Landtagspräsident würdigt landeshistorische Jubiläen

Baden-Württemberg 55, Länderverfassungen 60 und der württembergische Landtag 550 Jahre alt Peter Straub: Chancen des 21. Jahrhunderts optimal nutzen Stuttgart. Den 55. Geburtstag des Landes Baden-Württemberg, das Inkrafttreten der Verfassungen der einstigen Länder (Süd-) Baden und Württemberg-Hohenzollern vor 60 Jahren sowie das Zusammentreten des ersten württembergischen Landtags vor 550 Jahren, diese und weitere landeshistorische Jubiläen 2007 würdigte Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Mittwoch, 25. April 2007, in einer Ansprache zu Beginn des Plenums. „Im notwendigen Pragmatismus unseres Alltags darf das Empfinden nicht verkümmern, dass wir einerseits auf dem Erbe unserer Vorfahren stehen und dass unser Tun andererseits als Basis taugen muss für die Generationen nach uns“, sagte Straub. Er rief dazu auf, im Landtag weiterhin kompetent und passioniert zu beraten, wie Baden-Württemberg die Chancen des 21. Jahrhunderts optimal nutzen könne. Im Einzelnen führte der Landtagspräsident aus: >>In knapp zweieinhalb Stunden jährt sich zum 55. Mal der legendäre Moment, an dem die Gründung des Landes Baden-Württemberg – buchstäblich – festgeklopft worden ist. Mit anderen Worten: Unser Land hat heute Geburtstag. Es wird 55! Das ist – wie bei uns Menschen – ein markantes Datum, aber kein Grund für eine opulente Feier, höchstens ein Anlass, den Tag mit einem Umtrunk zu garnieren. So wollen wir es nachher halten: Bei einem kleinen Empfang in der Mittagspause können wir auf fünfeinhalb gelungene Dekaden anstoßen. Meine bereits übersandte Einladung bekräftige ich hiermit gerne. Ein nettes Bonmot lautet: Geburtstage sind das Echo der Zeit. Daran angelehnt darf man sagen, dass uns das Jahr 2007 eine ganze Melodie – landeshistorisch und staatspolitisch – bemerkenswerter Wohllaute beschert. Vor 60 Jahren – genau: am 19. und am 31. Mai 1947 – traten die Verfassungen der einstigen Länder Baden beziehungsweise Württemberg-Hohenzollern in Kraft. Und kurz darauf – am 29. Mai und 3. Juni 1947 – tagten in Freiburg und in Bebenhausen die Landtage der beiden Nachkriegsländer zum ersten Mal. Von Daten des ereignisreichen Jahres 1952 verdienen – neben dem 25. April – drei weitere Erwähnung: die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 9. März; die konstituierende Sitzung der Verfassunggebenden Landesversammlung am 25. März; und die Aufhebung der Landtage und der Regierungen der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern durch das Überleitungsgesetz am 17. Mai. Der älteste Ton im Akkord der geschichtsträchtigen Termine ist der 16. November: Am 16. November 1457 fand sich in Leonberg der erste württembergische Landtag zusammen. Einer unserer Eckpfeiler reicht also 550 Jahre zurück! Wir erkennen: Geschichte heißt Geschehenes und Geschichtetes. Im notwendigen Pragmatismus unseres Alltags darf das Empfinden nicht verkümmern, dass wir einerseits auf dem Erbe unserer Vorfahren stehen und dass unser Tun andererseits als Basis taugen muss für die Generationen nach uns. Durch das Einberufen des ersten württembergischen Landtags versuchte Herzog Ulrich, im politisch total zersplitterten Raum zwischen Main und Bodensee ein Stück innere Einheit zu schaffen und so im überregionalen Kräftespiel größeren Einfluss zu gewinnen. 550 Jahre württembergischer Landtag und 55 Jahre Baden-Württemberg – der numerische Zufall veranschaulicht das lange Bemühen des deutschen Südwestens, sich bestmöglich zu formieren und eine gemeinsame Identität zu entfalten. Die Abgeordneten des württembergischen Ur-Landtags waren nicht demokratisch gewählt, sondern gewissermaßen Delegierte. Trotzdem leitete der 16. November 1457 eine epochale Wende ein: Der ritterliche Feudalstaat erodierte allmählich. Das erstarkende Bürgertum reüssierte zum politischen Akteur. Der Samen für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat war ausgebracht. Und die Saat keimte. Das robuste Staatsbewusstsein der Bürger und Bauern bildete eine Konstante in sämtlichen Fährnissen der folgenden Jahrhunderte. Denken wir nur an den Tübinger Vertrag von 1514, der prägnante Grundrechte für alle statuierte und der 300 Jahre überdauerte. Was ein ausgeprägtes Bürgerbewusstsein zu bewegen vermag, offenbarte sich exemplarisch im Badischen: Baden bekam 1818 die liberalste Verfassung und 1831 die liberalste Gemeindeordnung in Deutschland. Baden wählte 1849 das erste wirklich demokratische Parlament Deutschlands. Und 1919 führte Baden vor allen anderen deutschen Ländern das Frauenwahlrecht ein. Das Nachkriegsland Baden begriff sich als Treuhänder der imponierenden badischen Verfassungstradition und des damit verbundenen gesellschaftlichen Fortschritts. Die Repräsentanten (Süd-) Badens dachten von unten nach oben. Sie fragten, welche Strukturen das Wohl des Einzelnen im nationalen und im europäischen Rahmen am besten gewährleisten würden. Und sie sahen in einer engagiert praktizierten Subsidiarität die passende Antwort auf das Massenzeitalter. Die Streiter für ein selbstständiges Baden schätzten die Potentiale eines Südweststaates falsch ein. Ihre Motive entsprangen aber jener geistigen Quelle, aus der wir heute unsere ordnungspolitischen Überzeugungen schöpfen. Sich eine Verfassung zu geben, ist der fundamentalste Akt kollektiver Selbstbestimmung. Das galt natürlich speziell nach dem Ende der Nazi-Despotie. In Südbaden und ebenso in Württemberg-Hohenzollern wurden mit Leidenschaft und Entschiedenheit wegweisende und wehrhafte Verfassungen erarbeitet. Württemberg-Hohenzollern erklärte sich in seiner Verfassung zum „freien Volksstaat“ und zugleich zum Glied der deutschen Bundesrepublik. Württemberg-Hohenzollern war einer der notwendigen Transformatoren für jenes Verfassungsverständnis, das in unserem Grundgesetz zum Wesenskern des freiheitlichen, föderalen Rechts- und Sozialstaat geworden ist. Ja, Geburtstage sind das Echo der Zeit. Und am 25. April hören wir Baden-Württemberger seit Jahrzehnten vor allem eines: dass die Gründung des Landes 1952 ein kluger und fruchtbarer Entschluss gewesen ist. Uns glückte, was andernorts versandete. Wir können vorbehaltlos dafür werben, das „Modell deutscher Möglichkeiten“ nachzuahmen. Das Erreichte darf uns beileibe freuen. Zumal das sorgsame Einebnen des Stadt-Land-Gefälles in einer Bilanz ganz oben steht. Die intensive Auseinandersetzung um den Südweststaat bewirkte ein feines Gespür für eine substanziell ausgewogene Landesentwicklung: Chancengleichheit wurde hergestellt, ohne die kulturelle Vielfalt auszuwaschen. Diese Sensibilität müssen wir bewahren mit Blick auf die strukturpolitischen Herausforderungen, die uns der demografische Wandel aufzwingt. Vor 55 Jahren hatte Baden-Württemberg 6 Millionen Einwohner; heute sind es 11 Millionen. Die Zuwanderung spiegelt den ökonomischen Erfolg wider. Angesichts der Globalisierung ist dieser Erfolg eine besondere Verpflichtung: Er verpflichtet, ambitioniert zu investieren in Bildung und Betreuung, in Forschung und Wissenstransfer. Leistungswille, Qualitätsstreben, Technikfreundlichkeit – unsere traditionellen Stärken sind erwiesenermaßen Trümpfe im weltumspannenden Wettbewerb. Wuchern wir mit diesen Pfunden! Dann bleibt die Zukunft unsere Freundin. Auch politisch! Die Globalisierung nagt zwar am Primat der Politik, weil sie die klassischen Grenzen relativiert. Doch Globalisierung bedeutet nicht zuletzt: Konkurrenz der Standorte. Und bei Investitionsentscheidungen werden das Funktionieren der Institutionen und die Güte des staatlichen Handelns zunehmend wieder mit ihrem wahren Wert gewichtet. Lassen Sie uns deshalb hier im Landtag weiterhin kompetent und passioniert beraten, wie Baden-Württemberg die Chancen des 21. Jahrhunderts optimal nutzen kann.