Landtagspräsident Straub bei der Hauptversammlung des Städtetags Baden-Württemberg:
Verwaltungsreform ist ein ständiger Prozess Stuttgart. Bei der Hauptversammlung des Städtetags Baden-Württemberg am Mon-tag, 16. Oktober 2000, in der Liederhalle in Stuttgart hielt der Präsident des Landtags von Baden-Württemberg Peter Straub (CDU) folgendes Grußwort: >>In der Geschichte sind etliche Gemeinwesen weniger äußeren Feinden als ihrer inneren Erstarrung erlegen - Verbände haben deshalb in der Demokratie auch die Aufgabe, recht-zeitig vitalisierende Anstöße zu geben, damit das notwendige politische Adrenalin für zu-kunftsgerichtete Diskussionen ausgeschüttet wird. Was wir Politiker in Festreden gerne loben, haben Sie, Herr Oberbürgermeister Doll, prak-tiziert durch Ihr jüngstes Plädoyer für einen dreistufigen Verwaltungsaufbau und durch Ihre Anregung, eine unabhängige Kommission über eine Veränderung der Verwaltungsstruktur brüten zu lassen. Fast drei Jahrzehnte nach der Kreisreform ist es daher in der Tat nicht unklug, nüchtern und ergebnisoffen zu erörtern, ob der Aufbau und die Zuständigkeitsgrenzen der öffentli-chen Verwaltung noch den Anforderungen einer vernetzten, nach Deregulierung und Effizi-enz strebenden Welt gerecht werden. Freilich: Einerseits schlank und schlagkräftig, andererseits bürgernah und überschaubar - die gerne in einem Atemzug geforderten Qualitäten einer Verwaltung erweisen sich bei näherem Hinsehen eben oft auch als Gegensätze. Lassen Sie es mich deshalb so sagen, und darin sind wir ja einig, Herr Oberbürgermeister Doll: Aufrüttelnde Vorschläge sind gut; aber vor der Therapie kommt die Diagnose - denn was vorschnell oder zum Selbstzweck über Bord geworfen wird, geht unwiederbringlich verlo-ren. Immerhin darf man sagen, dass die Landespolitik auch und gerade in der zu Ende gehen-den Wahlperiode die Fähigkeit zu einschneidenden Strukturveränderungen bewiesen hat. Als neutraler Landtagspräsident bin ich natürlich gespannt, wie Ihre Überlegungen in den "Gemeinsamen Vorschlägen und Forderungen der Kommunalen Landesverbände an den neuen Landtag und an die neue Landesregierung" Niederschlag finden oder wie sie sonst in die Parlaments- und Regierungsarbeit "eingespeist" werden. Falls Ihrem Anstoß mehr beschieden sein wird als das bisherige sommerliche Echo in und über die Medien, hoffe ich auf dreierlei: Zum einem, dass es gelingt, die Bürger - wie es im heutigen Politikerdeutsch heißt - mitzu-nehmen. Die Bürger müssen sehen, dass es um Probleme geht, die sie drücken; für die allfällige Frage "Was habe ich davon?" sollte es lebensnahe Antworten geben - die Aus-sicht auf praktische Verbesserungen oder niedrigere Gebühren zum Beispiel. Auch deshalb wünsche ich mir zum anderen, dass man nicht sagt, die Erörterung einer tief greifenden Verwaltungsreform eigne sich nicht zum Parteienstreit. Wenn man unter Parteienstreit Oberflächlichkeit und Machtversessenheit versteht, dann ist die Aussage zwar richtig. Aber warum keinen Parteienstreit im Sinne eines Wettbewerbs positiver Gedanken - so wie Sie ihn, meine Damen und Herren, in Ihren Gemeinderäten tagtäglich praktizieren. Die Qualität der öffentlichen Verwaltung ist nicht nur ein Standortfaktor; sie beeinflusst unmittelbar die Lebensqualität von uns allen. Und die Strukturen des Staatsaufbaus haben auch den Sinn, integrierend zu wirken und die Identifikation zu fördern. Und zum dritten sollte nicht in den Hintergrund treten: Verwaltungsreform - das ist keine einmalige Aktivität, sondern ein ständiger Prozess. Internet; betriebswirtschaftliche Steuerung; Bürgerorientierung und Bürgerbeteiligung; in-terkommunale Zusammenarbeit - es gilt, durch eine kontinuierliche Auseinandersetzung die Modernisierung der Verwaltung fließend voranzutreiben. Durch Ihren Vorstoß, Herr Oberbürgermeister Doll, und natürlich durch das Motto dieser Hauptversammlung richtet sich unser Blick nach vorne. Bilanzierend zurückzuschauen reizt deshalb weniger - außer man würdigt bekannte, aber zukunftswichtige Aspekte. Zwei möchte ich nur herausgreifen: Erstens: In der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode hat der Landtag die Mitwirkungsmög-lichkeiten der Kommunalen Landesverbände in zwei Schritten vertieft, und zwar: - im Dezember 1997 durch eine Änderung der Geschäftsordnung und die Begründung eines Anspruchs auf Anhörung in allen Fällen kommunal relevanter Gesetzgebung; - sowie nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs zum Kommunalen Finanzausgleich durch eine - gemeinsam mit den Kommunalen Landesverbänden gefundene, vom Konsens der Fraktionen getragene - Vereinbarung, wonach die Kommunalen Landesverbände bei Gesetzgebungsberatungen in wesentlichen Fragen der Finanzverteilung zwischen dem Land und den Kommunen Zutritt zu den Ausschussberatungen haben und gehört werden. Es besteht zudem Einigkeit zwischen den Fraktionen, diese vereinbarte Regelung - sollte sie sich bewähren - formell in die Geschäftsordnung des nächsten Landtags zu überneh-men - und das wäre dann ein weiterer Superlativ Baden-Württembergs in den so beliebten Ländervergleichen. Nach meinem Eindruck gelingt es, die erweiterten Mitwirkungsmöglichkeiten mit Leben zu erfüllen und die Kommunen als Fundament des Staatsaufbaus stärker und - hier passt das Modewort - nachhaltiger in die landespolitische Willensbildung einzubeziehen, vor allem wenn es ums Geld geht, aber genauso wenn Praxiserfahrung gefragt ist. Natürlich bleibt die letzte Entscheidung - insbesondere in Etatfragen - beim Landtag. Umso wichtiger erscheint mir, von an dieser Stelle - auch pro domo - zu betonen: Es ist Teil un-serer gemeinsamen Aufgaben, den unvermeidlichen Interessenkonflikt zwischen Kommu-nen und Land immer wieder aufs Neue fruchtbar zu machen - durch Kommunikation, Koor-dination und Konsenswillen! Die konstruktive Umsetzung des Staatsgerichtshofsurteils lässt auf einen qualitativen Fort-schritt im Verhältnis von Land und Kommunen hoffen. Zumal auch die Schaffung der von der Regierung und den Kommunen paritätisch besetz-ten Finanzverteilungskommission durch eine - vom Landtag einstimmig gebilligte - Verein-barung geregelt werden konnte; die Vertragsform signalisiert nämlich, dass die Aufgaben der Gebietskörperschaften gleichrangig sind. Als zweiten zukunftswichtigen Aspekt möchte ich die Anstrengungen der Städte und Ge-meinden im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Gewalt würdigen. Die beeindruckende Vielfalt der Anstrengungen, die - von der Jugendarbeit über die Sportför-derung bis zur Kommunalen Kriminalitätsprävention - unternommen, finanziert oder unter-stützt werden, verdient auch einmal in der Gesamtschau Aufmerksamkeit und Anerken-nung. Ich bitte, Sie nicht nachzulassen und die interkommunale Zusammenarbeit gerade auf die-sem Feld zu pflegen - denn gute Ideen und erfolgreiche Konzepte sollen sich speziell hier herumsprechen. Das Leben bestraft nicht nur den, der zu spät kommt, sondern auch den, der zu lange re-det. Und deshalb möchte ich schließen mit zwei Wünschen: - Möge es den Städten Baden-Württembergs gelingen, trotz Globalisierung und Liberali-sierung zu bleiben, was sie sind: individuelle, gewachsene Gemeinwesen, in denen die Bürger ihre Lebensqualität demokratisch selbst bestimmen und mit denen sich die Bür-ger aktiv identifizieren können! - Und möge es den Städten Baden-Württembergs gelingen, in der Gratwanderung zwi-schen Kostenminimierung und Verwaltungseffizienz einerseits und Bürgernähe und der Pflege der Graswurzeldemokratie andererseits die richtigen Lösung finden!