Landtagspräsident Peter Straub in Backnang:

Markgrafenfest leistet einen kostbaren Beitrag zum positiven Selbstverständnis der Baden-Württemberger Backnang. Dadurch, dass faszinierende Aspekte der Landesgeschichte beleuchtet werden, leistet das „Badische Markgrafenfest im Herzen Württembergs“ einen kostbaren Beitrag zum positiven Selbstverständnis von uns Baden-Württembergern. Darauf hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Freitagabend, 20. Juli 2007, bei der Eröffnung dieses Festes in Backnang hingewiesen. Straubs Ansprache, in der auch die Sorgen der Backnanger Ericsson-Belegschaft thematisiert werden, hatte folgenden Wortlaut: >>Feste zu feiern wird von Philosophen als „Zustimmung zur Welt“ interpretiert. Auch mir ist bewusst: Das kann für das „Badische Markgrafenfest im Herzen Württembergs“ leider nur eingeschränkt gelten. Die existenziellen Sorgen der Beschäftigten von Ericsson trüben die Stimmung. Die unschöne Seite der Globalisierung ist hier in Backnang kein akademisches Phänomen. Der Profit – und nicht der arbeitende Mensch – steht offenbar allein im Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns. Bedrückend empfinde ich die Ohnmacht von Politik und Gesellschaft selbst bei derart willkürlichen Entscheidungen ferner Konzernzentralen. Die Globalisierung nagt am Primat der Politik. In immer mehr Bereichen lösen sich die hergebrachten Ländergrenzen auf, während die politischen Handlungsmöglichkeiten räumlich beschränkt bleiben. Die Globalisierung braucht ein Wertegerüst, das aber nicht automatisch entsteht. Trotzdem bestreite ich, dass die klassenkämpferischen Ideen des 19. Jahrhunderts für die Probleme des 21. Jahrhunderts taugen: Der Zauberklang des Sozialismus ist den Menschen nirgends gut bekommen. Wer vermeintliche Heilslehren populistisch verkündet, weidet sich in den Sorgen von Menschen wie der Backnanger Ericsson-Belegschaft. Alle müssen das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln: die Politik und die Verantwortlichen in den internationalen Großunternehmen – jeder an seinem Platz. Kluge Firmenlenker wissen die Kompetenz ihrer Mitarbeiter, das Funktionieren eines Gemeinwesens und die Qualität der öffentlichen Infrastruktur bei strategischen Entscheidungen richtig zu gewichten. Landespolitisch gibt es für uns in Baden-Württemberg nur eines – nämlich: den Weg fortzusetzen, den wir seit Jahrzehnten – insgesamt betrachtet – sehr erfolgreich gehen. Zu unseren Trümpfen zählen dabei zweifellos unser kultureller Reichtum, unsere bürgerschaftliche Vitalität und unsere Heimatverbundenheit. So gesehen, ist das „Badische Markgrafenfest im Herzen Württembergs“ – trotz der bedrohlichen Wolke über der Stadt – eine Ermutigung. Auch weil wir konkret erfahren: Unser Land ist viel verflochtener, viel verwandter, als gerne kolportiert wird. Die Stadt Backnang beleuchtet an diesem Wochenende faszinierende Aspekte unserer Landesgeschichte. Wir bekommen eine Ahnung davon, wie groß unser historischer Reichtum in Wahrheit ist. Zu Tage tritt: Wir heutigen Baden-Württemberger sind eine Erbengemeinschaft. Dieser Blick zurück vermittelt mustergültig, was man gemeinhin Orientierung nennt. Natürlich darf man nicht so tun, als sei Geschichte ein Rezeptbuch für die Gegenwart. Aber wenn wir wissen, woher wir kommen, können wir uns leichter darüber verständigen, wohin wir – gemeinsam – gehen wollen. Die Geschichte zu kennen, weitet den Horizont, schafft emotionale Bezüge und ertüchtigt die Integrationsfähigkeit. Angelehnt an Goethe lautet für mich die Kernbotschaft des „Badischen Markgrafenfests im Herzen Württembergs“: „Nichts ist draußen, nichts ist drinnen. Denn was außen, das ist innen“. Anders formuliert: Die Gründung des Landes Baden-Württemberg vor 55 Jahren war gewiss in mannigfaltiger Hinsicht ein epochaler Akt: zeitgeschichtlich, staatspolitisch, für den deutschen Föderalismus und für die damalige Volksseele. Mit einiger Berechtigung könnte man jedoch auch von einer Wiedervereinigung sprechen und darauf Willy Brandts legendäre Worte ummünzen: „Es wächst zusammen, was zusammen gehört.“ So lebten bis zum Tode des Staufers Konradin im Jahr 1268 Badener und Württemberger nicht nur im Herzogtum Schwaben; sie sprachen auch dieselbe Mundart: Beide sprachen Alemannisch! Oder nehmen wir das 17. Jahrhundert: Zunächst kaufte Herzog Friedrich von Württemberg dem Markgrafen Ernst Friedrich von Baden – schiedlich, friedlich – die Ämter Besigheim, Liebenzell und Altensteig ab. Später gründete man die protestantische Union, um die Gegenreformation abzuwehren. Das 18. Jahrhundert sah eine Kreuzheirat: Der württembergische Herzog Eberhardt Ludwig ehelichte die Schwester des Markgrafen Carl Wilhelm – und dieser Carl Wilhelm nahm die Schwester Eberhardt Ludwigs zur Frau. Die zwei Potentaten waren zudem wesensverwandt. Beide stampften Residenzen aus dem Boden: der eine Ludwigsburg, der andere Karlsruhe. Als 1806 Württemberg von Napoleon zum Königreich erhoben wurde und sich der neue Monarch „König von Schwaben“ nennen wollte, kam schnurstracks Protest aus Karlsruhe. Begründung: Auch Baden sei ehedem ein Teil des Herzogtums Schwaben gewesen. Eine nette Wendung der Geschichte ist, dass der württembergische Herzog Friedrich zu einem prominenten Förderer des badischen Weinbaus wurde. Der Herzog ließ in Oberkirch, Sasbachwalden und Kappelrodeck 60.000 Rebstöcke pflanzen – woran noch heute eine Gedenktafel auf der Ullenburg in der Ortenau erinnert. Und umgekehrt erfreut uns, dass unsere Landeshauptstadt Stuttgart bei einem Gentest mit hoher Wahrscheinlichkeit ein badischer Ursprung bescheinigt würde. Von den Wirren der Reformation abgesehen, erschlafften die gewachsenen Bande zwischen Baden und Württemberg erst nach 1806. Spätestens an dieser Stelle muss man erwähnen, dass das „alte“ Baden und das von Napoleon geschaffene Baden in unterschiedlichen Ligen spielten: Das Staatsgebiet Badens verzehnfachte sich in jener turbulenten Phase; und die Einwohnerzahl stieg von 175.000 auf beinahe eine Million. Ähnliches widerfuhr Württemberg: Es wurde dreimal so groß; und die Einwohnerzahl wuchs von 600.000 auf 1,4 Millionen. Napoleon stärkte das Großherzogtum Baden im Norden durch Teile der Kurpfalz mit Mannheim und Heidelberg und im Süden insbesondere um vorderösterreichische Gebiete – was einen weiteren Grund zum Schmunzeln liefert: Denn der hartnäckigste Widerstand gegen die Schaffung des Südweststaats vor 55 Jahren kam aus Freiburg. Das heißt: Nicht die Ur-Badener, sondern die „integrierten“ Vorderösterreicher waren am schwersten zu überzeugen. Doch Spaß beiseite: Das Großherzogtum Baden entwickelte nach 1806 schnell ein ausgeprägtes, dem Fortschritt zugetanes Staatsverständnis. Im 19. Jahrhundert blickten alle demokratischen Kräfte Deutschlands mit großer, hoffnungsfroher Aufmerksamkeit nach Karlsruhe. In der Zweiten Kammer der Badischen Landstände saßen die Protagonisten beim Ringen um substanzielle Grundrechte. Die Debatten im Karlsruher Ständehaus waren mit die wichtigsten Wegbereiter der bürgerlichen Revolution und des Paulskirchen-Parlaments im Jahr 1848. Das freiheitliche Gedankengut der Französischen Revolution wirkte entlang des Rheins besonders nachhaltig: Baden bekam 1818 die liberalste konstitutionelle Verfassung und 1831 die liberalste Gemeindeordnung in Deutschland; Baden wählte 1849 das erste wirklich demokratische Parlament Deutschlands; und 1919 wurde Baden mit dem Frauenwahlrecht noch einmal zum Vorreiter. Da dieser Festauftakt nicht einseitig verlaufen soll und da wir das Jahr 2007 schreiben, darf ich erwähnen, dass der erste württembergische Landtag exakt vor 550 Jahren – also 1457 – zusammentrat. Einer unserer politischen Eckpfeiler reicht damit fünfeinhalb Jahrhunderte zurück. Durch das Einberufen des ersten württembergischen Landtags versuchte Herzog Ulrich, im politisch total zersplitterten Raum zwischen Main und Bodensee ein Stück innere Einheit zu schaffen und so im überregionalen Kräftespiel größeren Einfluss zu gewinnen. 550 Jahre württembergischer Landtag und 55 Jahre Baden-Württemberg – der numerische Zufall veranschaulicht das lange Bemühen des deutschen Südwestens, sich bestmöglich zu formieren. Die Abgeordneten des württembergischen Landtags von 1457 waren nicht demokratisch gewählt, sondern gewissermaßen Delegierte. Trotzdem leiteten sie eine Wende ein: Die feudalistische Ordnung erodierte allmählich. Das Bürgertum reüssierte zum politischen Akteur. Der Samen für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat war ausgebracht. Und die Saat keimte: Das robuste Staatsbewusstsein der Bürger und Bauern bildete eine Konstante in sämtlichen Fährnissen der folgenden Jahrhunderte. Langer Rede kurzer Sinn: Der Reiz des „Badischen Markgrafenfestes im Herzen Württembergs“ speist sich aus der oft verdrängten Wechselwirkung, dass Geschichte – einerseits – Identität stiftet und dass Geschichte – andererseits – Menschen braucht, die sich mit ihr identifizieren. Es ist wie bei uns Einzelmenschen: Identität erlangen wir nicht dadurch, dass wir einen Pass besitzen mit Lichtbild und biometrischen Angaben. Identität gewinnen wir durch unsere individuelle Biographie. Was uns ausmacht, beruht auf Zufällen und Zielstrebigkeit; auf Erfolgen und Verlusten; auf Möglichkeiten, die wir nutzen konnten, und auf Chancen, die wir ausgeschlagen haben. Unser Charakter kommt freilich erst voll zum Tragen, wenn wir zu unserem Lebenslauf vernehmlich Ja sagen. Das Gleiche gilt für größere Einheiten: für Völker, für Nationen oder eben für Länder und Regionen. Ein Gemeinwesen findet seine Identität nur über seine Geschichte. Dass Geschichte professionell archiviert wird, genügt aber nicht. Unerlässlich sind Menschen, die sich mit ihr – intellektuell und gefühlsmäßig – identifizieren. Menschen also, die Klischees verschmähen und sich den wahren historischen Kontext zu Eigen machen. Das „Badische Markgrafenfest im Herzen Württembergs“ bietet dazu eine – ich wiederhole mich gerne – faszinierende Gelegenheit. Es leistet einen kostbaren Beitrag zum positiven Selbstverständnis von uns Baden-Württembergern. Wer an diesem Wochenende nach Backnang kommt, lernt sich selbst besser zu verstehen. Und er sieht: Vermeintlich einfache Weltbilder stimmen nie. Möge uns das „Badische Markgrafenfest im Herzen Württembergs“ ermuntern, eine zeitlos aktuelle Aufforderung unseres Landsmannes Friedrich Schiller noch intensiver zu beachten – ich meine die Aufforderung: „Strebe nach Einheit, aber suche sie nicht in der Einförmigkeit.“