Gutachten zu NS-Bezügen von Kunstwerken im Landtag und Handlungsempfehlungen liegen vor

Stuttgart. Als erster Landtag eines Flächenlandes lässt der Landtag von Baden-Württemberg die NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter sowie NS-Bezüge von im Landtag ausgestellten Kunstwerken wissenschaftlich untersuchen. 2024 startete das Forschungsprojekt, das mit Mitteln der Baden-Württemberg Stiftung finanziert wird, auf Initiative von Landtagspräsidentin Muhterem Aras unter Koordinierung der Landeszentrale für politische Bildung (LpB). Jetzt liegen – wenige Tage nach Abschluss des Teilprojekts zu den im Landtag gezeigten Kunstwerken – erste Ergebnisse vor. Sie wurden am Dienstag, 4. November 2025, dem Präsidium des Landtags als Auftraggeber vorgestellt. 

Prof. Frank Engehausen (Historisches Seminar der Universität Heidelberg) und Dr. Leonie Beiersdorf (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe) erläuterten vor dem Gremium ihre Forschungsergebnisse, die in einem Gutachten vorliegen, und die daraus von einem Wissenschaftlichen Beirat abgeleiteten Handlungsempfehlungen. Das Gutachten mit dem Titel „NS-Bezüge der im Landtag von Baden-Württemberg ausgestellten Kunstwerke“ ist ab sofort auf der Homepage der Landeszentrale für politische Bildung(externer Link) abrufbar. 

In dem Gutachten wird zunächst dargelegt, wie und von wem in den 1960er Jahren Grundsatzentscheidungen über die künstlerische Ausgestaltung des Landesparlaments getroffen wurden. Anschließend werden die Künstlerinnen und Künstler, die mit der Anfertigung von Kunstwerken wie dem Großen Landeswappen für den Plenarsaal, Gemälden, Tapisserien und Plastiken für Räume und Wandelgänge beauftragt wurden, biografisch insbesondere mit Blick auf ihre Vergangenheit im Nationalsozialismus durchleuchtet. Auch die Landtagspräsidenten, an die neun auf Stelen angebrachte Büsten im Foyer der Volksvertretung erinnern, werden entsprechend biografisch untersucht.

Der Wissenschaftliche Beirat hat aufgrund der Forschungsergebnisse Handlungsempfehlungen erarbeitet. Aus seiner Sicht besteht zu folgenden Künstlern und ihren Kunstwerken aufgrund der formalen Belastung beispielsweise durch Mitgliedschaft in der NSDAP oder in anderen NS-Organisationen Handlungsbedarf: Walter Brudi (1907-1987), David Fahrner (1895-1962), Jakob Wilhelm Fehrle (1884-1974) und Fritz von Graevenitz (1892-1959). 

Handlungsbedarf bestehe auch zu folgenden mit Büsten dargestellten Landtagspräsidenten: Erich Ganzenmüller (1914-1983), Franz Gurk (1898-1984), Carl Neinhaus (1888-1965) und Camill Wurz (1905-1986). Grundsätzlich wird im Gutachten betont, dass es sich bei den vier formal belasteten ehemaligen Landtagspräsidenten nicht um aktiv an NS-Verbrechen Beteiligte handele. Es gehe darum, historische Fakten zu präsentieren, Fragen aufzuwerfen und Gesprächsanlässe zu schaffen.

Die Beiratsmitglieder kommen in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass alle Künstlerinnen und Künstler sowie die dargestellten Landtagspräsidenten auf geeignete Weise kommentiert werden sollten. Dies solle durch Hinweise direkt an den Kunstwerken sowie auch auf der Homepage des Landtags geschehen. Es gehe darum, formale Belastungen sowie Brüche und Kontinuitäten in den Biografien der Kunstschaffenden und Politiker sichtbar zu machen. Gleichzeitig solle aber auch ihre Integration in die westdeutsche Nachkriegsdemokratie erkennbar werden.

In einem ersten Schritt, so Landtagspräsidentin Aras, solle von der Landtagsverwaltung in Abstimmung mit dem Wissenschaftlichen Beirat geprüft werden, wie eine Kommentierung der NS-belasteten Künstler sowie der dargestellten Landtagspräsidenten vor Ort und im digitalen Raum aussehen und zeitlich umgesetzt werden könnte. In der nächsten Präsidiumssitzung solle dann ein Fahrplan für das weitere Vorgehen erörtert werden.

 

Hintergrundinformationen

Auf Initiative der Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, Muhterem Aras, hat das Präsidium des Landtags von Baden-Württemberg am 21. November 2023 die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) damit betraut, gemeinsam mit einem zu gründenden Wissenschaftlichen Beirat eine Konzeption für ein Gutachten zur NS-Vergangenheit ehemaliger Abgeordneter der südwestdeutschen Parlamente in der Nachkriegszeit (1946- 1956) und zum Umgang mit künstlerischen Darstellungen NS-belasteter Abgeordneter bzw. Künstlerinnen und Künstler im Landtag von Baden-Württemberg vorzubereiten. Am 27. Februar 2024 stimmte das Präsidium der vorgestellten Projektskizze und der entsprechenden Antragseinreichung bei der Baden-Württemberg Stiftung zu. Im Frühjahr 2024 wurde die Förderung des Forschungsprojektes mit Beginn zum 1. Juli 2024 vom Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung bewilligt. Das Teilprojekt NS-Bezüge der im Landtag von Baden-Württemberg ausgestellten Kunstwerke wurde im Oktober 2025 abgeschlossen. Das Forschungsprojekt „NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter nach 1945“ wird voraussichtlich bis Ende 2027 abgeschlossen sein.

Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats sind: 

  • Prof. Dr. Frank Engehausen, Universität Heidelberg, Historisches Seminar
  • Pof. Dr. Philipp Gassert, Universität Mannheim, Historisches Institut, Lehrstuhl für Zeitgeschichte
  • Dr. Maike Hausen, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Lehrbeauftragte für Zeitgeschichte an den Universitäten Tübingen und Mannheim
  • Dr. Cornelia Hecht-Zeiler, Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Sabine Holtz, Universität Stuttgart, Historisches Institut, Leiterin der Abteilung Landesgeschichte, zugleich Vorsitzende der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Reinhold Weber, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Tübingen und Koordinator des Forschungsprojekts