Jean-Claude Juncker: „Baden-Württemberg kann Europa und sollte Verantwortung übernehmen“
Stuttgart. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, war am Dienstag, 19. Februar 2019, zu Gast im Landtag von Baden-Württemberg – als erster Kommissionspräsident überhaupt. „Das verstehe ich als ein besonderes Zeichen der Wertschätzung des europapolitischen Engagements der Landesparlamente“, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras in ihrer Begrüßung. Präsident Juncker gab das Kompliment zurück: „Der Landtag in Stuttgart ist ein besonderer Ort für mich. Denn hier in Baden-Württemberg ist Europa eine Selbstverständlichkeit. Eins weiß ich ganz sicher: Baden-Württemberg kann Europa.“ Vor seiner „Rede zur Zukunft Europas“ vor gut 600 Gästen trug sich Präsident Juncker ins Gästebuch des Landtags ein und traf Journalistinnen und Journalisten zum Mediengespräch.
Junckers Besuch fällt in eine maßgebliche Phase der Brexitgespräche mit dem Vereinigten Königreich. Es sei die „tragischste Nachkriegsentscheidung“ europaweit. Kommissionspräsident Juncker nutzte die Gelegenheit seines Besuchs zudem für einem Appell an die Gastgeber: „Das Gewicht Baden-Württembergs in Europa zählt im Europawahljahr 2019 ganz besonders, in einem Jahr der Umbrüche und des Neuanfangs für Europa. Mit ihrer Stimme können die Baden-Württemberger Europa in Bewegung bringen. Sie müssen es sogar. Ich möchte sie dazu ermutigen, Verantwortung für Europa zu übernehmen - Verantwortung für den Europawahlkampf 2019; Verantwortung für Europas Fortschritte; Verantwortung für Europas Zukunft.“
Die Europawahlen mit dem Ziel einer hohen Wahlbeteiligung müssten in den Regionen bestritten werden. Es sei nötig, massiv gegen die gezielten und gesteuerten Cyberattacken im Internet vorgehen. „Es kann nicht sein, dass Phrasendresch-Roboter und Trolle über soziale Medien unsere demokratischen Debatten manipulieren“, mahnte der EU-Kommissionspräsident. Ein wirtschaftlich starkes Europa werde die Menschen aber nur überzeugen, wenn es auch sozial und fair sei. „Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt.“ Eine solche Wechselbeziehung habe Baden-Württemberg zu einer der wettbewerbsfähigsten und zukunftsorientiertesten Regionen Europas gemacht – wirtschaftlich stärker als manch ein Mitgliedstaat, lobte Juncker in Stuttgart.
Landtagspräsidentin Aras bekräftigte in ihrem Grußwort die von Juncker zugewiesene Mittlerrolle der Länder zwischen der europäischen Ebene und den Bürgerinnen und Bürgern. Sie dankte Kommissionspräsident Juncker für sein unermüdliches Engagement etwa bei EU-Bürgerdialogen, dessen tausendste Auflage 2018 in Freiburg stattfand. „Sie schärfen damit das demokratische Verständnis und die Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger“, so Aras in ihrem Grußwort. Junckers Besuch im Landtag von Baden-Württemberg diene ebenfalls dem Ziel, „die europäische Idee erfolgreich in die Zukunft zu tragen“. Die Landtagspräsidentin zitierte den Schriftsteller Stendhal: „Man beginnt in Europa einzusehen, dass die Nationen immer nur den Grad an Freiheit innehaben, den ihr Mut ihrer Angst abringt.“ Aktuell beweise die EU Mut in einem EU-Wahlkampf, bei dem sich pro-europäische Kräfte stärker als früher hinter den Spitzenkandidaten versammelten, durch vergleichsweise große Geschlossenheit in schwierigen Brexit-Verhandlungen sowie durch unzählige Gespräche, die helfen würden, der Angst im Sinne Stendhals zu begegnen.
Eine von Ute Brucker (SWR) moderierte Diskussion von Präsident Juncker und dem EU-Kommissar für Haushalt und Personal, Günther Oettinger, mit den rund 600 Gästen des Abends, insbesondere mit Jugendlichen, schloss sich an. Den musikalischen Part der mit der Europahymne beginnenden Veranstaltung übernahm die „City Brass Stuttgart“ (Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst).