Jahrestagung des Landeskomitees der Europäischen Bewegung Deutschland

Grußwort von Landtagsvizepräsidentin Christa Vossschulte Stuttgart. Bei der Jahresveranstaltung des Landeskomitees Baden-Württemberg der Europäischen Bewegung Deutschland am 6. Dezember 2002 im Stuttgarter Landtag sprach Landtagsvizepräsidentin Christa Vossschulte folgendes Grußwort: >>Im Namen des Landtags von Baden-Württemberg begrüße ich Sie alle sehr herzlich zur Jahresversammlung des Landeskomitees der Europäischen Bewegung. Mein besonderer Gruß gilt dem Redner des heutigen Abends und Freund Baden-Württembergs, Ihnen sehr geehrter Herr Generalkonsul Etienne. Als Baden-Württemberg vor fünfzig Jahren gegründet wurde, war die Erinnerung an den furchtbaren, menschenverachtenden Krieg, der nicht nur Frankreich und Deutschland, sondern auch den größten Teil Europas verwüstet hatte, noch sehr wach. Aus dieser schrecklichen Erfahrung heraus haben sich Persönlichkeiten wie Robert Schumann, Jean Monnet und Konrad Adenauer dem Ziel verschrieben, auf Grundlage der deutsch-französischen Aussöhnung einen dauerhaften Frieden in Europa zu schaffen. Sie galten damals als kühne Visionäre. Heute steht die Europäische Union mit der Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer und der Erarbeitung eines europäischen Verfassungsvertra-ges durch den Konvent vor ihrer Vollendung. Sicher ist: Diese großartige Entwicklung der Integration wäre ohne die deutsch-französische Aussöhnung, die der Kern des europäischen Einigungswerks war und ist, nicht denkbar gewesen. Und ohne diese Aussöhnung könnten wir nicht auf mehr als fünfzig Jahre Frieden zurückblicken. Heute ist die deutsch-französische Verständigung zu einem Stück Normalität geworden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich auf der Grundlage des deutsch-französischen Vertrages nicht nur eine intensive Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Institutionen beiderseits des Rheins entwickelt. Zahlreiche Städtepartnerschaften, gerade auch von Gemeinden und Städten aus unserem Land, das in Deutschland die längste Grenze zu Frankreich hat, wie auch der Austausch von Schülern und Studenten haben zu einem engen Netz menschlicher Verbindungen geführt, die gar nicht überschätzt werden können. Angesichts der düsteren Bilanz der deutsch-französischen Beziehungen in der ers-ten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kann man fast von einem kleinen Wunder sprechen. Dies ist vor allem der älteren Generation bewusst, die Krieg und unmittelbare Nachkriegszeit noch unmittelbar erlebt hat. Für die heutige junge Generation sowohl in Deutschland wie auch in Frankreich ist die Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern selbstverständlich geworden. Leider hat damit auch das herausgehobene Interesse, das die Nachkriegsgeneration dem jeweiligen Nachbarland entgegenbrachte, etwas nachgelassen. Um dem entgegenzuwirken, möge man mir nachsehen, dass ich als Lehrerin eine Möglichkeit zur Abhilfe darin sehe, dass man den gegenseitigen Spracherwerb stärker fördert. Denn was immer mehr offenkundig wird, und Statistiken belegen dies: Die Bereitschaft Deutsch bzw. Französisch zu lernen, ist rückläufig. Angesichts der Dominanz des Englischen hat die Sprache des Nachbarn einen schweren Stand. Wenn wir also bei den jungen Menschen wieder stärker das Interesse wecken wollen, sich mit der Geschichte, Kultur und Mentalität des Nachbarlandes zu befassen, müssen wir alles daran setzen, den Fremdsprachenerwerb zu fördern. Die Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung. Nur dann kann im Übrigen auch ein europäisches Bewusstsein und eine europäische Identität wachsen. Ich sage das ganz bewusst als gelernte Englischlehrerin, weil ich weiß, dass das kein Plädoyer gegen das Englische ist. Die Frage ist nicht Englisch oder Französisch. Unsere jungen Menschen müssen im zusammenwachsenden Europa neben der Muttersprache die Sprache des Nachbarn und Englisch beherrschen, auch um ihre Berufschancen angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtungen in Europa zu erhöhen. Und im Übrigen wissen wir aus sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen, dass der Erwerb einer Fremdsprache umso leichter ist, wenn man bereits eine andere Fremd-sprache erlernt hat. Baden-Württemberg ist hier als Grenzregion besonders gefordert. Denn unsere grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein kann nur dann eine wirkliche Brückenfunktion zwischen unseren beiden Ländern bilden, wenn sich die Menschen auch auf Deutsch und Französisch verständigen können. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass unser Land ab dem nächsten Schuljahr flächendeckend den Französischunterricht in seinen Grundschulen am Oberrhein ein-führt und damit nicht nur bildungspolitisch, sondern auch europapolitisch ein Zeichen setzt. Ich bin sicher, dass dies die jungen Menschen auf beiden Seiten des Rheins einander näher bringt und das gegenseitige Verständnis fördert. Wir brauchen neben der Zusammenarbeit der politischen Institutionen gerade solche praktischen Fortschritte im Kleinen, um die deutsch-französischen Beziehungen am Vorabend des 40. Jahrestags des deutsch-französischen Vertrages mit Leben zu erfüllen. Ich bin gespannt, wie sich der Hauptredner des heutigen Abends, Herr Etienne, die Weiterentwicklung des deutsch-französischen Vertrages vorstellt. Ich danke Ihnen.