Lösch: Kirchen sollten prüfen, wie sie zum Gelingen des politischen Lebens in der repräsentativen Demokratie beitragen können

Stuttgart. Die Kirchen sollten immer wieder aufs Neue prüfen, wie sie zum Gelingen des politischen Lebens in der repräsentativen Demokratie beitragen können. Darauf hat Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne) in einem Grußwort im Rahmen eines Empfangs im Landtag anlässlich der Amtseinsetzung von Kirchenrat Volker Steinbrecher als Beauftragter der Evangelischen Landeskirchen bei Landtag und Landesregierung am Mittwoch, 12. Oktober 2011, hingewiesen. Lösch sprach von einem offenen, konstruktiven, aufrichtigen Verhältnis zwischen Kirchen und Staat im politischen Alltag. Im Einzelnen führte sie aus: >>Wir alle sind erleichtert, dass das „Evangelische Büro“ nicht mehr verwaist ist. Die Vakanz war sehr schmerzlich. Wegen ihres Grundes. Und: weil dem politischen Geschehen ein gewohnter und geschätzter Faktor substanziell gefehlt hat. Zudem haben wir atmosphärisch etwas vermisst – bei den ökumenischen Andachten und darüber hinaus. Salopp gesagt – und Sie, Monsignore Dr. Kaut, verstehen mich bitte richtig: Wir haben uns nur halb so gut umsorgt gefühlt. Deshalb sage ich mit größter Herzlichkeit: Willkommen, Herr Kirchenrat Steinbrecher, hier in Ihrer wohl wichtigsten neuen Wirkungsstätte! Wir freuen uns auf Sie! Im Staatsrecht wird das heutige Verhältnis zwischen Kirchen und Staat anschaulich als „verständige Kooperation“ beschrieben. Und eine Facette davon ist ein offenes, konstruktives, aufrichtiges Verhältnis im politischen Alltag. Ich weigere mich eigentlich, Menschen als „Schnittstellen“ zu bezeichnen. Bei Ihnen, Herr Kirchenrat Steinbrecher, kommt man aber fast nicht umhin. Denn eine Ihrer Hauptaufgaben ist, diese positive „Interaktion“ zwischen den Evangelischen Landeskirchen und der Landespolitik zu organisieren und zu gewährleisten. Und dabei begleiten Sie die besten Wünsche von uns allen! Ihre Funktion, Herr Kirchenrat Steinbrecher, und die Bedeutung, die ihr von uns zugemessen wird, relativieren nicht die Neutralität des Staates. Neutralität des Staates bedeutet nämlich nicht, dass die Kirchen ihren besonderen Platz im öffentlichen Raum und ihren herausgehobenen Rang als weltliche Akteure verlieren müssen. Im Gegenteil! Ein verkrampftes Verhältnis zwischen Kirchen und Politik würde unsere historischen, kulturellen und religiösen Wurzeln und damit letztlich einen Kernbestand unserer Identität zerstören. Demgemäß sollten die Kirchen ihrerseits immer wieder aufs Neue prüfen, wie sie zum Gelingen des politischen Lebens in der repräsentativen Demokratie beitragen können. So sind wir Abgeordneten auf ein Klima der gesellschaftlichen Wertschätzung angewiesen. Natürlich: Kritik an einzelnen politischen Vorhaben oder Maßnahmen ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Und Kirchen urteilen dabei anhand spezifischer Maßstäbe – namentlich anhand der christlichen Sozialethik, deren Bild vom Menschen und den Prinzipien, die sich hiervon ableiten. Ich denke aber, es liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Kirchen, dass die „Systemrelevanz“ unserer oft mühevollen parlamentarischen Arbeit von den Bürgerinnen und Bürgern richtig gesehen und gewürdigt wird. Deshalb zwei Bitten an Sie, Herr Kirchenrat Steinbrecher: • Entwickeln Sie – erstens – ein wohlwollend-gerechtes Verständnis für die Abläufe und Mechanismen unseres Tagwerks hier im Landtag und für die daraus resultierenden Verhaltensweisen, Denkraster und Emotionen beim einzelnen Abgeordneten. • Und nutzen Sie – zweitens – Ihre kommunikativen Möglichkeiten, um den grundlegenden Wert des politischen Ringens um das Wohl unseres Landes zu erhalten! Zur „Kunst“ Ihrer Funktion gehört, im parlamentarischen Alltag präsent zu sein, die Hand am Puls des landespolitischen Geschehens zu haben und uns Abgeordneten persönlich nah zu sein, aber gleichzeitig zu den vier Fraktionen eine Äquidistanz zu wahren. Ich bin schon jetzt gewiss: Ihnen wird es Mal um Mal gelingen, die praktische Bedeutung unserer christlichen Grundwerte in geeigneter Form zu konkretisieren. Das heißt: Sie werden uns Abgeordneten mit aktiver Geduld gekonnt signalisieren, dass es für uns fruchtbar ist, die Aussagen der evangelischen Kirche zu bedenken – und das unabhängig von unserer Konfession und von der Tiefe unserer religiösen Empfindungen. Die Kirchen unterziehen politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung. Sie, Herr Kirchenrat Steinbrecher, werden folglich uns gegenüber bisweilen zäh und nachdrücklich auftreten. Max Weber meinte zwar, der Widerspruch zwischen christlicher Ethik und politischer Verantwortung sei unauflöslich. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass beides, also sowohl die christliche Ethik wie auch die politische Verantwortung, die Grundlage für ein konstruktives Miteinander sind. In der Praxis kommt es darauf an, kirchliche Warnung und kirchlichen Widerspruch in eine – von allen Beteiligten gepflegte – Gesprächskultur einzubetten. Das ist seither bestens gelungen; und das wird auch künftig gelingen. Ein Angelpunkt unseres gedeihlichen Miteinanders sind die ökumenischen Andachten vor den Plenarsitzungen an Donnerstagen. Bei diesem kleinen „Frühstück für die Seele“ werden wir Sie, Herr Kirchenrat Steinbrecher, originär als Pfarrer erleben, der uns und unser Tun in der vertikalen Perspektive verortet. Und wir sind gespannt, wie Sie diese Einkehr gestalten.
Langer Rede kurzer Sinn: Helfen Sie durch Ihre Arbeit mit, trotz aller Probleme eine optimistische Grundstimmung und eine ermutigende Weltsicht in die Landespolitik und in den Landtag hineinzutragen. Gerade in diesem Sinn: Bestes Gelingen und Gottes Segen!