Leidenschaftliches Plädoyer für die Werte und Bedeutung unseres Grundgesetzes

Stuttgart. Das Grundgesetz wird 69 Jahre alt – und der Landtag von Baden-Württemberg würdigt diesen wichtigen Tag mit einer großen Veranstaltung. Die Botschaft des Abends ist eindeutig: Die im Grundgesetz verankerten Werte und freiheitlichen Grundrechte sind so wertvoll, dass sie niemals infrage gestellt werden dürfen. „Mit dem Grundgesetz wurde eine Verfassung geschaffen, um die wir heute in vielen Teilen der Welt beneidet werden“, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) am Mittwochabend, 23. Mai 2018, dem Jahrestag der feierlichen Verkündung des Grundgesetzes, im Haus des Landtags. Der Journalist und Jurist Heribert Prantl ergänzte: „Ich wünsche mir, dass das Grundgesetz und seine Grundrechte Wegweiser sind und bleiben für alles, was dieser Staat und diese Gesellschaft machen.“ Und die Soziologin Jutta Allmendinger appellierte: „Wir brauchen Mut, auf Fremde zuzugehen.“

„Um die Werte des Grundgesetzes hochzuhalten und sich für diese Werte zu begeistern, brauchen wir den gesellschaftlichen Dialog. Diese Veranstaltung ist ein Teil davon“, betonte die Landtagspräsidentin, die die Veranstaltung mit rund 550 Gästen eröffnete. Im Anschluss hielt Prof. Dr. Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Meinung und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, einen Impulsvortrag. Bei einem von der SWR-Journalistin Nicole Köster moderierten Podiumsgespräch diskutierten Prantl und Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, über die Bedeutung und Zukunft der Verfassung.  

Aras erinnerte daran, in welcher Zeit und unter welchen Bedingungen das Grundgesetz geschaffen wurde. „Vier Jahre nach Kriegsende, nachdem eine Ideologie von Ausgrenzung, Rassismus, Entmenschlichung und Hass Europa verwüstet hatte“, so Aras. Auch Prantl wies auf die Entstehung der Verfassung vor dem Hintergrund des Naziregimes, von Hunger, Leid und Zerstörung hin: „Unter miserableren Voraussetzungen ist kaum je eine Verfassung geschrieben worden.“ Wer heute sage, die Welt sei so gefährlich, der Terrorismus so bedrohlich, man müsse deshalb die Freiheiten des Grundgesetzes einschränken, der muss sich vergegenwärtigen, in welcher Zeit und angesichts welch großer Gefahren das Grundgesetz entstanden sei. „Die Kirschen der Freiheit dürfen nicht madig gemacht werden“, mahnte Prantl mit Blick auf mögliche Einschränkungen, etwa zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung.  

Beide betonten die Bedeutung der Verfassung nicht nur für die Entwicklung der Bundesrepublik, sondern auch für die Zukunft des Landes: „Ohne dieses Grundgesetz wäre das wiedervereinigte Land nicht was, was es geworden ist: eine lebendige Demokratie, ein passabel funktionierender Rechtsstaat, ein sich mühender Sozialstaat.“ Genau diese Haltung mache das Grundgesetz so modern, ergänzte Aras: In ihm steckten die „Leitlinien, um Antworten auf die Herausforderungen einer sich schnell wandelnden Gesellschaft zu finden“. Allmendinger wie auch Prantl stellten einen Wandel in der sozialen und politischen Kommunikation fest: Prantl sprach über die „Verrohung in der öffentlichen Debatte“. „Ich habe das Gefühl, dass der Respekt in der sozialen Kommunikation verloren geht“, so Prantl. Allmendinger erklärte diese Entwicklung damit, „dass wir immer weniger wissen, was in den Köpfen der Leute vorgeht“. Die Menschen lebten in eigenen Zirkeln, man wisse relativ wenig, was Menschen mit anderen Berufen, aus anderen Ländern oder anderen Altersgruppen denken. Man grenze sich ab, was den Respekt untergrabe.

Aras betonte den Zusammenhang zwischen Grundgesetz und Zusammenhalt. „Zusammenhalt entsteht nicht, wenn man ihn in abgekapselten, homogenen Gruppen sucht. Eine solche Gesellschaft zerfällt in auseinanderdriftende Milieus, die sich wechselseitig als Bedrohung empfinden. Das Grundgesetz setze dem ein Bild des Mutes entgegen. Das macht seine Strahlkraft aus. Das ist der Grund, warum ich stolz auf dieses Grundgesetz bin“, zeigt sich die Präsidentin überzeugt. „Unsere Verfassung ist eine Herzenssache.“   

Das Grundgesetz bewegt sich in einem andauernden Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit einerseits und Bedürfnissen der Gemeinschaft andererseits: „Die Freiheit des Einzelnen endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Wo diese Grenzen verlaufen, müssen wir im Gespräch immer wieder neu vermessen“, betonte die Präsidentin. Und Prantl wies darauf hin: „Demokratie ist nicht irgendwann vom Himmel gefallen und ist dann für immer da. Demokratie muss man lernen, immer wieder. Demokratie sei „das erfolgreichste, beste und friedlichste Betriebssystem, das es für ein Land gibt“, ist sich Prantl sicher. Er wünsche unserer Verfassung neue Kraft und Stärke, sagte Prantl. „Ich wünsche mir Grundrechte, auf die sich Bürgerinnen und Bürger verlassen können, dazu Staatsgewalten, Gerichte, Parlamente und eine couragierte Gesellschaft, die diese Grundrechte verteidigen – gegen Entsolidarisierung, Ökonomisierungsexzesse und Datensammelwahn, gegen Rassisten und Ausländerhasser“, sagte der SZ-Journalist und gab den Gästen mit auf den Weg: „Beschützen und stärken wir unser Grundgesetz.“

Zu den rund 550 Gästen der Veranstaltung zählten unter anderen Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg. Darüber hinaus nahmen Abgeordnete des Landtags und des Bundestags sowie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, der Hochschulen, der Kultur, von Verbänden und vielen anderen Institutionen teil.