Konstituierende Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg
Landtagspräsident Peter Straub: Parlament soll landespolitische Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, um eigene Akzente zu setzen Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Mit großer Mehrheit hat der Landtag von Baden-Württemberg auf seiner Konstituierenden Sitzung am Dienstag, 12. Juni 2001, den bisherigen Präsidenten des Landtags, den CDU-Abgeordneten Peter Straub, in seinem Amt bestätigt. Der wiedergewählte Präsident forderte die Parlamentarier auf, alle politischen Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, um eigene Akzente für das Land Baden-Württemberg zu setzen, vor allem in der Schul- und Hochschulpolitik sowie bei der Aus- und Weiterbildung. Wörtlich heißt es in der Antrittsrede Straubs: >>Ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie mich erneut zum Präsidenten des hohen Hauses gewählt haben. Ich danke Ihnen vor allem für das überaus große Vertrauen, das Sie mir mit Ihrer Wahl entgegenbringen. Ich werde mich in den nächsten fünf Jahren bemühen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Jede Kollegin und jeder Kollege sollen den Eindruck haben, dass ich mich für alle Abgeordneten verantwortlich fühle. Ich halte es für meine wichtigste und vornehmste Pflicht, für die Rechte der Abgeordneten einzutreten und sie in ihrer Arbeit mit meiner Verwaltung so gut wie möglich zu unterstützen. Als Präsident fühle ich mich als Anwalt des Parlaments und deshalb werde ich mich in der gebotenen Weise für die Wahrung der Rechte des Landtags einsetzen und seine Arbeiten fördern. Der Landtag hat durch die Wahl vom 25. März ein sehr viel anderes und auch - zu seinem Vorteil - ein jüngeres Gesicht erhalten. Ich möchte an dieser Stelle deshalb alle neu- und wiedergewählten Abgeordneten ganz herzlich willkommen heißen. Ich wünsche den neuen Abgeordneten, dass sie sich schnell in die parlamentarischen Aufgaben einfinden und mit neuen Ideen, neuer Kraft und Initiative die parlamentarische Arbeit bereichern. Der Landtag hat nicht nur ein neues Gesicht erhalten. Er ist auch wesentlich kleiner geworden und er zählt eine Fraktion weniger. Damit hat der Wähler eine kluge Entscheidung getroffen. In der Verkleinerung des Landtags sehe ich für unsere parlamentarische Arbeit eine große Chance. Weniger Abgeordnete und weniger Fraktionen bedeuten kürzere Informationsstränge und Entscheidungsstufen. Insgesamt kann der Parlamentsbetrieb effizienter und geschmeidiger werden. Die Aufteilung der Redezeiten auf vier statt auf fünf Fraktionen gibt uns die Möglichkeit, in der Sache vertiefter zu diskutieren und Dinge anzusprechen, die bisher dem rigiden Zeitdiktat geopfert werden mussten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wähler hat gegenüber der letzten Legislaturperiode die parlamentarische Konstellation dem Grunde nach nicht verändert. Der Koalition und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit steht eine starke Opposition gegenüber. Dies bietet Gewähr, dass in der parlamentarischen Auseinandersetzung, wie es sich gehört, die Argumente und Gegenargumente vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetauscht werden und am Ende des rednerischen Schlagabtauschs eine Entscheidung zustande kommt. Denn auch in den kommenden fünf Jahren muss der Landtag seine Handlungsfähigkeit beweisen. Die Haushalts- und Finanzlage zwingt das Parlament dazu, eine sparsame Haushaltspolitik zu verfolgen, die Staatsverschuldung zurückzuführen und damit den nachfolgenden Parlamenten und Regierungen den finanziellen Spielraum zu geben, der eine Politikgestaltung wirklich zulässt. Wir alle sollten dafür dankbar sein, dass es uns in der vergangenen Wahlperiode gelungen ist, Baden-Württemberg trotz einiger Strukturkrisen wieder auf einen Spitzenplatz zurückzuführen. Gegenwärtig ist Baden-Württemberg sowohl mit den anderen Bundesländern wie im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig. Es ist ein attraktiver Standort in Europa. Das soll auch so bleiben. Deshalb müssen wir in der vor uns liegenden Wahlperiode alle Anstrengungen unternehmen, dort, wo uns das bundesstaatliche System politische Gestaltungsmöglichkeiten gibt, eigene Akzente zu setzen, vor allem in der Schul- und Hochschulpolitik sowie bei der Aus- und Weiterbildung. Damit bin ich bei einem immer wiederkehrenden Thema. Es ist der föderale Zustand unseres Gemeinwesens, der Sorgen macht. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es den Landtagen und ihren Repräsentanten, die in der Landtagspräsidentenkonferenz vertreten sind, nicht ausreichend gelungen, eine weitere Schwächung des bundesstaatlichen Systems aufzuhalten. Da die Analyse bekannt ist, will ich mich damit nicht aufhalten. Dennoch finde ich bedenklich, dass dem Gedanken des ”Wettbewerbsföderalismus” in der Bundesrepublik Deutschland nicht die notwendige Beachtung geschenkt wird. Schuld daran ist vor allem die prekäre Finanzlage vieler Bundesländer, die am Tropf des Bundes hängen. Stehen wichtige Bundesratsentscheidungen an, gleichen die Verhandlungen am Vorabend eher Praktiken, die auf dem Basar üblich sind, als Vorberatungen in einem der wichtigsten Verfassungsorgane des Bundes. Ungeachtet allen parteipolitischen Kalküls schadet dies dem bundesstaatlichen System. Denn dadurch werden die Länder immer abhängiger vom Bund, was sie nach dem Willen des Grundgesetzes gerade nicht sein sollen. Angesichts dieser Lage ist es auch auf der Ebene der Landtagspräsidenten oft sehr schwer, einheitliche Positionen zu finden. Doch gelingt dies auch manchmal. So haben wir im letzten Jahr eine wegweisende Entschließung zur Stärkung und Weiterentwicklung des Föderalismus in Deutschland und insbesondere zur Finanzverfassung vorgelegt. Leider ist sie von den Finanzministern, die um einen neuen Länderfinanzausgleich ringen, nicht gerade stark beachtet worden. Selbstverständlich führt auch der fortschreitende Integrations- und Erweiterungsprozess der Europäischen Union zu einem gewissen Bedeutungsverlust für die Länder und deren Landesparlamente, zumal in einem erweiterten Europa die föderalistisch gegliederten Mitgliedsländer noch rarer sind. Aus diesem Grund haben die Landtagspräsidenten auf ihrer jüngsten Konferenz mit Nachdruck gefordert, dass die Landtage an dem nach Nizza neu eröffneten Diskussionsprozess über die Zukunft der Europäischen Union beteiligt werden. Wenn es dabei zur Einrichtung eines Konventes zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 kommt, müssen - so die Forderung der Parlamentspräsidentenkonferenz - Vertreter der Landtage dazu gehören. Was will ich damit sagen: Alle Abgeordneten, Fraktionsvorsitzende auf ihren Fraktionsvorsitzendenkonferenzen, die politischen Sprecher auf ihren Fachkonferenzen, die Präsidenten auf ihren Präsidentenkonferenzen müssen zusammen daran arbeiten, die Stellung der Landtage zu erhalten und zu verbessern. Und dieser Imperativ richtet sich auch an die designierten Mitglieder der Landesregierung, die in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit dem Parlament angehören. Vergessen Sie bitte nicht diesen Teil Ihrer Doppelrolle. Es ist nicht nur guter Brauch und das Recht der Regierung, die grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit mit den anliegenden Grenzregionen und anderen befreundeten ausländischen Regionen zu pflegen und zu fördern, auch der Landtag ist aufgerufen, sich auf diesem Feld zu engagieren. Wir haben in dieser Beziehung - das kann ich aufgrund meiner Erfahrungen und Gespräche mit Kollegen anderer Landesparlamente feststellen - in den letzten Jahren viel bewegt und eine Schrittmacherrolle unter den deutschen Ländern übernommen. Wichtige Marksteine sind gesetzt worden: Die Bildung des Oberrheinrates mit Gewählten aus vier Regionen und drei Nationalstaaten; die Einrichtung der Parlamentarier-Kommission Bodensee mit Vertretern aus mittlerweile zehn Bodenseeanliegerländern und -kantonen. Hinzu gekommen ist das Engagement in europäischen Einrichtungen und Organisationen, allen voran der Ausschuss der Regionen bei der Europäischen Union in Brüssel. Gerade im Hinblick auf die oben beklagte Bedrohung des föderalen Eigenwerts der Länder halte ich die Mitarbeit im europäischen Rahmen für besonders wichtig. Wir sollen und müssen unsere internationalen Kontakte pflegen, weil wir unter den Regionen Europas die gemeinsame Überzeugung fördern müssen, dass es ein Haus Europa ohne das regionale Fundament nicht geben kann und wird. Diese Einsicht ist um so zwingender, je größer Europa wird. Ich bin der Landesregierung dankbar, dass sie auf dem Feld der grenzüber-schreitenden und interregionalen Zusammenarbeit bisher eng und vertrauensvoll mit dem Landtag kooperiert hat. Ich bin überzeugt, dass Landtag und Landesregierung diese Übung auch in der neuen Wahlperiode in bewährter Manier fortführen. Die vom Wähler gewollte Verkleinerung des Landtags hat bewirkt, dass sich unsere Arbeitsbedingungen im neuen Landtag wesentlich verbessern. Schon ein Blick in den Plenarsaal genügt, um meine Aussage zu bestätigen. Es ist im Saal wieder freier und luftiger, was der Arbeit und der Würde des Hauses förderlich ist. Auch bei der räumlichen Unterbringung der Abgeordneten und Fraktionen hat sich die Lage entschieden verbessert: Wir konnten alle Abgeordnetenzimmer im Neuen Schloss aufgeben, die Abgeordneten, ohne dass es Engpässe gibt, im Haus der Abgeordneten konzentrieren und dennoch den Fraktionen mehr Räume für ihre Zwecke überlassen. Wie die dienstälteren Abgeordneten aus Erfahrung wissen, ist unser Plenarsaal in der Sommerpause fast immer eine Baustelle. So wird es auch diesen Sommer sein, weil notwendige Änderungen in der Möblierung vor der Neukonstituierung nicht mehr möglich waren. Für den nächsten Sommer stehen wieder Umbauarbeiten an. Damit sollen für das Fernsehen verbesserte Übertragungsmöglichkeiten geschaffen werden. Außerdem soll die Installation für die Übertragung der Plenardebatten in das Internet erfolgen. Die Reduzierung auf vier Fraktionen gibt uns die Möglichkeit, die Gestaltung unserer Plenarsitzungen, vor allem am Vormittag, neu zu überdenken. So können wir ohne weiteres die Zahl der Aktuellen Debatten und vorgezogenen Initiativen von sechs auf vier Tagesordnungspunkte bei einem Plenarturnus verkürzen. Meines Erachtens ist selbst eine weitere Verkürzung vorstellbar. Die Beratungen über die Reform der Geschäftsordnung geben uns Gelegenheit, darüber nachzudenken. In der letzten Wahlperiode haben wir den Kommunen ein qualifiziertes Mitwirkungsrecht bei Gesetzesberatungen in wesentlichen Fragen der Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen eingeräumt. Nachdem sich die neue Verfahrensweise in der Landtagspraxis bewährt hat, können wir jetzt unsere Absicht umsetzen, diese Neuregelung in die Geschäftsordnung des 13. Landtags aufzunehmen. Im nächsten Jahr wird das Land Baden-Württemberg sein 50jähriges Jubiläum begehen. Der Landtag von Baden-Württemberg wird sich selbstverständlich an den dazugehörigen Feiern beteiligen. Die Planungen dafür laufen jetzt an. Eine Absicht steht bereits fest: Der Landtag wird im nächsten Frühjahr eine Landesausstellung des Hauses der Geschichte präsentieren. Das weitere Veranstaltungsprogramm wird selbstverständlich im Präsidium und mit den Fraktionen erörtert. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Plenarsitzungen des Landtags öffentlich sind und häufig im Rundfunk und im Fernsehen übertragen werden, ist das Parlament bei seinen Bürgerinnen und Bürgern doch nicht so bekannt, wie es wünschenswert wäre. Aus diesem Grund haben wir in der vergangenen Wahlperiode einen Tag der offenen Tür durchgeführt, der einen unglaublichen Erfolg hatte. Über 10 000 Besucherinnen und Besucher strömten ins Haus, um die Arbeitsbedingungen der Abgeordneten und der Fraktionen kennen zu lernen und sich einen eigenen Eindruck von der Infrastruktur eines Parlaments zu verschaffen. Angesichts dieses vollen Erfolges wollen wir auch in der kommenden Wahlperiode einen Tag der offenen Tür veranstalten. Der Öffnung des Landtags nach außen haben auch die Veranstaltungsreihen gedient, die wir in der 11. und 12. Wahlperiode durchgeführt haben. Sie haben hohe Resonanz bei den Bürgern und in interessierten Kreisen erfahren. Ich habe die Absicht, in der neuen Wahlperiode wieder eine Veranstaltungsreihe durchzuführen. Sie soll beitragen, ein hochpolitisches und die Bevölkerung sehr bewegendes Thema aufzuhellen. Es geht um die Erweiterung der Europäischen Union. Ich will hierzu namhafte Repräsentanten der mittel- und osteuropäischen Staaten gewinnen, uns ihre Positionen über die Chancen und Herausforderungen der Osterweiterung, aber auch über deren Risiken darzulegen. Es gehört zu meiner Lebenserfahrung, dass oft kleine, scheinbar nebensächliche Mittel häufig eine gute Wirkung entfalten. Zu dieser persönlichen Sichtweise gehört, dass ich den Austausch von jungen Praktikanten aus Osteuropa für sehr wichtig halte. Aus diesem Grunde habe ich dafür Sorge getragen, dass in der Landtagsverwaltung in diesem und im nächsten Jahr junge Beamtinnen und Beamte aus Ungarn ein Praktikum ableisten können. Ich knüpfe dabei an Erfahrungen an, die wir in der letzten Wahlperiode gesammelt haben. Falls sich der Austausch wieder bewährt, wird er selbstverständlich über das nächste Jahr hinaus fortgesetzt. Der Landtag ist die gewählte Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger. Wichtig ist, dass wir dabei vor allem auch die Benachteiligten in unserer Gesellschaft nicht vergessen. So ist es für uns selbstverständlich, auch in der neuen Wahlperiode den zur Tradition gewordenen ”Tag der behinderten Menschen” zu veranstalten. Gerade die Behinderten sollen immer wieder die Möglichkeit haben, uns Politiker unmittelbar anzusprechen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es liegt an uns, welches Urteil die Bürgerinnen und Bürger in fünf Jahren über uns abgeben werden. Wenn wir die Probleme anpacken und nicht vor uns herschieben, wenn wir zäh und ehrlich an ihrer Lösung arbeiten, wenn wir ständig im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern bleiben und Politik in deren Interesse machen, ist mir davor nicht bange. Packen wir es also an, nehmen wir die parlamentarische Arbeit auf. In diesem Sinne bitte ich Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, daran mitzuwirken, dass der 13. Landtag von Baden-Württemberg seine Funktion zum Nutzen unseres Volkes ausüben kann und die ihm zustehende Rolle als zentrales Verfassungsorgan des Landes erfüllt. Als Präsident verspreche ich, mich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen.