Präsidentin Aras: „Es ist der Mut der Damaligen, der uns heute Mut macht.“

Stuttgart/Grafeneck – Die Gedenkstättenreise 2019 führte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) am 22. und 23. Juli 19 auf die Schwäbische Alb. Sie würdigt damit ehrenamtliche Gedenkarbeit, die die Willkürherrschaft, den Terror und, vor allem, die Opfer des NS-Regimes in Baden-Württemberg sichtbar macht. Fünf Erinnerungsorte standen bei dieser zweiten, in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) veranstalteten Gedenkstättenreise auf dem Programm: Grafeneck, Münsingen-Buttenhausen, Albstadt-Lautlingen, Wilflingen und Bisingen. „Die Gedenkstättenreise hat mir wieder sehr deutlich vor Augen geführt: Es gibt es viele kleine Helden des Widerstands, die Großes geleistet haben und uns zum Vorbild gereichen“, so Landtagspräsidentin Aras. „Es ist der Mut der Damaligen, der uns heute Mut macht.“

An dieses dunkle Kapitel der Geschichte könne man sich nur annähern - über Gedenkorte, über Ausstellungen, Photographien, Briefe, Tagebücher, Gegenstände aus der damaligen Zeit und natürlich über persönliche Biographien. „Die Gedenkstättenvereine mit ihren zahlreichen Ehrenamtlichen leisten großartige Arbeit im Sinne der Demokratiebildung. Dafür brauchen sie eine adäquate Ausstattung und Unterstützung“, so Aras resümierend.

Die erste Station führte nach Grafeneck, wo laut dem Leiter der Gedenkstätte, Dr. Thomas Stöckle, mit der „Aktion-T4“ das erste „staatliche arbeitsteilige Gewaltverbrechen“ stattfand – die Blaupause für den Holocaust. 10 654 körperlich behinderte und psychisch kranke Menschen wurden dort durch Täter, die aus Stuttgart und Berlin freiwillig auf die Alb kamen oder abgeordnet wurden, systematisch ermordet. „Die Gedenkstätte bringt seit 2005 durch Nennung der Namen und Lebensdaten diese Menschen ins kollektive Gedächtnis“, so Aras. Sie halte damit auch „kleine Helden“ wie Heinrich Hermann, den Leiter der Taubstummenanstalt Wilhelmsdorf hoch, die sich dem System widersetzten. „In Grafeneck spüren wir geradezu die Warnung als Handlungsaufforderung: Ohne die Beseitigung der Demokratie und den Organisationsgrad der staatlichen Behörden hätte solch arbeitsteilige Massentötung nicht stattfinden können.“

Die zweite Station war ein Personenerinnerungsort: das Matthias-Erzberger-Haus in Buttenhausen (seit 2004). Die Vita des 1921 ermordeten Zentrumspolitikers zeige, wie vielfältig die Möglichkeiten sein können, für Demokratie einzustehen, aber auch, dass Demokratie immer aufs Neue verteidigt werden müsse, so die Landtagspräsidentin.

Station 3: Gut 100 Interessierte kamen auf Einladung der Landtagpräsidentin zur Vortragsveranstaltung „Mut bewiesen. Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Zivilcourage heute“, darunter auch zwei Familienangehörige von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Franz und Berthold. Den Festvortrag hielt die Mannheimer Historikerin Prof. Dr. Angela Borgstedt, die für eine Erweiterung des Widerstandsbegriffs plädierte und das „Widerstehen auf Alltagsebene“ in den Fokus nahm: Zivilcourage und ein aufrechter Gang müsse so selbstverständlich werden wie tägliches Zähneputzen, so Dr. Borgstedt. „Widerstand beginnt auch für mich nicht erst beim aktiven Dagegenhalten, sondern immer dann, wenn Haltung zu zeigen Mut erfordert“, so Aras.

Das Ernst-Jünger-Haus in Wilflingen (Kreis Biberach) war die vierte Station, bewusst als Ort des kulturellen Gedächtnisses gewählt. 47 Jahre lang lebte der Philosoph, Autor und Ex-Soldat („In Stahlgewittern“) dort, der zunächst den Parlamentarismus anging, später allerdings eindeutig Haltung gegen den Holocaust und gegen das Naziregime einnahm. „In diesem Lebensort-Museum kommt man Jünger als ambivalenter Persönlichkeit näher“, so die Landtagspräsidentin.

Die fünfte und letzte Station war die Gedenkstätte KZ Bisingen, eine Außenstelle des KZ Natzweiler zum Zweck des Ölschiefer-Abbaus. Von insgesamt 4163 Häftlingen starben 1200  und wurden in einem Massengrad verscharrt. Seit 2003 setzte sich ein Gedenkstättenverein für einen Ort der Erinnerung ein. Aktuell wurde eine moderne, digital gestützte Ausstellung gestaltet. Die Gemeinde ist Träger und neben dem Kreis Finanzier; Verein und Jugendguides arbeiten ehrenamtlich. „Das KZ Museum Bisingen liegt mitten im Ortskern neben der Katholischen Kirche. Das ist eine starke Botschaft“, sagte Präsidentin Aras.