Präsident Wolf: Wahres Erinnern besteht darin, die Würde jedes Einzelnen zu schützen
Stuttgart/Mannheim. Den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hat der Landtag von Baden-Württemberg am Sonntag, 27. Januar 2013, mit einer zentralen Feier in Mannheim im rem-Museum Weltkulturen begangen. Erinnern dürfe nicht nur ritualisiertes Verhalten sein, sagte Landtagspräsident Guido Wolf (CDU) in seiner Gedenkrede. Das wahre Erinnern bestehe darin, die Würde jedes Einzelnen zu schützen und jeglicher Menschenfeindlichkeit zu wehren. „Deshalb dürfen wir nicht kaltherzig wegsehen, wenn Mitmenschen diskriminiert werden, Hass geschürt wird oder Unrecht geschieht“, mahnte Wolf. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen in diesem Jahr die Opfergruppen der Sinti und Roma und der Jenischen.
„Die Bilanz der Nazi-Tyrannei ist monströs“, erklärte der Landtagspräsident. Millionen Menschen hätten ihr Leben verloren. Das in der Menschheitsgeschichte einmalige Verbrechen sei durch Inhumanität und Vernichtungswahn gekennzeichnet gewesen. Es habe praktisch kein Entkommen gegeben: Diskriminierung, Entrechtung, Zwangssterilisationen, Isolation in städtischen Zwangslagern, Deportationen in Konzentrationslager, systematische Massenerschießungen in den überfallenen Gebieten im Osten und schließlich der berüchtigte „Auschwitz-Erlass“ Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942. Allein in Folge dieses Erlasses seien 23.000 Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden, ins sogenannte „Zigeunerlager“. Die Deportierten – vom Kind bis zum Greis – seien durch Arbeit, Hunger, Erschöpfung, Krankheiten und pseudomedizinische Experimente des Menschseins beraubt worden.
Sinti und Roma habe man verächtlich und ausgrenzend als „Zigeuner“ bezeichnet und ihnen asoziales Verhalten und ausgeprägte kriminelle Neigungen unterstellt, sagte Wolf. Dieser „Alltagsrassismus“ habe den Völkermord erst möglich gemacht. Das Unrecht habe sich nach dem Krieg fortgesetzt, denn mit perfiden Begründungen seien verfolgten Sinti und Roma legitime Entschädigungen verweigert worden. Erst nach vier Jahrzehnten habe die Bundesrepublik Deutschland die Verbrechen an den Sinti und Roma offiziell als Völkermord anerkannt.
„Sinti und Roma sind ein Teil von uns!“, betonte der Landtagspräsident. Mit völlig gleichen Rechten und mit demselben Anspruch auf gleichwertige Chancen. Die Geschichte lehre, dass Vorurteile, Intoleranz und Ablehnung gerade dort gediehen, wo nicht der aufrichtige Versuch unternommen werde, sich für seine Mitmenschen zu interessieren. Das Zusammenleben in der Gesellschaft gelinge nur dann, wenn die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Kultur oder Religion miteinander ins Gespräch kämen. „Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass Landesregierung und Landesverband der Sinti und Roma an einem Abkommen arbeiten, das den Sinti und Roma bessere Möglichkeiten zur Darstellung ihrer Kultur und Geschichte ermöglicht.“
Nach den Worten Wolfs muss einerseits die Erinnerung an die Leiden der Sinti und Roma zu einem integralen Teil der Gedenkkultur gemacht und anderseits mit den Sinti und Roma die gesellschaftliche Wirklichkeit gestaltet werden. Dies umso mehr, als die Sinti und Roma die größte ethnische Minderheit in Europa seien. Es gebe aber immer noch Diskriminierung und soziale Ausgrenzung. „Europa muss hier selbstkritischer sein und entschlossener handeln, indem es seinen selbstgesetzten rechtsstaatlichen, sozialen und kulturellen Ansprüchen genügt“, forderte der Landtagspräsident.
Ausdrücklich dankte der Landtagspräsident den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Mannheim für deren Integrationsleistung. Wolf bezog sich dabei insbesondere auf spezielle Maßnahmen für Neuzuwanderer, nämlich einen Integrationsfonds und einen Informations- und Außendienst. Wolf: „Diese großartigen Integrationsleistungen Mannheims verdienen die Unterstützung durch die Landespolitik.“ Einen weiteren Dank richtete Wolf an das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. „Dieses Zentrum setzt sich in bewundernswerter Weise dafür ein, Wissenslücken zu schließen und Möglichkeiten zum Kennenlernen und Dialog zu bieten.“
Der Rede Wolfs vorausgegangen war eine Begrüßung durch den Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. Im Anschluss an Wolf sprachen Dr. Martin Salm, Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“, und Daniel Strauß, Landesvorsitzender des Verbandes Deutscher Sinti und Roma. Sodann rezitierten Schauspieler aus Zeitzeugenberichten. Bereits vor der Gedenkfeier hatten Repräsentanten des Landes, der Stadt und von Opferorganisationen in Mannheim an der Gedenktafel für die ermordeten Sinti- und Romafamilien Kränze niedergelegt.