Grußwort des Ersten Stellvertretenden Landtagspräsidenten Frieder Birzele bei der Landkreisversammlung am 6. Oktober 2003 in Göppingen
Es gilt das gesprochene Wort! >>Ich freue mich sehr, dass ich hier in meiner Heimatstadt Göppingen die Gelegenheit habe, die Grüße des Landtags zu Ihrer heutigen Landkreisversammlung zu überbringen. Es gibt eine Vielzahl gemeinsam zu regelnder Angelegenheiten zwischen Land – Landtag und Landesregierung – einerseits und den Landkreisen andererseits. Lassen Sie mich einige wenige davon ansprechen, ohne das Zeitlimit eines Grußwortes zu überschreiten. Mit Ihren gemeinsam mit Städtetag und Gemeindetag zu Beginn der Legislaturperiode formulierten Forderungen an die neue Landesregierung und den neuen Landtag haben Sie als ersten wichtigen Punkt angesprochen: „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ und dabei eingefordert, dass auf allen politischen Ebenen dafür Sorge zu tragen sei, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht geschwächt, sondern gestärkt werde. Wir hatten gerade die Regierungskonferenz in Rom, die sich mit dem Verfassungsentwurf für Europa, vorgelegt vom Europäischen Konvent, befasst hat. Bei diesem Entwurf ist es – gerade auch durch den Einsatz unserer deutschen Konventsmitglieder aus Baden-Württemberg: Ministerpräsident Erwin Teufel für den Bundesrat, Professor Dr. Jürgen Meyer für den Bundestag und teilweise Staatsminister Hans-Martin Bury in Vertretung für Außenminister Fischer – gelungen, in Artikel 5 des Entwurfs ausdrücklich festzulegen: „Die Union achtet die nationale Identität der Mitgliedsstaaten, die in deren grundlegender politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt“. Damit ist die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Baden-Württemberg auf europäischer Ebene abgesichert. Es wird jetzt wichtig sein, dass der Verfassungsentwurf des Konvents nicht aufgeschnürt wird, denn sonst besteht die Gefahr, dass der gute Kompromiss, den der Konvent erzielt hat, Schaden nimmt. Gegenwärtig wird in einer gemeinsamen Kommission von Vertretern des Bundestages, des Bundesrates und einiger Vertreter der Landtage über die Neuausrichtung des Föderalismus beraten. Zielsetzung ist unter anderem eine Stärkung der Länderkompetenzen, ein Abbau der Mischkompetenzen zwischen Bund und Ländern und damit verbunden auch eine Reduzierung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze. Ob es dabei gelingt, eine Verbesserung der Mitwirkungskompetenzen der Kommunen auf Bundesebene herbeizuführen, insbesondere die Einführung des Konnexitätsprinzips entsprechend unserer Landesverfassung (Artikel 71 Absatz 3 LV) vorzusehen, ist (noch) kontrovers. Ich persönlich wäre sehr dafür. Bei Ihrer letzten Landkreisversammlung im Oktober 2001 in Friedrichshafen hat Landtagspräsident Straub angekündigt, dass die Mitwirkungsrechte der Kommunen in der Geschäftsordnung des Landtages besser abgesichert werden sollen. Wir hatten bereits die Regelung (in § 50a), dass den kommunalen Landesverbänden auf Verlangen Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme vor dem Ausschuss zu geben ist, wenn ein Gesetzentwurf beraten wird, bei dem nach der Verfassung eine Anhörung geboten ist. Dies auch dann, wenn bereits eine schriftliche Stellungnahme erfolgt ist. Bei wesentlichen Änderungen ist eine erneute Anhörung vorzunehmen. Nunmehr ist ausdrücklich zusätzlich festgelegt, dass die Zusammenschlüsse der Gemeinden und Gemeindeverbände, also die kommunalen Landesverbände, „bei Gesetzesberatungen in wesentlichen Fragen der Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen Zutritt zu den nichtöffentlichen Ausschusssitzungen“ haben und „gehört“ werden. Diese Änderung geht auf eine Vereinbarung der kommunalen Landesverbände mit dem Landtagspräsidium vom 4. April 2000 zurück, die als Konsequenz aus dem Urteil des Staatsgerichtshofs zum kommunalen Finanzausgleich vom 10. Mai 1999 getroffen wurde. Wir sollten gemeinsam überprüfen, ob nicht generell die beratende Teilnahme an Ausschusssitzungen einzuräumen ist, soweit Gegenstände behandelt werden, die Kommunen berühren. Sie hatten als weiteren zentralen Punkt eine durchgreifende Verwaltungsreform gefordert, die dem „Grundsatz der subsidiären Aufgabenwahrnehmung“ und der „damit einhergehenden Ausstattung mit entsprechenden Finanzmitteln“ vordringlich Rechnung tragen solle. Zu diesem Komplex ist in diesem Jahr viel in Bewegung geraten. Die SPD-Fraktion hat zu Beginn des Jahres ihre Konzeption vorgelegt. Sie will eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung zunächst dadurch erreichen, dass unter konsequenter Ausschöpfung aller Möglichkeiten Selbstverwaltungsaufgaben auf Städte und Gemeinden übertragen werden. Die verbleibenden Selbstverwaltungskompetenzen der Landkreise, die Kreiskompetenzen der Stadtkreise und die Kompetenzen der Regionalverbände sollten in ca. acht Regionalkreisen gebündelt werden, um Planung, Entscheidung, Finanzierung und Durchführung weitestgehend wieder zusammen zu führen. Die Aufgaben staatlicher Verwaltung sollten nach dem gleichen System zugeordnet werden, das heißt, die Verwaltungsaufgaben sollten weitgehend Gemeinden und Städten bzw. den Regionalkreisverwaltungen übertragen werden. Die Fraktion Grüne hat ähnliche Vorschläge vorgelegt. Ministerpräsident Teufel und ihm folgend die Regierungsfraktionen haben – ohne Änderung der Selbstverwaltungsstruktur – eine umfassende Eingliederung der unteren staatlichen Sonderbehörden vorwiegend in die Landratsämter und der Mittelbehörden in die Regierungspräsidien vorgesehen. Mit den Vorschlägen der Regierung werden Sie sich heute intensiv auseinandersetzen, insbesondere wird Ministerpräsident Teufel sie detailliert darlegen, sodass ich hierauf nicht näher einzugehen brauche, obwohl mich dies persönlich schon sehr reizen würde. Doch trotz des prinzipiell anderen Ansatzes der Oppositionsfraktionen werden diese sich, nachdem die Eckpunkte von den Regierungsfraktionen – allerdings bisher nicht vom Landtag – festgelegt sind, selbstverständlich konstruktiv und mit Änderungsvorschlägen an den kommenden Gesetzesberatungen beteiligen. Wichtig für die Beratungen im Landtag wird dabei sein, dass alle staatlichen Verwaltungsaufgaben zunächst darauf überprüft werden, ob sie überhaupt noch von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden und ob und inwieweit sie auf die Gemeinden übertragen werden können. Ferner wird zu überprüfen sein, ob die horizontale Verknüpfung auf der Ebene der Landratsämter sinnvoll ist, oder ob größere Einheiten für eine wirksame Aufgabenwahrnehmung notwendig sind. Ein ganz zentraler Punkt für die Beratungen wird sein, ob und wenn ja welche Effizienzrendite erzielbar ist. Dies ist nicht nur für die Landkreise, sondern wegen der Kreisumlage auch für die Städte und Gemeinden außerordentlich wichtig, denn es muss vermieden werden, dass die Verwaltungsreform sich finanziell zu Lasten der Kommunen auswirkt und damit gegen die Landesverfassung (Art. 71 Abs. 3 LV) verstoßen würde. Die vorher erwähnte neue Vorschrift des § 50 Abs. 6 der Geschäftsordnung wird gewährleisten, dass der Landkreistag und die beiden anderen kommunalen Landesverbände in den Ausschusssitzungen zu allen Vorschlägen ausreichend gehört werden. Lassen Sie mich noch kurz einen letzten Bereich ansprechen, die anstehende Novellierung des Flüchtlingsaufnahme- und Unterbringungsgesetzes. Hier weisen die israelitischen Religionsgemeinschaften von Baden und Württemberg meines Erachtens zu Recht darauf hin, dass die aufzunehmenden jüdischen Emigranten „im näheren Einzugsgebiet einer jüdischen Gemeinde untergebracht“ werden sollten. Nur dann kann nach meiner Überzeugung gewährleistet werden, dass dem Primat „der Stärkung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland“ weitgehend Rechnung getragen wird. Denn Teilhabe am religiösen Leben und Betreuung durch die jüdischen Gemeinden sind bei einer gemeindefernen Unterbringung nur äußerst schwer, wenn überhaupt möglich. Ich bitte Sie deshalb, auch diesen Gesichtspunkt bei Ihren Stellungnahmen zur Gesetzesnovelle angemessen zu berücksichtigen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei Ihren heutigen Beratungen viele neue und wertvolle Erkenntnisse gewinnen, und sichere Ihnen zu, dass der Landtag, aber auch alle Fraktionen, stets bereit zu konstruktiven Gesprächen und fairen Verhandlungen sind.