Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler lobt Böhmerwäldler für Verantwortungsbereitschaft, Geschlossenheit und Entschlossenheit
Es gilt das gesprochene Wort!
Stuttgart/Esslingen. Für ihre Bereitschaft, Verantwortung nicht nur für sich selbst und die eigene Familie zu übernehmen, sondern auch für die Nachbarschaft, die Gemeinde, das Land, die Nation – und das Miteinander in Europa hat Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD) den Böhmerwäldlern Anerkennung und Dank gezollt. Drexler sprach als Festredner am Sonntagvormittag, 16. September 2012, beim Landestreffen des Deutschen Böhmerwaldbundes, Landesverband Baden-Württemberg, in der Osterfeldhalle in Esslingen-Berkheim. „Bleiben Sie als Böhmerwäldler weiterhin so geschlossen und so entschlossen!“, sagte er, „und wirken Sie weiterhin als tragfähige Brücke zwischen der ‚jungen‘ europäischen Kernregion Baden-Württemberg und der ‚alten‘ europäischen Kernregion Böhmen!“
Der Landtagsvizepräsident erinnerte an die Gründung Baden-Württembergs vor 60 Jahren. Bei der vorherigen Volksabstimmung über die Schaffung des Südweststaats am 9. Dezember 1951 habe das geschlossene Ja der Vertriebenen mit den Ausschlag gegeben. Die Vertriebenen hätten nach schlimmsten Erlebnissen – gerade mal angekommen – zu den ersten „hundertprozentigen“ Baden-Württembergern gezählt.
In Anspielung auf den Ort des Landestreffens verwies Drexler auf einen „ausgeprägten, ererbten Sinn für Traditionen“ der Esslinger Bürger, die ganz bewusst ihre hergebrachte Identität pflegten. Das Gleiche gelte für die Böhmerwäldler, weshalb sich „Böhmerwäldler und Esslinger mental viel ähnlicher sind, als es ein Blick auf die Landkarte zunächst verheißt“. Die offizielle Patenschaft Esslingens für die heimatvertriebenen Menschen aus dem Kreis und der Stadt Krummau an der Moldau und die „Krummauer Heimatstube“ im Wolfstorturm bezeichnete er „als handfestes Zeugnis unseres bleibenden Respekts vor der Böhmerwäldler Kultur, als Verbeugung vor dem Lebensschicksal und der Lebensleistung der Böhmerwäldler im 20. Jahrhundert und eben als Ausdruck unserer geschichtsbewussten Seelenverwandtschaft“.
Geschichtslosigkeit sei eine Form von Gesichtslosigkeit, meinte der Landtagsvizepräsident und appellierte: „Wir brauchen eine Herkunftskultur, ein kollektives, unzweideutiges Wertschätzen dessen, was uns ausmacht!“ Die Böhmerwäldler seien idealtypische Träger und Gestalter einer richtig verstandenen und vor allem richtig praktizierten Herkunftskultur: mit ihrem Bekenntnis zur geografischen Abstammung, mit ihrer freiwilligen Selbstbindung an Werte und Grundüberzeugungen und mit ihrem festen und redlichen Willen, aus der eigenen Kultur heraus einen spezifischen Beitrag zur gedeihlichen Entwicklung des Großen und Ganzen zu leisten. „Sie wollen das kulturelle Erbe Ihrer Heimat erhalten und weitergeben, weil Sie damit Tugenden wie Tatkraft, Rechtschaffenheit, Leistungsbereitschaft, Idealismus und Religiosität verbinden“, sagte Drexler zu den Teilnehmern des Landestreffens.
Laut Drexler sind die wechselvolle Geschichte und die vielfältige Kultur Böhmens „eigentlich eine Plattform, auf der Deutsche und Tschechen als Europäer immer enger zueinander finden und sich vernetzen können“. Das bedinge freilich, dass man sich vorbehaltlos auf ein gemeinsames Geschichtsbild verständige, dass man also auch östlich der deutschen Grenze die historische Wahrheit akzeptiere und sich klar zum Rechtsgrundsatz bekenne: Ein Verbrechen bleibe ein Verbrechen, selbst wenn ihm ein anderes vorausgegangen sei. Die Vertreibung der Deutschen – zumal der Deutschböhmen und Deutschmährer – stehe in komplexen historischen Zusammenhängen. Sie sei erklärbar durch die vorangegangene nationalsozialistische Schreckensherrschaft, die besonders in Osteuropa gewütet habe, sie werde dadurch aber nicht im Geringsten entschuldigt. Drexler: „Die Vertreibung der Deutschen war ein gigantisches Unrecht an wehrlosen, persönlich unschuldigen Menschen, das in keiner Weise verharmlost werden darf.“
Heimatliebe sei für die Böhmerwäldler sowohl eine menschliche Aufgabe als auch politischer Maßstab gewesen, erklärte Drexler: „Wie kaum eine andere Volksgruppe in Europa pflegen Sie die Kultur der Verständigung. Auf diese Weise tragen Sie viel dazu bei, das Verhältnis mit Tschechien fundiert und substanziell voranzubringen.“ Das moderne Europa solle eine Gemeinschaft mit einer farbigen Vielfalt an Kultur und Volksgruppen sein, betonte er. Diese Vielfalt sei die Stärke Europas, sofern es gelinge, Einklang zu schaffen. Und dies sei eigentlich gar nicht so schwer, denn die europäischen Völker lebten bewusst oder unbewusst auf dem Fundament des christlichen Abendlandes. „Die Menschen unseres Kontinents verbindet viel mehr, als sie trennt“, hob der Landtagsvizepräsident hervor. Zu einem großen, heterogenen Gemeinwesen positiv beizutragen und doch die eigene Identität zu wahren, seien für die Böhmerwäldler schon immer gleichzeitig und widerspruchslos zu erfüllende Lebensaufgaben gewesen“, so Drexler abschließend.