Jahresempfang der katholischen Bischöfe im Stuttgarter Neuen Schloss
Landtagspräsident Straub: Kirchen sind unersetzliche Orte der persönlichen Selbstfindung und Selbstbeschränkung Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Beim Jahresempfang der katholischen Bischöfe in Baden-Württemberg am Dienstag, 25. November 2003, im Neuen Schloss in Stuttgart hat Landtagspräsident Peter Straub folgendes Grußwort gesprochen: >>Die Säkularisation war eine geschichtliche Zäsur – eine Zäsur allerdings, für die schon bald das alte benediktinische Wort galt: „succisa virescit“ – „Aus Abgeschlagenem erblüht neues Leben“. Die Kirche besann sich auf ihr eigentliches Wesen; glaubensstarke, geistesmächtige Persönlichkeiten gingen schnell daran, die Kirche geläutert und in neuer Frömmigkeit wieder aufzubauen. Der Begriff „Säkularisierung“ hingegen steht für einen schleichenden und verhängnisvollen Prozess – nämlich für die Profanisierung und Trivialisierung unseres modernen Lebens. Wir alle erfahren Tag für Tag: Einer Zeit, die sich ihrer Gottlosigkeit rühmt, kommen – wie zur Strafe – auch die weltlichen Werte und Fixpunkte abhanden. 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluss von 1803 – das Datum sollte uns deshalb animieren, nicht bloß rückblickend ein epochales Ereignis zu würdigen, sondern - zur Selbstvergewisserung - das Heute im Kontext der historischen Erfahrung zu sehen. Diesem Anliegen haben Sie, hochwürdige Bischöfe, Ihren heutigen Jahresempfang gewidmet. Dafür möchte ich Ihnen namens des Landtags auf das Herzlichste danken. Die kommenden Stunden bieten Gelegenheit, gemeinsam zu reflektieren, wohin die Säkularisation in zwei Jahrhunderten geführt hat. Das entspricht einem Bedürfnis besonders all jener, die die Große Landesausstellung in Bad Schussenried besucht haben. Die meisten von uns dürften dort gewesen sein; und allen erging es wohl ähnlich: Die Exponate und der Gedanke, dass das wenige Erhaltene eine unvorstellbare Menge von Zerstörtem vertreten musste – beides zusammen wirkte überwältigend. Ob seiner Fülle konnte das Wahrgenommene gar nicht sofort verarbeitet werden. Inzwischen haben sich die grandiosen Eindrücke „gesetzt“ – was den Raum gibt, das Ganze noch einmal intellektuell zu durchdringen. Natürlich möchte ich Ihrem Vortrag, verehrter Herr Dr. Ruh, nicht vorgreifen. Drei kurze Befunde liegen mir aber am Herzen. Erstens: Staat und Kirchen müssen zwar getrennt durch Herkunft und Ziel, jedoch miteinander für die Menschen wirken. Dabei geht es auch um hochpolitische Aspekte: So ist die Soziale Marktwirtschaft nicht weiterzuentwickeln ohne Rückgriffe auf ein Menschenbild, das von den christlichen Postulaten – Individualität und Sozialität – geprägt wird. Der freiheitliche, demokratische und soziale Rechtsstaat möchte daher ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Kirchen, und ich meine, er verdient andererseits das Vertrauen der Kirchen. Zweitens: Der Mensch kann seine Freiheit bloß in fest gefügten Institutionen und Gemeinschaften entfalten. Das Kind braucht die Familie, der Unternehmer braucht verlässliche Rahmenbedingungen, der Wissenschaftler braucht die Universität. Und Religionsfreiheit – sie gibt es nicht ohne die Kirchen. Religion ist eben mehr als Ethik – nicht zuletzt, weil sie Symbole bereitstellt, um Trauer, Freude oder Hoffnung zu artikulieren und um das innere Gleichgewicht zu stärken. Das spüren wir gerade an den Feiertagen im November und – mit anderem Vorzeichen – in der bevorstehenden Weihnachtszeit und ebenso an Ostern und zu Pfingsten. Drittens: Der Mensch benötigt eine höhere Instanz, einen transzendenten Bezug, damit er sich nicht für das Maß der Dinge hält. Die Kirchen vermitteln Werte, Orientierung und Zusammenhalt in einer Welt, in der die „Ich-AG“ immer mehr zum Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens wird. Die Kirchen sind unersetzliche Orte der persönlichen Selbstfindung und Selbstbeschränkung. Von der sprichwörtlichen „Kirche im Dorf“ profitieren damit selbst jene, die es ihr nicht zu danken wissen. Langer Rede kurzer Sinn: Wir bedürfen der Kirchen als Wächterinnen dessen, was aus der Gnade Gottes kommt; als Protagonistinnen des Miteinanders von Transzendenz und Aufklärung; und als Begleiterinnen von uns Menschen in unseren guten wie in unseren schlechten Tagen. Um unser selbst willen tun wir also gut daran, bewusst zu bewahren, was an Segensreichem aus der Säkularisation erwachsen ist.