Jahresempfang der evangelischen Landeskirchen im Stuttgarter Neuen Schloss

Landtagspräsident Straub: Ohne weltliches Engagement der Kirchen wäre unser Gemeinwesen substanziell ärmer Stuttgart. Beim Jahresempfang der evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg am Dienstag, 5. Dezember 2006, im Neuen Schloss in Stuttgart, hat Landtagspräsident Peter Straub folgendes Grußwort gesprochen: >>Aus der Trennung von Kirche und Staat folgt, dass der Staat bei den Kirchen in einer spezifischen Schuld steht: in der Dankesschuld! Deshalb bekräftige ich bewusst als Erstes: Auch der Landtag schätzt aufs Höchste, was die evangelischen Landeskirchen, die Diakonie, die kirchlichen Einrichtungen und die Kirchengemeinden für die Allgemeinheit leisten – im Sozialen, bei der Betreuung, in der Bildung, im Kulturellen. Ohne dieses weltliche Engagement der Kirchen wäre unser Gemeinwesen substanziell ärmer. Und der politischen Auseinandersetzung würden gewichtige Argumente fehlen. Denn die Kirchen bringen vertikale Wertungen ein. Glaube wird so öffentlich präsent. Und das ist jedes Mal ein Prüfstein für uns alle. Von Friedrich Dürrenmatt stammt die Mahnung: „Der Wissende weiß, dass er glauben muss“. Und tatsächlich: Zentrale Aspekte der menschlichen Existenz gehorchen nicht der Logik. Reines Machbarkeitsdenken erschöpft unser Dasein. Selbst der Nationalökonom Friedrich August von Hayek sagte: „So paradox es klingen mag, eine erfolgreiche freie Gesellschaft wird immer eine im hohen Maß traditionsgebundene Gesellschaft sein.“ Anders formuliert: Religiöse Prägungen sind keine drückende Last. Glaube und Freiheit bilden nur vordergründig Gegensätze. In Wahrheit brauchen sie einander. Politisches Handeln verlangt, mannigfaltige Ansprüche und konträre Interessen in ein gedeihliches Verhältnis zu setzen. Und dieses Austarieren wiederum erfordert Überzeugungen, die den Menschen und das Prinzip Verantwortung in den Mittelpunkt stellen. Entscheidend sind das ernsthafte innere Ringen mit sich selbst und die Bereitschaft, auch in höherem Sinne Rechenschaft abzulegen. Damit bin ich gedanklich fast bei Ihrem Vortrag, Herr Professor Jüngel. Und als verbaler Brückenschlag sei mir der Hinweis auf den „vorchristlichen“ Sokrates gestattet. Für den war das Gewissen nicht eine Quelle der Gewissheit, sondern eine Quelle des Selbstzweifels. Ich kann dieser Charakterisierung viel abgewinnen. Wer gegenüber den eigenen Auffassungen wachsam und kritisch bleibt, der immunisiert sich nämlich gegen die fatalste aller politischen Verlockungen: gegen die Verlockung, seine Ansichten zu verabsolutieren. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes wussten, warum sie den Kirchen einen besonderen Status zubilligten: Sie wollten, dass das personale Menschenbild als unverzichtbarer politisch-gesellschaftlicher Rohstoff sicher nachwächst. Karl Barth schrieb schon 1938: „Die entscheidende Leistung der Kirche für den Staat besteht darin, dass sie ihren Raum als Kirche behauptet und ausfüllt. Indem sie die göttliche Rechtfertigung verkündet, wird aufs Beste auch der Erhaltung des menschlichen Rechts gedient.“ Dieser Befund Karl Barths ist zeitlos gültig. Und deswegen schließe ich mit dem Wunsch: Möge es den beiden evangelischen Landeskirchen weiterhin gelingen, ihren Raum als Kirche zu wahren und zu nutzen.