In Freiburg letzte auswärtige Plenarsitzung anlässlich des Landesjubiläums eröffnet
Präsident Straub: Landtag bekennt sich unmittelbar und authentisch zu seiner südbadischen Wurzel Freiburg. Nach Karlsruhe im Mai und Bebenhausen im Juli ist Freiburg nun der dritte und letzte auswärtige Tagungsort, an dem der Landtag von Baden-Württemberg anlässlich des 50-jährigen Landesjubiläums zusammengekom-men ist. Eröffnet wurde die Plenarsitzung am Mittwoch, 16. Oktober 2002, im Freiburger Historischen Kaufhaus mit einer Ansprache von Landtagspräsident Peter Straub (CDU). Seine Rede hatte folgenden Wortlaut: >>Ich eröffne die 31. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und heiße Sie hier in Freiburg herzlich willkommen. Wir haben uns in einem wahrhaft geschichtsträchtigen Gebäude versammelt, in des-sen langer „Vita“ es fast nur eine Facette ist, dass hier von 1946 bis 1952 zunächst die Beratende Landesversammlung und dann der Badische Landtag eine angemes-sene Adresse und vor allem ein Dach über den Köpfen hatten. Mein besonderer Dank gilt deshalb dem Hausherrn, also Ihnen, Herr Oberbürgermeister Dr. Salomon, und natürlich auch Ihrem Amtsvorgänger, also Ihnen, Herr Oberbürgermeister a. D. Böhme, dass Sie uns die Möglichkeit eröffnet haben, heute und morgen an diesem eindrucksvollen Originalschauplatz der parlamentarischen Nachkriegsgeschichte im deutschen Südwesten zu tagen. Der Landtag von Baden-Württemberg kann sich so unmittelbar und authentisch zu seiner südbadischen Wurzel bekennen. Mein Dank schließt natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freiburger Stadtverwaltung ein, die die Landtagsverwaltung in der Vorbereitungsphase sehr engagiert und tatkräftig unterstützt haben und die bis morgen Abend mit dafür sor-gen werden, dass unsere Sitzungen auch ohne die gewohnte Infrastruktur reibungs-los verlaufen. Sehr freuen können wir uns, dass einige Ehrengäste unserer Sitzung beiwohnen, denen ich meinen herzlichen Willkommensgruß entbiete. Dass die dritte Auflage unserer auswärtigen Plenarsitzungen aufgrund der Sommer-pause und der Bundestagswahl mit einem gewissen Abstand zu den vielfältigen offi-ziellen Veranstaltungen aus Anlass unseres Landesjubiläums stattfindet, ist weder eine Zurücksetzung noch eine Abwertung. Im Gegenteil. Die Zäsur hilft uns, die spezifische Bedeutung des Nachkriegslandes Baden für den Weg zur Landesgründung und - nachwirkend - für die innere Entwick-lung Baden-Württembergs so wahrzunehmen, wie sie wahrgenommen werden müs-sen. Also nicht holzschnittartig, nicht in den oberflächlichen Kategorien von Sieg und Niederlage verharrend, sondern mit einem differenzierenden Blick auf die Feinheiten und mit der Bereitschaft, den damaligen Akteuren und ihrem zutiefst politischen Im-petus Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Der Kampf gegen den Südweststaat war nämlich nicht Ausdruck einer billigen Hei-matverklärung oder eines kleingeistigen, kurzsichtigen Sektierertums. Leo Wohleb und seine Mitstreiter dachten politisch strikt vom einzelnen Menschen her. Sie be-wegte die Frage, welche Strukturen das Wohl des Einzelnen im nationalen und im europäischen Rahmen am besten gewährleisten würden. Sie sahen in kleinen Ge-meinwesen die richtige Antwort auf die Gefahren des Massenzeitalters. Es ging ih-nen um praktizierte Subsidiarität an Stelle des Denkens in – aus ihrer Sicht - zu gro-ßen Einheiten. Leo Wohleb und seine Mitstreiter wollten ihr politisch-historisches Heimatempfinden nicht bloß kulturell bewahren – sie wollten es innerhalb der verfassten Ordnung poli-tisch entfalten. Auch wenn sie die großen Chancen und die konstruktiven inneren Prozesse des Südweststaates falsch einschätzten, so liegt vieles von dem, was sie im Kern bewegte, durchaus nahe bei dem, was wir Heutigen angesichts der Globali-sierung und Ökonomisierung unseres Lebens denken, fühlen und politisch wollen. Selbstredend ist es höchst problematisch, in historischen Betrachtungen zu fragen „Was wäre gewesen, wenn…“. Trotzdem darf man der Meinung sein, dass das Wort vom „Modellfall deutscher Mög-lichkeiten“ nicht so schnell hätte geprägt werden können, wenn die Fusion der drei Nachkriegsländer völlig leidenschaftslos verlaufen wäre. Denn die Befürworter der Dreierfusion mussten sich angesichts des wortmächtigen und passionierten argu-mentativen Widerstands mit besonderer Deutlichkeit verpflichten, für eine gerechte Entwicklung des Landes zu sorgen. Und das blieb nicht ohne Wirkung: Die einen konnten darauf pochen; und die anderen mussten sich daran konkret messen lassen – was ihnen sehr bewusst war. So gab es im Landtag Debatten, bei denen die würt-tembergischen Abgeordneten ausdrücklich beweisen wollten, wie ernst sie es mein-ten mit den Hilfen für die von der Landeshauptstadt entfernten Teile, insbesondere für den südbadischen Raum. Unsere beiden Plenartage hier in Freiburg sollen aber auch deutlich machen, dass man das politisch-parlamentarische Leben des Nachkriegslandes Baden in der Rückschau nicht auf die Auseinandersetzung um die Länderneugliederung verengen darf. Hunger, Abholzung der Wälder, Demontagen – die in Regierung und Parlament Verantwortlichen hatten vor allem die Aufgabe, für die Leid und Not geprüfte Bevöl-kerung das Mögliche zu tun und ihr eine Perspektive zu vermitteln. Gerade Leo Wohleb erwies sich dabei nicht als Doktrinär, sondern als handfeste und sozial den-kende Persönlichkeit. Und Gleiches gilt für die anderen herausragenden Köpfe jener Phase: Fritz Schieler und Richard Jäckle; Anton Dichtel und Karl Person; Georg Menges und Paul Waeld-lin – um nur sechs zu nennen. Das Bundesland Baden besaß eine sehr fortschrittli-che Sozialgesetzgebung, namentlich für die Kriegsopferversorgung und die betriebli-che Mitbestimmung. Das Zentralabitur wurde praktiziert; und durch die Festlegung auf die „Simultanschulen mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn“ fand man ein zeitgemäßes Muster für den erstrebten Kulturföderalismus. Dem Nachkriegsland Baden die Reverenz zu erweisen, muss auch einschließen, ein realistisches Urteil über die Besatzungsmacht Frankreich zu fällen. Natürlich: Das Leben in der französischen Besatzungszone war – auch und gerade hier in Südba-den – besonders hart und kärglich. Aber: Frankreich war selbst ein geschundenes, ausgeblutetes und innerlich zerrissenes Land. Und die Franzosen betrachteten den einstigen Feind verständlicherweise kritisch, ja misstrauisch. Die Idee der deutsch-französischen Freundschaft hatte keine guten Startvoraussetzungen - aber sie be-hauptete sich doch. Nicht zuletzt die ererbte badische Fähigkeit zum unbefangenen Umgang mit der Grenze bewirkte, dass das Nachkriegsland Baden die Vorreiterrolle in der gedeihlichen Entwicklung des Verhältnisses zu Frankreich übernahm. Schon 1946 wurde hier in Freiburg das erste „Institut français“ eröffnet. Denn eines ver-nachlässigte Frankreich trotz aller eigenen Probleme nicht: die Kulturpolitik bis hin zur frühen Begründung des Jugendaustausches. Langer Rede kurzer Sinn: Das Nachkriegsland Baden und alle, die zwischen 1945 und 1952 in Legislative und Exekutive politische Verantwortung trugen, haben es in hohem Maße verdient, dass wir uns mit Hochachtung und Dankbarkeit an diese Phase unserer Landesgeschichte erinnern.