Landtagspräsident Straub beim Jahresempfang der Evangelischen Landeskirchen

Finanzmarktkrise ist im Kern eine mentale KriseStuttgart. Die Finanzmarktkrise ist im Kern eine mentale Krise. Diese Ansicht hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Dienstagabend, 2. Dezember 2008, im Stuttgarter Neuen Schloss in seinem Grußwort beim Jahresempfang der Evangelischen Landeskirchen vertreten. Straub beklagte eine „Deformation der kollektiven Einstellung zu Geld und Arbeit“. Im Einzelnen führte der Landtagspräsident aus: >>„Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“ – das beten wir derart häufig, dass uns nicht mehr bewusst wird: Diese dritte Bitte im Vaterunser beschreibt eine Aufgabe! Wer tatsächlich möchte, dass der Himmel normativ für unser irdisches Dasein wird, der darf sich nicht auf die Zuschauertribüne setzen und passiv das globale Geschehen und das eigene Umfeld betrachten. Verlangt ist die Entschlossenheit, das Salz der Erde zu sein – genauer: als Salz zu wirken. Durch den heutigen Abend wird die politische und gesellschaftliche Dimension dieser Aufforderung bekräftigt. Und das bedeutet: Sie, verehrte Herren Landesbischöfe, haben bei der Auswahl der Losung für unsere Begegnung eine glückliche Hand bewiesen. Ihre Planungen sind gewiss älter als das Beben, das im Oktober die Finanzmärkte erschüttert hat und das seitdem die Realwirtschaft schwer beeinträchtigt. Die Metapher vom „Salz der Erde“ ist aber angesichts der allgegenwärtigen Krise ein unüberbietbar aktuelles Leitmotiv für diesen Jahresempfang im Advent 2008. Mein Dank für Ihre Einladung zu diesem Empfang beinhaltet deshalb den Dank dafür, dass wir Gelegenheit haben, gemeinsam die sozial-ethischen Bedingungen des Wirtschaftens zu reflektieren. Meine These lautet schlicht: Was wir derzeit abbüßen müssen, resultiert nicht zuletzt aus einer Deformation der kollektiven Einstellung zu Geld und Arbeit. Dieser Befund geißelt – wohlgemerkt – nicht ausschließlich Banker und Manager, Börsianer und Berufsspekulanten. Das gigantische Monopoly kam vielen gerade recht. An den Spieltisch gedrängt haben sich ohne Not Institutionen, Kommunen und „Otto Normalsparer“. Die Gier beschränkte sich nicht auf die Chef-Etagen; im Parterre folgte man ebenso den Sirenenklängen. Sichere Bundesschatzbriefe waren nicht mehr sexy genug. Seltsame Zertifikate und exotische Derivate sollten schnell und mühelos den großen Reibach bringen. Die Renditejäger glaubten, faktische Risiken ließen sich mittels Finanzinnovationen – buchstäblich – aus der Welt schaffen. Gewinnmaximierung wurde als neue Tugend provozierend vorgelebt. Das Haben diktierte das Sein. Und bleiben wir ehrlich: Die Politik billigte die Scheinblüte, solange sie leuchtete. Kurzum: Die monetäre Krise ist im Kern eine mentale Krise. Die Bergpredigt gibt uns auf, das „Salz der Erde“ zu sein. Wir Menschen wachsen jedoch in süßem Fruchtwasser heran, wir ernähren uns als Erstes von süßer Muttermilch und wir sind durch uralte Erfahrungen darauf geeicht, dass süße Früchte nicht giftig sind und viel Energie enthalten. Ein klassischer Dualismus! Ernster ausgedrückt: Freiheit geht an ihren süßen Verlockungen und Wucherungen zugrunde. Wir müssen uns permanent zügeln. Das Lebenselixier der Freiheit heißt Verantwortung. Und zwar überall – auch in der Wirtschaft. Die Politik bezieht ihre Legitimation in der Marktwirtschaft – einerseits – daraus, dass sie nie aufhört, dem natürlichen Egoismus der wirtschaftlich Handelnden dezidiert die Sorge um das Gemeinwohl entgegenzusetzen – durch angemessene Regeln und durch eine adäquate Aufsicht. Andererseits ist der Markt keine politisch programmierbare Maschine. Ein konstruktiver Wettbewerb braucht freie Subjekte. Folglich wohnen im Markt das Gedeihliche und das Zerstörerische nebeneinander. Die notwendigen ökonomischen Lehrsätze sind vor sechs Jahrzehnten aus der evangelischen Sozialethik und der katholischen Soziallehre herausdestilliert und unter dem Namen Soziale Marktwirtschaft zusammengefasst worden. Danach muss jeder Akteur ein Mindestmaß an Selbstdisziplin, Fairness und Verzichtsbereitschaft mitbringen und investieren. Ohne eine individuelle Moral zerfällt unser System. Als die Moral noch religiös verankert war, trug sie erheblich bei zum Bändigen der Selbstsucht und zur Sinnerfüllung der Freiheit. Hingegen verliert eine Zeit, die sich ihrer Gottlosigkeit rühmt, wie zur Strafe die materiellen Werte. Wo der Götze Mammon regiert, degeneriert die ökonomische Wertschöpfung zum hektischen Selbstzweck. Wo der Wille des Götzen Mammon geschieht, werden jene geadelt, deren Horizont sich lediglich erstreckt bis zur kommenden Quartalsbilanz oder bis zum nächsten Depotauszug. Die Alternative ist einfach: Nach oben schauen, die vertikale Perspektive unserer Existenz bejahen, in höherem Sinn Rechenschaft ablegen – das verleiht garantiert die Kraft, nach Zielen zu streben, die sich nicht ruckzuck auszahlen. Haben wir also den Mut, Moral wieder offensiv von Gott her zu denken. Die religiös begründete Moral ist nicht wirtschaftsfeindlich. Wir Baden-Württem¬berger können es bezeugen: Unser Erfolg speist sich zu einem Gutteil aus dem pietistischen Credo, dass Wohlstand auf Dauer allein erwächst aus Fleiß und Geschick, Anstand und Rechtschaffenheit. Und dieses Credo fördert erwiesenermaßen, dass Firmen die weltweite Technologieführerschaft erreichen und ausbauen. Die Finanzmarktkrise hat bestätigt: Charakterstärke gehört zu den unverzichtbaren Kompetenzen. Und ein Synonym für Charakterstärke ist: Gottesfürchtigkeit. Der Physiker Werner Heisenberg sagte über sein Metier: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“ Ich bin überzeugt: Das gilt analog für die Ökonomie: Der Sturztrunk aus dem Kelch des Kapitalismus macht prinzipienlos, am Boden des Gefäßes wartet freilich die evangelische Sozialethik.
Umso herzlicher wünsche ich Ihnen, verehrte Herren Landesbischöfe, den beiden Landeskirchen, den Gemeinden, der Diakonie und allen kirchlichen Einrichtungen das Beste für das neue Kirchenjahr – insbesondere dann, wenn Sie als „Salz der Erde“ unseren allzu profan gewordenen Alltag durchdringen.