Landtagspräsidentin Aras: Lebendige Erinnerungskultur ist eine Zukunftschance
Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Freitag, 27. Januar 2017, mit einer zentralen Gedenkfeier im Haus des Landtags in Stuttgart an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus könne eine Chance für Politik und Zivilgesellschaft sein. Diese wahrzunehmen sei notwendige Zukunftsgestaltung, betonte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) in ihrer Rede. „Wir müssen uns mit Blick auf unsere Vergangenheit viel mehr als bisher und ganz entschieden mit dem Anwachsen antidemokratischer, vereinfachender Tendenzen auseinandersetzen“, hob Aras hervor.
Lange hätten Gesellschaft und Politik in der jungen Bundesrepublik geschwiegen, verdrängt und zum Teil auch verleugnet, was in den zwölf Jahren, in denen das barbarische System des Nationalsozialismus regierte, geschehen ist. Aras erinnerte daran, dass es der kürzlich verstorbene Bundespräsident Roman Herzog war, der den 27. Januar im Jahr 1996 zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt hat. „Das war ein wichtiger Schritt für die deutsche Erinnerungskultur und das Geschichtsverständnis“, so die Landtagspräsidentin. „Der 27. Januar ist der Tag, an dem wir unsere historische Verantwortung immer wieder reflektieren müssen.“
Die Landtagspräsidentin stellte die Frage, in welcher Welt wir leben wollten. „In einer, in der die einfachen und die oft herabsetzenden Antworten genügen? In einer Welt, in der anders gläubige, anders aussehende und anders lebende Menschen ausgegrenzt und diskriminiert werden? In einer Welt, in der ausgelöscht wird, was nicht gefällt? Oder in einer Welt, in der wir einander in unserer Vielfalt mit Respekt begegnen und demokratische Verfahrensweisen unsere Leitlinie darstellen?“ Während der Zeit des Nationalsozialismus seien Tausende Menschen politisch verfolgt und ermordet worden, weil sie eines für sich in Anspruch nahmen: die Meinungsfreiheit, erläuterte Aras. „Nur aus der Geschichte können wir verstehen, welch hohes Gut die Meinungsfreiheit darstellt, die uns heute so selbstverständlich erscheint.“
Seit etwa zwei Jahren greife ein Rechtspopulismus um sich, der Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Angriffe auf demokratische Institutionen und Verantwortungsträger unseres Landes befeuere. „Ich sehe es als eine persönliche Herausforderung an, dazu beizutragen, diesen Prozess aufzuhalten, die Menschen wieder zurückzuholen auf den Boden unserer freiheitlich liberalen Grundordnung.“ Das deutsche Grundgesetz, das aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus entstanden sei, sei es wert, wieder stärker in unseren Blick zu kommen. Denn dort seien Werte wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und Pluralität festgeschrieben.
Nach der Landtagspräsidentin hielt die Landessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschisten, Ilse Kestin, ein Grußwort. Im Anschluss zeigte Prof. Dr. Ulrich Herbert, vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg, Perspektiven des Widerstands auf. Abschließend war das multimediale und partizipative Jugendprojekt des Ulmer Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg zu sehen. Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkfeier von Esther Herrmann (Violine) und Benjamin Pas (Violoncello).
Der Feier ging ein stilles Gedenken voraus. Dabei legten unter anderem Vertreter des Landes und von Opferorganisationen beim Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft (zwischen dem Alten Schloss und dem Karlsplatz in Stuttgart) Kränze und Gestecke nieder.
Abschließend waren alle Besucherinnen und Besucher zu Gesprächen und Begegnungen eingeladen. Bei dieser Gelegenheit informierten Opferorganisationen an Ständen über ihre Arbeit. Des Weiteren wurde eine Ausstellung zum politischen Widerstand in der Nazi-Diktatur gezeigt.
Anlage:
Die Rede von Landtagspräsidentin Aras zum Gedenken am 27. Januar 2017(externer Link)