Muhterem Aras: „Die parlamentarische Demokratie braucht Menschen mit Mut und Überzeugungskraft“

Stuttgart. Anlässlich seines 150. Geburtstags würdigt der Landtag von Baden-Württemberg mit der Veranstaltung „Demokratie in Bewegung“ Matthias Erzbergers vielfältiges Engagement als Wegbereiter der deutschen Demokratie im Südwesten. Dafür besuchte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) am Donnerstag, 15. Mai 2025, gemeinsam mit rund 150 Bürgerinnen und Bürgern, darunter viele Schülerinnen und Schüler, wichtige Stationen seines politischen Wirkens in Biberach an der Riß. Beim abendlichen Empfang der Stadt im Rathaus erinnerte die Präsidentin an Erzbergers Wirken und zog Parallelen zur heutigen Zeit. „Heute haben wir gezeigt, dass Demokratie zwar kein Spaziergang ist, aber ein Spaziergang durchaus Demokratie sein kann“, sagte Muhterem Aras. 
 

Beginn der rund zweistündigen Veranstaltung war um 14.30 Uhr vor dem Rathaus in Biberach an der Riß auf dem nach Erzberger benannten Platz. Präsidentin Aras eröffnete die Veranstaltung: „Demokratie ist ständig in Bewegung, sie lebt von Veränderung und Dialog. Und von der Idee, dass wir es morgen besser haben können als heute“, betonte die Präsidentin.

Nach der Begrüßung führte Dr. Alfons Siegel von der Erzberger-Initiative Biberach thematisch in das Leben und politische Wirken von Matthias Erzberger ein. Danach startete der Spaziergang, vorbei am Gasthof „Grüner Baum“, wo Erzberger vermutlich seine letzte Rede hielt. Eine Gedenktafel erinnert dort heute an ihn. Zweite Station war die Stadtbierhalle, wo Schülerinnen und Schüler der Matthias-Erzberger-Schule ein Rap-Theater aufführten, das die Jugendlichen bei Projekttagen extra für die Veranstaltung geschrieben hatten. Dritte Station war der Alte Katholische Friedhof. Gunter Dahinten von der Erzberger-Initiative Biberach erinnerte an das politische Vermächtnis des im Alter von 46 Jahren ermordeten Politikers. Zum Abschluss legte Landtagspräsidentin Aras einen Kranz am Ehrengrab Erzbergers nieder.

Bei dem Spaziergang hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder Gelegenheit innezuhalten und in den Austausch zu gehen. „Auch um zu überlegen, was wir an der Demokratie heute schätzen. Vielleicht inspiriert es dazu, sich noch einmal anders für sie stark zu machen. Selbst etwas in Gang zu bringen und dadurch unsere Demokratie in neue Bewegung zu versetzen“, so Aras. Gerade in diesen turbulenten Zeiten brauche die Demokratie jede und jeden Einzelnen.

Auf der Veranstaltung am Abend begrüßte Oberbürgermeister Norbert Zeidler die Gäste: „Die Demokratie ist in Matthias Erzbergers altem Wahlkreis auch heute noch in Bewegung. Sie ist wesentlich gefestigter als zu seinen Zeiten und doch ist sie stärker angefragt als noch vor einigen Jahren“, sagte Zeidler. Er wünsche sich, dass kein Politiker in diesem Lande mehr wie Erzberger sagen muss: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen.“ Und er wünsche allen eine große Scheibe vom Mut und dem Optimismus Erzbergers.

In ihrer Rede zog Präsidentin Aras Parallelen zu Erzbergers Zeit und mahnte, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit sei und immer wieder verteidigt werden müsse. „Wenn es eine Lehre aus der Weimarer Republik und aus dem Mord an Matthias Erzberger gibt, dann diese: politische Gewalt und politischer Fanatismus müssen rechtzeitig im Keim erstickt werden“, sagte Aras. 80 Jahre nach Kriegsende gebe es heute erneut eine akute Gefahr, die es mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu bannen gelte. „Unsere Gesellschaft, unsere Demokratie, braucht Menschen, die sich demokratisch engagieren, haupt- oder ehrenamtlich“, betonte die Präsidentin. Sie bedankte sich auch bei der Stadt Biberach, die viel dafür geleistet habe, Demokratiegeschichte sichtbar zu machen. „Dass der Platz vor diesem Rathaus seit Oktober nach Matthias Erzberger benannt ist, ist ein großartiges Beispiel dafür“, so Aras.

Bürgerinnen und Bürger hatten bei der Abendveranstaltung die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Präsidentin Aras trug sich zudem ins Goldene Buch der Stadt ein und besichtigte eine Plakatausstellung von Schülerinnen und Schülern der Erzberger-Schule, die derzeit im Foyer des Rathauses gezeigt wird. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines Schulprojekts, bei dem sich die Jugendlichen mit der Frage beschäftigt haben, was Matthias Erzberger heute zum Thema Demokratie sagen würde.

Matthias Erzberger, am 20. September 1875 in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb geboren, war Publizist und Politiker. 1903 wurde er mit 28 Jahren für die Zentrumspartei im Wahlkreis Biberach-Leutkirch-Waldsee-Wangen als jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Er setzte sich in der Folgezeit insbesondere für die Interessen von katholischen Kleinbürgern, Bauern und Arbeitern aus Süd- und Südwestdeutschland ein. Als Minister und Bevollmächtigter der Reichsregierung sowie Leiter der Waffenstillstandskommission unterzeichnete er später im November 1918 das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne, das den Ersten Weltkrieg beendete. Am 26. August 1921 wurde Erzberger bei Bad Peterstal-Griesbach im Schwarzwald von rechtsextremistischen Attentätern ermordet und am 31. August 1921 in Biberach an der Riß beigesetzt.

Das Dialogformat „Demokratie in Bewegung“, diesmal in Kooperation mit der Erzberger-Initiative Biberach, führt die Landtagspräsidentin an historisch bedeutsame Orte des Landes, um mit Bürgerinnen und Bürgern über die heutigen Herausforderungen an die Demokratie ins Gespräch zu kommen. Die vorherige Veranstaltung widmete sich in Freiburg der ersten Demokratiebewegung des Südwestens, der Badischen Revolution von 1848.