Innenausschuss befasst sich mit Berechnungsverfahren und zunehmender Zersplitterung bei Kommunalwahlen
Stuttgart. Der Innenausschuss des Landtags hat sich in seiner Sitzung am Mittwoch, 12. Februar 2025, auf Antrag der Fraktionen CDU und FDP/DVP mit der zunehmenden Zersplitterung bei Kommunalwahlen und den Folgen für die Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden befasst. Im Mittelpunkt der Debatte sei unter anderem die Frage gestanden, ob ein anderes Sitzberechnungsverfahren diese Entwicklung verhindern würde und ob eine Sperrklausel verfassungsrechtlich zulässig wäre. „Die Debatte im Ausschuss hat gezeigt, dass die Fraktionen beim Thema Berechnungsverfahren verschiedene Meinungen vertreten“, sagte der Vorsitzende des Gremiums, der CDU-Abgeordnete Ulli Hockenberger.
Hockenberger zufolge habe sich die CDU-Fraktion mit ihrem Antrag nach den Auswirkungen des Berechnungsverfahrens nach Sainte-Laguë/Schepers im Vergleich zu d´Hondt bei der Kommunalwahl 2024 erkundigt. Die Fraktion FDP/DVP habe mit ihrem Antrag in Erfahrung bringen wollen, ob und inwieweit seit 2014 kommunale Gremien aufgrund einer Zersplitterung in ihrer Funktions- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen seien. Zudem sei gefragt worden, welche konkreten Vorschläge für eine verfassungskonforme Änderung des Sitzverteilungsverfahrens die Landesregierung habe bzw. für möglich und zulässig erachte.
Die Landesregierung habe erklärt, sie könne die Sorge des Städtetags vor einer zunehmenden Zersplitterung der kommunalen Gremien insbesondere in den größeren Städten nachvollziehen. Sie teile auch die Auffassung des Städtetags, dass durch die Mitwirkung zahlreicher Fraktionen, Gruppierungen oder Einzelräte die Arbeit in den kommunalen Gremien erschwert werden könne. Zugleich habe die Landesregierung erklärt, dass ihr und den Kommunalaufsichtsbehörden (Regierungspräsidien und Landratsämter) keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung (welche Kommunen die Funktions- und Handlungsfähigkeit eines gewählten kommunalen Gremiums mutmaßlich aufgrund einer Zersplitterung gefährdet oder beeinträchtigt sehen) vorlägen, da diesbezügliche Anfragen nach den Kommunalwahlen 2014 und 2019 nicht eingegangen seien. Es seien daher keine Handlungsempfehlungen gegeben worden.
Bei der Debatte in der Ausschusssitzung habe die CDU-Fraktion erklärt, sie halte eine Rückkehr zum Verfahren d´Hondt für die richtige Vorgehensweise, um das Problem der Zersplitterung zu lösen. So seien beispielsweise in Pforzheim von 17 Wahlvorschlägen zehn Wahlvorschläge mit nur einem Sitz in den Gemeinderat eingezogen. Die Fraktion der Grünen habe ausgeführt, dass große Städte wie Pforzheim verstärkt von einer Zersplitterung betroffen seien. In der Fläche in Baden-Württemberg würden in den meisten Kommunen die unterschiedlichen Berechnungsverfahren jedoch keine großen Unterschiede ergeben. Aktuell gebe es keinen Drang, am Kommunalwahlsystem etwas zu ändern. Trotzdem könne immer geschaut werden, wo etwas verbessert werden könne. Die gleiche Position habe die Fraktion FDP/DVP vertreten und argumentiert, dass die Zersplitterung in der täglichen Arbeit der Gemeinderäte gar kein Problem darstelle. Offensichtlich sei die Zersplitterung nicht das Problem zu dem es gemacht werde. Eine Rückkehr zu d´Hondt würde die Zersplitterung ohnehin nicht lösen. Dazu bräuchte es vermutlich ein ganz anderes Berechnungssystem.
Die SPD-Fraktion habe erklärt, dass die Arbeit in den Kommunen derzeit noch funktioniere. Dies liege auch ganz besonders am Engagement der Bürgermeister, denen es gelänge, verschiedene Meinungen unter einen Hut zu bringen. Allerdings sei die Arbeit viel schwieriger geworden, vor allem dort, wo viele Einzelinteressen vorhanden seien. Die Fraktion habe Gesprächsbereitschaft und -notwendigkeit signalisiert. Die AfD-Fraktion, welche ursprünglich eine Sperrklausel favorisiert habe, habe erläutert, dass die Probleme eher größer als kleiner würden. D´Hondt würde das Problem zwar etwas schmälern, sei aber nicht die Optimallösung. Es sei wichtig, bereits jetzt zu überlegen, wie man bis zur nächsten Kommunalwahl eine bessere Lösung finde.
Nach Angaben des Vorsitzenden habe Innenminister Thomas Strobl ausgeführt, dass es beim Verfahren Sainte-Laguë/Schepers für Kleinstgruppierungen einfacher sei, einen Sitz zu erlangen, als beim Verfahren nach d´Hondt. Allerdings sei die zunehmende Zersplitterung nicht allein eine Folge des Berechnungsverfahrens, sondern auch eine Entwicklung der letzten Jahre, in denen Einzelinteressen eine immer größere Rolle spielten.
In diesem Zusammenhang sei auch über die Frage einer Sperrklausel diskutiert worden. Eine Sperrklausel stelle nach Auffassung der Landesregierung einen erheblichen Eingriff in den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Wahl dar. Sperrklauseln seien zwar nicht generell unzulässig, es seien jedoch hohe verfassungsrechtliche Hürden zu beachten, wie auch das Bundesverfassungsgericht entschieden habe. Sperrklauseln bedürfen deshalb eines besonderen, sachlich legitimierten zwingenden Grundes. Die in einigen Flächenländern Deutschlands früher bestehenden Prozent-Sperrklauseln bei Kommunalwahlen seien durch die Verfassungsgerichte durchweg für verfassungswidrig erklärt worden. Derzeit gebe es in keinem Land eine Sperrklausel für Kommunalwahlen. Eine Prozent-Sperrklausel könnte nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur gerechtfertigt werden, wenn diese erforderlich wäre, um die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen sicherzustellen.
Erkenntnisse darüber, dass die Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage in Baden-Württemberg beeinträchtigt oder gefährdet wäre, lägen der Landesregierung nach eigenen Angaben nicht vor. Die Einführung einer Sperrklausel im baden-württembergischen Kommunalwahlrecht sei deshalb nach Auffassung der Landesregierung nicht möglich, fasste Hockenberger die Ausführungen zusammen.