Präsident Peter Straub: Abgeordnete können ihren Auftrag nur erfüllen mit dem Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger

Es gilt das gesprochene Wort!

Stuttgart. Vor zahlreichen Besucherinnen und Besuchern hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Samstagvormittag, 24. Juli 2010, in Stuttgart den inzwischen bereits zum fünften Mal veranstalteten Tag der offenen Tür im Landtag eröffnet. Die Abgeordneten könnten ihren Auftrag nur erfüllen mit dem Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger, sagte der Präsident in seiner Begrüßungsrede im Plenarsaal. Der Tag der offenen Tür solle dieses Grundvertrauen absichern und vergrößern. Wörtlich führte der Präsident aus:

>>Herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg! Wir Abgeordneten und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – wir fühlen uns heute ungefähr so wie ein Angestellter eines mittelständischen Unternehmens, der seinen Boss zu sich nach Hause eingeladen hat: Wir haben alles – hoffentlich – perfekt vorbereitet. Und wir wollen uns von unserer besten Seite zeigen. Aber wir wissen auch: Der Blick des anspruchsvollen Chefs ist unbestechlich und durchdringend. Sie, meine Damen und Herren, sind gleichsam die Arbeitgeberinnen und Arbeitergeber von uns Abgeordneten. Und deshalb begrüße ich Sie hier im Landtag von Baden-Württemberg zum „Tag der offenen Tür 2010“ mit großer Freude, mit noch größerem Respekt – und mit ein bisschen Nervosität angesichts der Frage, ob Sie einen nachhaltig guten Eindruck von uns mitnehmen werden. Der Volksmund bringt es auf den Punkt: „Die Zierde eines Hauses sind dessen Gäste.“ Und so reich geschmückt war der Landtag zum letzten Mal vor 24 Monaten: beim – Sie ahnen es – „Tag der offenen Tür 2008“. „Geschmückt“ – das klingt nach Optik und äußerer Erscheinung. Der prall gefüllte Plenarsaal schon zum Auftakt ist aber weit mehr als ein schönes Motiv für Fotografen: Er setzt ein substanzielles Zeichen. Er zeigt nämlich: Die professionellen Schwarzseher irren: Unser Land versinkt nicht in politischer Apathie. Die „res publica“ – wie die alten Römer sagten –, also die Belange unseres Gemeinwesens und die staatlichen Institutionen interessieren sehr wohl. Es braucht bloß Impulse und Kristallisationspunkte wie eben einen „Tag der offenen Tür“, damit dieses Interesse sichtbar wird. Sie, meine Damen und Herren, murren nicht fälschlicherweise über die Kluft zwischen Bürgern und Politikern. Sie haben Lust zu einer Exkursion in die Gefilde der Landespolitik. Und Sie nehmen sich am letzten Samstag vor den Sommerferien die Zeit dazu. Durch Ihre Aufgeschlossenheit anerkennen Sie: Demokratie und Föderalismus sind in der Praxis komplizierte, anstrengende Mechanismen – oft aufreibend, gelegentlich ärgerlich oder sogar irritierend; gerade deshalb auch spannend. Selbstverständlich nicht spannend wie ein Boxkampf, sondern eher wie ein Schachspiel. Ja, vielleicht gehen Sie noch einen Schritt weiter und bekunden mit mir: Demokratie und Föderalismus sind Ausdruck einer zupackenden, selbstbewussten Lebenseinstellung. Und genau das soll bei unserem „Tag der offenen Tür“ durchgängig rüberkommen: – Erstens dort, wo wir Ihnen, meine Damen und Herren, detaillierte Sachinformationen und konkrete Einblicke in das Räderwerk des Parlamentsalltags bieten – namentlich an den „Informations-Tankstellen“ und bei den Führungen durch das Haus des Landtags und das Haus der Abgeordneten. – Zweitens bei den diversen Gesprächsrunden, bei denen auch aus dem Innersten der schwarzen, roten, grünen und gelb-blauen Nähkästchen geplaudert werden soll. – Und drittens dadurch, dass unsere „Agenda“ viel Unterhaltsames, Humorvolles und Spielerisches enthält und so die menschliche Seite der Politik beleuchtet. „Menschlich“ ist im Übrigen ein wichtiges Stichwort. Vor Jahren gab es eine Broschüre des Landtags mit dem Titel „Politik von Menschen für Menschen“. Und diese Selbstcharakterisierung ist immer noch aktuell. Denn „Politik von Menschen für Menschen“ beschreibt den Wesenskern der parlamentarischen Demokratie. Und die parlamentarische Demokratie wird das Primäre bleiben, auch wenn wir in diesen Tagen viel diskutieren über mehr direkte Demokratie – sprich über die Bedeutung von Volksentscheiden auf Bundes- und Länderebene. Ich sehe Volksentscheide – gelinde gesprochen – differenziert. Aus mindestens drei Gründen: Das eine sind die Zahlen. Nehmen wir Bayern: Die Mehrheit stimmte für das strikte Rauchverbot. Aber diese Mehrheit bestand nur aus 23 Prozent der Wahlberechtigten. Ähnlich das Ergebnis vergangene Woche in Hamburg beim Volksentscheid gegen die sechsjährige Grundschule. Das andere ist die Erfahrung, dass Volksentscheide bisweilen von Gruppen betrieben werden, die finanziell betucht sind, Profis aus der Werbebranche hinter sich haben und deswegen ein Thema hochkochen können. Das Gravierendste ist aber die Tatsache, dass sich viele Fragen nicht mit einem Ja oder Nein beantworten lassen. Demokratie lebt auch von mühevoll erarbeiteten, akribisch ausformulierten Kompromissen. Die Werkstätten dafür sind die Parlamente. Und wir – die Abgeordneten – sind in Ihrem Auftrag, meine Damen und Herren, die Belegschaft. Das wiederum heißt: Wir Politiker dürfen uns nicht mächtiger geben, als wir tatsächlich sind. Andererseits sollte kein Bürger glauben, Politiker könnten Wunder vollbringen, wenn man sie nur intensiv genug beschimpfe. Demokratische Lösungen sind nicht im Hauruckverfahren zu erreichen – schon gar nicht in unserer komplexen, oft widersprüchlichen Zeit. Wir haben es meist mit gordischen Knoten zu tun aus unterschiedlichen Forderungen, Überzeugungen und Besitzständen. Und die Demokratie kennt – anders als in der antiken griechischen Legende – kein Schwert, um solche Knoten durchzuschlagen. Unerlässlich ist das feinmotorige, zeitaufwändige Nesteln. Wir Abgeordneten können deshalb unseren Auftrag nur erfüllen mit dem Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger im Rücken. Unser „Tag der offenen Tür“ soll dieses Grundvertrauen absichern und vergrößern. Zumal uns bloß noch acht Monate und drei Tage von der nächsten Landtagswahl trennen. Wir befinden uns also fast schon in Sichtweite des nächsten Wahlkampfes. Und bald gilt mit besonderer Prägnanz das Bonmot über die Demokratie: „Jeder will, dass er gewählt wird und dass der andere nicht gewählt wird – weswegen man sich nicht immer gegenseitig loben kann.“ Hinter der Notwendigkeit, ja dem Zwang, sich zu unterscheiden, darf das Verbindende jedoch nicht völlig verschwinden. So betrachtet hat unser „Tag der offenen Tür“ ein wenig Symbolcharakter. Denn er ist ein echtes Gemeinschaftsprojekt. Alle, die hier im Landtag tätig sind, wollen heute zeigen, wer und was sich hinter dem Begriff „Landtag“ verbergen. Und „alle“ gilt wörtlich. Denn es wirken mit – die vier Fraktionen, bestehend aus Abgeordneten, parlamentarischen Beratern und den Mitarbeiterstäben; – daneben natürlich: die Landtagsverwaltung; – zudem das SWR-Fernsehen; – sowie der SWR-Hörfunk, der unter der Zuhörertribüne des Plenarsaals – also gegenüber von mir – links und in der Mitte Studios hat; – und schließlich die Privatsender Hitradio Antenne 1, Radio Regenbogen und Radio 7, deren Basislager das Studio ganz rechts ist. Unterm Jahr produzieren die Rundfunk- und Fernsehmacher den Rohstoff für eine demokratische Meinungsbildung: seriöse Berichte und kritische Analysen. Heute stellen sie sich partnerschaftlich in den Dienst des Landtags.
Meine Damen und Herrn, der Landtag ist bereit. Er steht Ihnen offen. Sie sind die Chefinnen und die Chefs von uns. Fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich wünsche Ihnen angenehme und vor allem aufschlussreiche Stunden im landespolitischen Mittelpunkt Baden-Württembergs!<<