Jahresempfang der Evangelischen Landeskirchen im Stuttgarter Neuen Schloss
Landtagspräsident Straub: Mitarbeiten am richtigen Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Zu den Rednern des diesjährigen Jahresempfangs der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg, der am Dienstag, 7. Dezember 2004, im Stuttgarter Neuen Schloss stattfand, zählte auch Landtagspräsident Peter Straub. Seine Ansprache hatte folgenden Wortlaut: >>„Das Jahr der Bibel geht weiter“ – als ich die Einladung zum heutigen Jahresempfang gelesen habe, ist mir eine Episode aus der jüngeren Vergangenheit eingefallen. Es war in diesem Frühjahr – genau am 23. Mai. Der frisch gewählte Bundespräsident schloss seine Ansprache vor der Bundesversammlung mit dem Satz: „Gott segne unser Land.“ Und obwohl Pathos oder Sendungsbewusstsein völlig fehlten, stutzten nicht wenige über den Wunsch nach dem Segen Gottes. Für mich hat dieses – buchstäblich – „ungläubige“ Staunen erhellt, wie gründlich das Gottvertrauen aus unserem öffentlichen Leben vertrieben ist. Die säkulare Gesellschaft scheint von den Menschen inzwischen alles zu erhoffen – von Gott hingegen fast nichts mehr. Und zu den „Risiken und Nebenwirkungen“ dieses Phänomens gehört: Wer sich dem Publikum mit der Bibel zeigt, verzichtet auf das obligate Manager-Image. Dabei sollten wir Politiker es besser wissen. Denn unser Schaffen ist zwangsläufig fragmentarisch. Wir bemühen uns um eine gedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens. Doch vieles bleibt der Machbarkeit entzogen. Und das führt zur Frage, wie wir mit dem Unverfügbaren umgehen. Das „Jahr der Bibel“ hat diesen Aspekt konkret beleuchtet – nicht zuletzt aufgrund des Ideenreichtums der Evangelischen Landeskirchen und des „Evangelischen Rundfunkdienstes Baden“. Wir Landtagsabgeordneten haben die gebotenen Plattformen wirklich gerne betreten, also nicht bloß pflichtgemäß oder aus „gruppendynamischen“ Zwängen. Ich freue mich deswegen sehr, dass unser heutiges Beisammensein Gelegenheit bietet, offiziell zu danken für diese „politische Zielgruppenarbeit“ im „Jahr der Bibel“. Rechnerisch kommt der Dank elf Monate zu spät – inhaltlich jedoch nicht, weil dieser Jahresempfang überschrieben ist mit: „Das Jahr der Bibel geht weiter.“ Diese Konstanz im Medienzeitalter verdient Respekt. Die Evangelischen Landeskirchen unterstreichen: Das „Jahr der Bibel“ war keine Marketingaktion – es war eine Rückbesinnung. Und in der Tat: Die Bibel ist kein totes Buch. Sie reizt, sie nährt und sie stärkt. Freilich nicht als Steinbruch zur willkürlichen Selbstbedienung. Nicht als multifunktionaler Resonanzboden für hehre Anliegen jeglicher Art. Sondern als dauerhafte Wurzel unserer Wertvorstellungen. Und als Hilfsmittel für etwas, das etlichen inzwischen zu kompliziert geworden ist – als Hilfsmittel für das Definieren von Zielen. So viel ist politisch sicher: Der überschuldete Wohlfahrtsstaat kann sich nicht auf die christliche Sozialethik berufen. Zentralismus sucht man darin vergebens, die Geringachtung von Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit ebenso. Unsere Debatten sollten daher nicht nach dem Schema laufen: Das Sozialste wäre, wenn man alles lassen könnte, wie es ist. Natürlich: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ – diese Maxime Salomos hat kein Verfallsdatum. Sie gilt trotz der Globalisierung und ungeachtet unserer verkorksten Demografie. Aber was ist gerecht? Und was ist sozial? Man wird den Eindruck nicht los, dass beide Begriffe höchst populär sind, weil jeder darunter subsumieren kann, was es ihm nützt. Gerecht und sozial – der Barmherzige hantiert damit gleichermaßen wie der Neidische, der Mitleidige ebenso wie der Eigensüchtige. Anders formuliert: Schmerzhaft ist der Reformprozess nicht allein wegen der materiellen Einschränkungen. Schmerzhaft ist er wegen des Vakuums, das aus der Erkenntnis folgt, dass wir nicht fortmachen können wie bisher. Es braucht Impulse, die das Ja des Einzelnen zu den erforderlichen Veränderungen erleichtern. Wo keine Perspektive, da kein Vertrauen – dieser schlichte Mechanismus des menschlichen Geistes verlangt nach Antworten. Die Bürger wollen wissen: Was hat Bestand? Wo verläuft künftig die Grenze zur Übermacht des Ökonomischen? Und wer vermag diese Grenze zu ziehen? Christ zu sein kann deshalb nicht im Verborgenen stattfinden. Friedrich Bonhoeffer hat die Mahnung hinterlassen: „Nicht die Welt aus den Angeln heben, sondern am gegebenen Ort das sachlich – im Blick auf die Wirklichkeit – Notwendige tun, muss die Aufgabe sein.“ Das verlangt heutzutage: am richtigen Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität mitzuarbeiten. Und an diesem Punkt schließt sich für mich der gedankliche Kreis: „Gott segne unser Land“ – der Wunsch des Bundespräsidenten spiegelt wider, dass unser Tagwerk in einem größeren Zusammenhang steht und nur hierin glücken kann. Gottes Segen ist keine Gunst, die uns auf dem Silbertablett serviert wird. Unsere politischen Anstrengungen sind die „conditio sine qua non“. Wir müssen manches neu justieren, ohne dabei zu verdrängen, dass es eine Vertikale gibt. Das wiederum bedeutet: Bibel-Leser sind im Vorteil. Denn Bibel-Leser wissen mehr. Sie haben es schwarz auf weiß: Glaube vermittelt Kontinuität im Wandel. Glaube schenkt seelische Kraft zur Vernunft. Speziell in diesem Sinn wünsche ich uns einen fruchtbaren Abend.