Abgeordnete gewürdigt, die für ihre Überzeugung, ihren freien Geist und ihren aufrechten Gang gelitten oder gar ihr Leben gelassen haben. Ihre Biografien rufen uns den unschätzbar hohen Wert von freien Wahlen und Rechtstaatlichkeit, von Demokratie und Freiheit ins Gedächtnis“, so Landtagspräsidentin Aras am Mittwoch. Die Leidensgeschichten dieser Menschen öffentlich zu machen, sei eine enorm wichtige Arbeit – auch, weil sie geeignet sei, uns nachfolgenden Generationen „einen klaren Kompass für Gegenwart und Zukunft zu geben“, betonte die Präsidentin.

Die Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, Paula Lutum-Lenger, führte bei der Präsentation aus: „Das Gedenkbuch macht deutlich, wie unterschiedlich die Schicksale der Verfolgten waren – von Einschüchterung und Überwachung über juristische Schikanen und Entlassung bis hin zu Haft in Konzentrationslagern und Ermordung. Letztlich ist aber die Arbeit mit dem Gedenkbuch nie abgeschlossen. Es soll als Beitrag und Aufforderung verstanden werden, sich weiter mit der NS-Diktatur und der Demokratiegeschichte zu befassen.“

Der Landtag von Baden-Württemberg hatte, angestoßen u.a. durch den früheren Landtagsvizepräsidenten Dr. Alfred Geisel (SPD), 2012 eine umfassende Aufarbeitung der Verfolgung südwestdeutscher Parlamentarier beauftragt. Veröffentlichungen zum Schicksal von Reichstags- und Landtagsabgeordneten, etwa aus Hessen, Hamburg oder Bayern, gibt es bereits. Diese konzentrieren sich jedoch auf Abgeordnete, die bis 1933 in Parlamenten saßen. Der Landtag von Baden-Württemberg geht mit seinem „Gedenkbuch“ darüber hinaus, indem er auch wegen ihrer politischen Aktivitäten verfolgte Parlamentarierinnen und Parlamentarier einbezieht, die erst nach 1945 in eine Volksvertretung eingezogen sind.

Eine Arbeitsgruppe u.a. aus Landeskundlern, Historikern verschiedener Archive, des Hauses der Geschichte, von Vermögen und Bau sowie aus der Landtagsverwaltung begleiteten das groß angelegte Projekt. Fast sechs Jahre recherchierten Mitarbeiter des Hauses der Geschichte, dessen früherer Leiter Thomas Schnabel die thematische Einführung für das Buch verfasste, Verfolgungsbiografien in den Staatsarchiven. Berücksichtigt wurden Repressionen aller Art, um das breit angelegte Denunziations- und Verfolgungssystem in der NS-Diktatur sichtbar zu machen. Das bisherige Gedenkbuch des baden-württembergischen Landtags aus dem Jahr 2004 würdigte 18 in der NS-Zeit zu Tode gekommene Abgeordnete aus dem südwestdeutschen Raum. Es wird dem Hauptstaatsarchiv des Landes übergeben. Das bronzefarbene Gedenkbuch-Pult sowie der Touchscreen-Tisch ergänzen baulich und von der Designsprache die Dauerausstellung im Übergang von Haus des Landtags zum Bürger- und Medienzentrum. Die Entwürfe stammen von Staab Architekten Berlin in Zusammenarbeit mit Vermögen und Bau, Amt Stuttgart.

 

Hinweise: Das „Gedenkbuch“ eignet sich für die Erarbeitung regionaler Aspekte der NS-Herrschaft insbesondere durch Schulklassen.

Der Link www.ltbw.de/gedenkbuch führt zum Online-Gedenkbuch auf der landtags-Webseite, wo Biografien der Verfolgten über Namen, Partei, Orte bzw. Regionen recherchiert werden können. Druckfähige Bilder sind über die Landtagspressestelle@landtag-bw.de zu erhalten.

Der Landtag von Baden-Württemberg und das Haus der Geschichte sind dankbar für Hinweise oder Korrekturen aller Art, aber auch für Dokumente oder Bilder, die die Biografien der verfolgten Frauen und Männer komplettieren könnten.