Landtagsvizepräsident Drexler zum 50-jährigen Bestehen des Schülerwettbewerbs:

Politisches Engagement schafft Vertrauen, stiftet Selbstsicherheit und ermutigt zu Toleranz und Integration Zweitägiges Event im Landtag schließt Jubiläumsveranstaltungen ab Stuttgart. Ein zweitägiges Event mit Begegnungen, Gesprächen, Musik und Unterhaltung beendet an diesem Wochenende den Veranstaltungsreigen zum 50-jährigen Bestehen des Schülerwettbewerbs des Landtags. Unter dem Motto „Politik erleben und vertiefen“ diskutieren über 120 Jugendliche aus Baden-Württemberg und Sachsen im Stuttgarter Landtag mit rund 30 Abgeordneten. Auf dem Programm stehen außerdem kleinere Exkursionen etwa zum SWR oder in das Müllheizkraftwerk Münster. Eröffnet wurde die Veranstaltung am heutigen Freitagmittag von Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD). Seinen Worten nach zeigen die 50 Jahre Schülerwettbewerb idealtypisch, dass politisches Engagement Vertrauen in die eigenen Begabungen schafft, Selbstsicherheit stiftet und so zu Toleranz und Integration ermutigt. Wörtlich sagte Drexler: >> „50 Jahre Schülerwettbewerb des Landtags von Baden-Württemberg“ – das führt vor Augen: Staatsbürgerliches Engagement als „Bio-Treibstoff“ der Demokratie ist im Prinzip eine regenerative Energiequelle. Für ein stetes Nachwachsen gibt es freilich keine Garantie. Man muss das Feld dafür immer wieder aufs Neue bereiten. Anders formuliert: Unseren Schülerwettbewerb schmücken zwar fünf mal zehn Jahresringe. Sein Anliegen ist trotzdem so aktuell wie bei der Premiere zu einer Zeit, als ein Bundeskanzler namens Konrad Adenauer im Zenit seines Wirkens und Ansehens stand. Und nicht nur das: Unserem Schülerwettbewerb gelingt, wovon viele träumen: Er kehrt den Alterungsprozess um. Je öfter er durchgeführt wird, je gehaltreicher und elanvoller wird er. Wir feiern einen echt flotten „Fuffziger“. Das beeindruckend vielfältige Programm dieses 24-Stunden-Jubiläums ist ein authentisches Abbild. Deshalb sage ich Ihnen allen, meine Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, ein ganz herzliches „Willkommen.“ Ich begrüße Sie mit besonderer Freude zu einer „Fünfziger-Feier“ der besonderen Art. Zugleich möchte ich Herrn Landtagspräsident Straub entschuldigen, der zu seinem Bedauern kurzfristig eine andere Verpflichtung übernehmen musste. Der Schriftsteller Heinrich Mann wurde einmal gefragt, was seiner Ansicht nach der Kern der Demokratie sei. Und er antwortete: „Die Anerkennung, dass wir, sozial genommen, alle füreinander verantwortlich sind.“ Genau diese positiv-sensible Haltung prägt die Stimmung hier im Plenarsaal des Landtags. Etwas Besseres lässt sich über die Atmosphäre in einem Parlamentsgebäude kaum sagen. Das wiederum rührt nicht zuletzt von der Altersstruktur der Gästeliste her: Der Landtag ist momentan ein Jugendhaus – ja, eigentlich Mehrgenerationenhaus! Und ich muss sicher nicht betonen, wie sehr mich dieses Prädikat freut. Jubiläen haben es an sich, dass zurückgeschaut wird. Das sollte niemand als Ritual abtun. Denn die Gegenwart im Kontext der Zeit zu sehen, hilft beim rationalen Analysieren, sicheren Beurteilen und erfolgreichen Handeln. Zumal wenn der Rückblick bestätigt: „Zukunft wird aus Ideen gemacht.“ Als Werbespruch stammt diese Erkenntnis zwar aus unseren Tagen. Unausgesprochen folgten ihm aber schon die Väter unseres Schülerwettbewerbs. Dessen Initialzündung war eine interfraktionelle Initiative der SPD, CDU, FDP/DVP sowie des Gesamtdeutschen Blocks bei der Beratung des Staatshaushaltsplans für das Jahr 1957. Wörtlich lautete der Antrag für den Einzelplan 1 Kap. 042 – Allgemeine Bewilligungen –: „Der Landtag wolle beschließen, 1. unter einem neuen Titel 607 „Schülerwettbewerb zur Förderung der politischen Bildung“ einen Betrag von 12.000 DM einzusetzen; 2. den Kulturpolitischen Ausschuss zu beauftragen, die Modalitäten eines Schülerwettbewerbs festzulegen und dabei beachten, dass die Schüler und Schülerinnen der Höheren und der Berufsschulen in allen Landesteilen angemessen beteiligt werden.“ Dieser Antrag wurde am 6. März 1957 einstimmig angenommen und zügig umgesetzt: Der erste Wettbewerb fand noch im selben Jahr mit 554 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Die Beschränkung auf „Schüler und Schülerinnen der Höheren und der Berufsschulen“ irritiert uns heutzutage. Dahinter stand freilich das Ziel, über den Wettbewerb Talente für eine noch zu gründende politische Akademie zu finden. Unter dieser Prämisse war der Ansatz nicht völlig falsch; seine Tragfähigkeit erwies sich jedoch rasch als begrenzt. Hinzu kam, dass auch an unserem Schülerwettbewerb vieles von dem rüttelte, was wir mit der Jahreszahl 1968 assoziieren. So paradox es klingt: Das Anti-Autoritäre dominierte nahezu kategorisch. Alles Institutionelle wurde als Inkarnation politischer Verkrustungen vom aufbegehrenden Zeitgeist geringgeschätzt. Unser Schülerwettbewerb kam in die Krise - bilanzierend betrachtet jedoch in eine letztlich segensreiche Krise. Zweierlei brachte die Wende in den Siebzigerjahren: • ein neues Konzept • und die Übertragung des operativen Geschäfts auf die damals frisch gegründete „Landeszentrale für politische Bildung“. Das Einbeziehen aller Schularten, neue „Wettbewerbsdisziplinen“, begleitende und vertiefende Seminarangebote und – ganz wichtig – eine permanente Werbung führten den Schülerwettbewerb aus dem dunklen Tal auf sonnige Höhen. So waren anfangs nur Aufsätze als Beiträge zugelassen. Inzwischen können Plakate gestaltet, Video- oder Tonreportagen zusammengestellt oder Umfragen erhoben werden. Möglich sind zudem • literarische Formen wie Kurzgeschichten und Gedichte, • ebenso Erörterungen, Kommentare oder Karikaturauswertungen • und – selbstverständlich möchte man sagen - das Herstellen von Internetseiten. Auch unser Schülerwettbewerb bestätigt die beiden Lebenserfahrungen: • Vielfalt macht stark! • Und: Spitzenleistungen brauchen ein breites Fundament. Mit der Einführung des Förderpreises – gleichsam als Goldmedaille – konnte vor zwanzig Jahren der ursprüngliche Ansatz revitalisiert werden – nämlich: politische Talente zu identifizieren und zu motivieren. Längst ist unser Schülerwettbewerb eine Premium-Marke. Ein Mercedes der politischen Bildung! Zwischen 2.500 und 3.100 Schülerinnen und Schüler beteiligen sich alljährlich. Top-Jahrgänge bringen es sogar auf mehr als 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Ausschreibung richtet sich an die 9. bis 13. Klasse aller Schularten, also auch an die 9. Klassen der Hauptschulen, der Sonderschulen und der Förderschulen. Im vergangenen Jahr konnten wir den 100.000 „Politik-Athleten“ zählen und – wie ich hoffe – gebührend ehren. Durchschnittlich werden rund 60 Prozent der eingesandten Arbeiten prämiert. Und die Jury urteilt nicht zu milde: Was vorgelegt wird, ist tatsächlich so originell und pfiffig, so tiefschürfend und aussagekräftig – und damit so preiswürdig. Belohnt wird die Freude am Fragen, Feilen und Fantasie entwickeln. Wir allen können daher von unserem Schülerwettbewerb lernen: Wo keine Fragen gestellt werden, entsteht nichts Neues. Wer auf Fragen verzichtet, der entscheidet sich für den Stillstand und gegen Innovationen. Der erwähnte Förderpreis ist inzwischen 70 Mal vergeben worden – öfter an weibliche Champions als an männliche übrigens. In unserer Mitte sind etliche dieser „Olympiasieger“ unterschiedlichen Alters, die ich mit respektvollen „Chapeau“ herzlich begrüße. Der Kontakt blieb bestehen – ungeachtet aller Flexibilität und Mobilität, die das Leben in der globalisierten Welt verlangt. Und das sagt mehr über den Charakter unseres Schülerwettbewerbs aus, als es das bunteste Plakat oder attraktivste Werbeprospekt je könnte. Apropos Werbung: Der Slogan unseres Schülerwettbewerbs „Komm raus – mach mit“ trotzt seit 25 Jahren allen sprachlichen Ausschweifungen, die kurzfristig als „cool“ oder gar als „geil“ gelten. Und unser „Mercedes-Stern“ ist genauso lange eine – grafisch immer wieder klug verjüngte – Schnecke, die sich nicht in ihrem Haus verkriecht, sondern mitmacht! Spitzenprodukte können sich eben Kontinuität leisten. In aller Bescheidenheit: Bei unserem Schülerwettbewerb stimmen Geist, Inhalt und Verpackung. Deshalb konnten wir ihn – beziehungsweise die Blaupause dafür - 1991 guten Gewissens in unser Partnerland Sachsen exportieren. Der sächsische Schülerwettbewerb brauchte nicht lange, um auf eigenen Beinen zu stehen und mit diesen Beinen individuelle Wege zu gehen. Gleichwohl ist die Verbundenheit der „Brüder im Geiste“ nicht erodiert. Schön, dass rund 20 Preisträger des sächsischen Schülerwettbewerbs unter uns sind, um mit uns zu diskutieren und um mit uns zu feiern. Mit einem für Stuttgart typischen „Grüß Gott“ heiße ich unsere Gäste aus Sachsen herzlich willkommen. Politische Bildung ist keine sofort wirkende Pille. Was wir „staatsbürgerliches Engagement“ und „politische Kultur“ nennen, kann nur mit langem Atem positiv beeinflusst werden. Symbolische Schnellschüsse oder presseträchtige Eintagsfliegen sind bequem. Sie taugen aber nichts. Gefordert ist – wie erwähnt - die Berufsauffassung eines Gärtners, der in Jahreszyklen denkt und bei dem die Aussaat vor der Ernte kommt. Denn auch da beginnt Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Deshalb sollten wir zugeben: Die Diskussion über die Gründe für die Distanz der Jugend zur Politik ist viel zu lange einseitig und folglich falsch geführt worden. Die Ursache für die Gleichgültigkeit der Jugendlichen suchte man vor allem bei den Jugendlichen. Die Rede war von einer unpolitischen „Null-Bock-Generation“. Jugendliche seien auf eine individualistische und lustbetonte Lebensgestaltung fixiert. „50 Jahre Schülerwettbewerb des Landtags von Baden-Württemberg“ zeichnen indes ein anderes, ein differenziertes Bild. Wir haben erfahren: Jugendliche interessieren sich für Politik, wenn die Politik ernsthaftes Interesse an ihnen bekundet. Unser Schülerwettbewerb schreibt uns Politikern die Mahnung ins imaginäre Stammbuch: Von nichts kommt nichts! Jugendliche erwarten zu Recht qualifizierte, aber nicht sterile Angebote. Das heißt: ehrlich gemeinte Einladungen, reinzuschnuppern oder sich einzubringen – und zwar mit den Eigenschaften, die das Jungsein ausmachen. Also: Kreativität satt altklugem Uniformitätszwang! Spontaneität statt ritualisierter Betriebsamkeit! Politik aktiv zu erleben, Politik anzufassen und – buchstäblich wie im übertragenen Sinn – Politik zu begreifen, das darf nicht dem Platznehmen an einem Gästetisch in einer ansonsten geschlossenen Gesellschaft ähneln. Unser Schülerwettbewerb beweist: Es geht auch anders! Resonanz findet, wer Jugendliche vernünftig anspricht und ihnen originelle Plattformen bietet. Und das Gute ist: Die Möglichkeiten dafür sind schier unbegrenzt. Mit anderen Worten: „50 Jahre Schülerwettbewerb des Landtags von Baden-Württemberg“ sind ein numerisches Ereignis, aber keine Zäsur – sofern eine Voraussetzung erfüllt bleibt: Die politischen Protagonisten und die pädagogischen Basisarbeiter, die Mentoren und die Motoren – sie alle müssen mit derselben Begeisterung weitermachen, zusätzliche Mitstreiter gewinnen und am Ende ihrer eigenen Laufbahn den notwendigen Enthusiasmus vererben. Deswegen ist das Jubiläum vor allem eines: ein Anlass, größten Dank und hoffentlich motivierende Anerkennung allen zu bekunden, die im Maschinenraum des Schülerwettbewerbs ohne Aussicht auf publizistischen Lorbeer rackern. Der erste Dank gilt den Lehrerinnen und Lehrern in den Schulen vor Ort. Sie sind die entscheidenden Transmissionsriemen, Motivationstrainer und Multiplikatoren. Der überstundenträchtige Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer für unseren Schülerwettbewerb veranschaulicht mustergültig, wie sehr es betroffen machen sollte, dass der Lehrerberuf in Deutschland so wenig Respekt genießt. Wer Lehrerinnen und Lehrer herabsetzt, stellt sich ein schlechtes Zeugnis aus: Er „outet“, dass er den Wert von Bildung nicht richtig einzuordnen weiß. Der zweite Dank gilt der „Landeszentrale für politische Bildung“. Es lässt sich kaum beschreiben, wie viel Mühe und Leidenschaft dort Jahr um Jahr in das Konzipieren, Realisieren und das fachliche Absichern unseres Wettbewerbs investiert werden. Wir wissen, was wir haben: • an Ihnen, Herr Direktor Frick, als Chef der Landeszentrale • und speziell an Ihnen, Frau Greiner, als zuständige Referatsleiterin oder genauer als treusorgende „Mutter“ des Wettbewerbs. Wenn man mit Ihnen zu tun hat, merkt man sofort: Sie erfüllen nicht nur Ihre Dienstpflichten. Sie sind mit einer idealen Mischung aus Professionalität und Passion am Werk. Und Müdigkeit scheinen Sie nicht zu kennen. Dank gebührt überdies den aktiven und den ehemaligen Mitgliedern des Beirats, von denen etliche heute unter uns sind. In Ihrem Fall muss man das Wort „Beirat“ auf der zweiten Silbe betonen. Sie sind nicht bloß dabei – Sie beeinflussen mit kompetentem Rat den Kurs unseres Wettbewerbs. Dessen Erfolg ist auch Ihr Erfolg. Stellvertretend begrüße ich die derzeitige Beiratsratsvorsitzende, meine Landtagskollegin Krueger, die das Programm heute und morgen moderieren wird. Nicht geändert hat sich in den vergangenen fünf Dekaden, dass unser Schülerwettbewerb von allen Parlamentsfraktionen vorbehaltlos getragen wird. Die Identifikation mit diesem Angebot gehört zur „eisernen Ration“ der oft zitierten Gemeinsamkeit der Demokraten. Den hohen Rang unseres Schülerwettbewerbs spiegelt auch wider, dass heute Nachmittag rund dreißig Abgeordnete – trotz der vorweihnachtlichen Terminfülle – das Erleben und Vertiefen von Politik begleiten und befruchten werden. Und unsere Festgemeinde ist somit ein höchst geeignetes Forum für einen Appell: Der Etat des Schülerwettbewerbs ist von einst 12.000 DM auf inzwischen 190.000 Euro verdreißigfacht worden. Und diese Zukunftsinvestition wurde von Kürzungen immer verschont - auch als der Landeshaushalt auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch daherkam. Das ist der Maßstab für uns, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten uns daran orientieren – selbst wenn die Steuereinnahmen wieder schlechter werden sollten. Denn „50 Jahre Schülerwettbewerb des Landtags von Baden-Württemberg“ zeigen idealtypisch: Politisches Engagement schafft Vertrauen in die eigenen Begabungen, stiftet Selbstsicherheit und ermutigt so zu Toleranz und Integration. Deswegen möchte ich schließen mit einigen Zeilen aus Erich Kästners „Fliegendem Klassenzimmer“. Zeilen, die bestens zu diesem heiteren, aber überhaupt nicht oberflächlichen Jubiläumsfest passen. Sie lauten: „Und schreibt euch hinter die Ohren, was ich jetzt sage: Mut ohne Klugheit ist Unfug; und Klugheit ohne Mut ist Quatsch! Die Weltgeschichte erkennt viele Epochen, in denen dumme Leute mutig und kluge Leute feige waren. Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt worden ist: ein Fortschritt der Menschheit.“