Pressemitteilung

Landtag von Baden-Württemberg, Referat Öffentlichkeitsarbeit Haus des Landtags, Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart Telefon (0711) 2063-269, Telefax 2063-299 E-Mail Post@Landtag-bw.de, Internet http://www.landtag-bw.de 71/2002 Freitag, 20. September Landtagspräsident Straub würdigt 20-jähriges Engagement von Ursula Späth als Schirmherrin beim AMSEL-Landesverband Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Seit nunmehr 20 Jahren engagiert sich Ursula Späth als Schirmherrin beim Landesverband Aktion Multiple Sklerose Erkrankter (AMSEL). Dieses Jubiläum hat der Verband am Freitag, 20. September 2002, im Hotel InterContinental in Stuttgart gefeiert. Die Festansprache hielt Landtagspräsident Peter Straub (CDU). Wörtlich sagte der Präsident: >>Ich freue mich, dass ich die Reihe der Jubiläumsgratulanten fortsetzen darf und dass mir dabei die Ehre zuteil wird, Ihre Verdienste, verehrte Frau Späth, im Einzelnen aufzuzeigen. Allerdings habe ich – umgangssprachlich gesagt – ein bisschen Manschetten: Denn es gehört zwar zum Tagwerk eines Landtagspräsidenten, bei allerlei Anlässen Lobreden zu halten. Dabei greift man jedoch im Laufe der Zeit immer tiefer in die Kiste mit den Superlativen und den preisenden Metaphern. Und so werden die exklusiven Prädikate rar, die man braucht, um ein - in Dauer, Intensität und materiellem wie immateriellem Erfolg – so phantastisches Engagement wie das Ihre, verehrte Frau Späth, angemessen würdigen zu können. Zur Annäherung an das Phänomen Ursula Späth bietet es sich deswegen an, eine Beobachtung des Universalgenies Johann Wolfgang von Goethe zu zitieren, die da lautet: "In jedes gute Herz ist von der Natur das Gefühl gepflanzt, dass es für sich allein nicht glücklich sein kann und sein Glück im Wohle anderer suchen muss." Das trifft sicher auch auf Sie zu, verehrte Frau Späth, denn die Fähigkeiten, die Sie in den zurückliegenden zwanzig Jahren auf so wundervolle Art bewiesen haben, waren Ihnen gewiss schon irgendwie mit in die Wiege gelegt oder in der Kindheit und Jugend vermittelt worden. Aber – und damit möchte ich, Gott bewahre, dem Genius keinesfalls widersprechen: Vieles mussten Sie entwickeln und – man darf das Wort verwenden – auch lernen. Das Entscheidende war und ist: Sie wollten und wollen stark sein für andere – und dabei sind Ihre Kräfte stetig gewachsen. Was Sie als äußerlich zierliche Person geleistet haben, die als Individuum eigentlich gar nicht im Rampenlicht stehen mag, sollte uns allen eine spezifische Ermutigung sein. Nämlich die Ermutigung, jene Potentiale, die vorhanden sein müssen, damit als notwendig Erkanntes auch tatsächlich getan wird, zu allererst dort zu suchen, wo wir sie relativ einfach finden – und dies ist: bei uns selbst! Wenn jeder an dem Platz, an den ihn das Leben gestellt hat, sich auch für andere einbringt, dann wird schon allein dadurch die Welt ein bisschen besser. Denn nicht nur Eigentum verpflichtet. Nein, auch eine herausgehobene Position, Einfluss in Wirtschaft und Gesellschaft oder öffentliches Ansehen verpflichten. Sie, verehrte Frau Späth, haben das damalige Amt Ihres Gatten und seine so faszinierend schnell gewonnene Beliebtheit im Land quasi als Startkapital genutzt, um ernst zu machen mit der sich an alle Menschen richtenden Forderung „Not sehen und handeln“. Im Grundsätzlichen sollte man freilich noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Nicht nur Eigentum, sondern auch Gesundsein verpflichtet! Wer von Krankheiten, Behinderungen, Unfällen, Schicksalsschlägen verschont bleibt, der hat eigentlich allen Grund, Verantwortung zu übernehmen. Ich meine damit die Verantwortung, die jeder einzelne übernehmen kann, ohne dass es dazu einer besonderen Ausbildung oder einer besonderen Funktion bedarf – die Verantwortung also, die sich aus dem menschlichen Zusammenleben eigentlich wie selbstverständlich ergibt. Das bedeutet zum Beispiel, nicht gleichgültig und teilnahmslos wegzuschauen wenn man erkennt, dass Hilfe gebraucht wird. Und da komme ich wieder auf Sie, verehrte Frau Späth, denn Sie verkörpern – neben vielem anderen - genau das: die Lebenseinstellung, die als Symbol nicht den Ellenbogen hat, sondern die ausgestreckte, helfende Hand. Und noch einen Gesichtspunkt möchte ich hervorheben. Sie haben die fast schon sprichwörtliche Erkenntnis „Ohne das Prinzip Hilfe hat das Prinzip Hoffung keine Chance“ in der Lebenswirklichkeit konkret gemacht und so umfassend im öffentlichen Bewusstsein Baden-Württembergs verankert. Das gilt vor besonders für den zentralen Aspekt, dass das „Prinzip Hilfe“ ein materielle – genauer gesagt: eine pekuniäre – Basis braucht. Ihr Engagement für die AMSEL, verehrte Frau Späth, steht für die Erkenntnis, dass Gemeinsinn in Form von Spenden dort entsteht, wo der Spendenempfänger ein Gesicht hat. Sie haben der AMSEL ein Gesicht – Ihr Gesicht – gegeben. Und nicht nur das: Der Gemeinsinn in Form eines kontinuierlichen Spenden- und Unterstützungsflusses bleibt am ehesten dort erhalten, wo jemand mit seinem guten Namen dafür einsteht, dass die eingegangenen Gelder mit höchster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verwendet werden. Man spendet umso lieber, je mehr man gewiss sein darf, dass der Beitrag effektiv und effizient verwendet wird, dass er ankommt und etwas bewirkt. Und deshalb würde heute etwas fehlen, wenn man es nicht als zentralen Teil Ihrer Verdienste, verehrte Frau Späth, würdigen würde: Sie haben die AMSEL zu einer "ersten Adresse" für alle werden lassen, deren Gemeinsinn größer ist als der Trieb, den Bestand des eigenen Kontos zu erhalten. Dieser Punkt ist umso wichtiger, als Aufmerksamkeit in Form pekuniärer Zuwendungen heute ein knappes, hart umkämpftes Gut geworden ist. Je mehr bürgerschaftliche Initiativen und je mehr Selbsthilfegruppen entstehen, je mehr das gesellschaftliche Engagement für gemeinnützige Zwecke vielerlei Art wächst – und das alles kann man ja nur begrüßen -, desto schwerer wird es für die einzelne Organisation Spender, Förderer und Mäzene zu erreichen. Auch bekannte, renommierte Initiativen wie die AMSEL spüren diese Erscheinung, zumal für sie leider gilt: Je länger etwas besteht, desto mehr hält man es für selbstverständlich. Und deshalb muss gerade heute an Ihrem Jubiläum und im Anblick Ihrer so eindrucksvollen Bilanz deutlich betont werden: Die AMSEL hat vieles erreicht – sie ist aber nicht am Ziel. Für die AMSEL war, ist und bleibt der Weg das Ziel – zumindest solange, wie der große wissenschaftliche Durchbruch aussteht und die MS medizinisch zwar gelindert, jedoch nicht bezwungen werden kann. Ein altes deutsches Sprichwort lautet: „So geht das in der Welt: Der eine hat den Beutel, der andere hat das Geld“. Und daran mussten Sie, verehrte Frau Späth, zumindest sinngemäß denken, als Sie im September 1982 die Schirmherrschaft für die AMSEL übernommen haben. Die AMSEL war damals bereits landesweit tätig - finanziell war sie aber - gelinde gesagt – klamm; sie benötigte innerhalb eines Vierteljahres einen sechsstelligen Betrag. Das heißt: Sie, verehrte Frau Späth, wurden in ein ziemlich kaltes Wasser geworfen. Sie erwiesen sich aber – heute sagt man – als Powerfrau. Als gleichermaßen zähe wie optimistische Powerfrau. Über 2.500 Briefe brachten Sie – alle eigenhändig unterschrieben – auf den Weg; und Sie waren sich nicht zu schade, das Frankieren und Kuvertieren selbst zu übernehmen. Bei über 120 Zeitungen erbaten Sie die Möglichkeit, kostenlos zu inserieren. Sie gründeten den „AMSEL-Förderkreis Ursula Späth“; und Ihnen gelang es, zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu gewinnen. So schafften Sie das fast Aussichtslose: Sie bewegten die Herzen und die Konten so intensiv, dass innerhalb von drei Monaten der notwendige Betrag zusammenkam. Die Stuttgarter Nachrichten schrieben damals: „Die AMSEL kann weiterfliegen“. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Der erste aus der Familie Späth, der es zum erfolgreichen Unternehmenssanierer gebracht hat, war nicht Lothar Späth in Jena, sondern Ursula Späth für die AMSEL. Und vor allem: Der als Feuerwehraktion geschaffene Förderkreis blieb erhalten; er unterstützte die Arbeit der AMSEL weiter mit erheblichen finanziellen Zuwendungen. Aus der Übernahme der Schirmherrschaft wurde schnell ein Lebensinhalt. Schon bald konnten Sie – wie Sie selbst einmal bekannt haben – nicht mehr „AMSEL-frei“ denken. Sie adoptierten geradezu die gefundene Aufgabe. Und sie wendeten für dieses – in Anführungszeichen - „Kind“ in sehr reichem Maße Ihr kostbares Gut auf: Ihre Zeit! Wichtig war Ihnen zum einen, die Öffentlichkeit über die Krankheit Multiple Sklerose – soweit wie möglich – aufzuklären, und zwar nicht nur über das Medizinische, sondern auch über die körperlichen und seelischen Nöte, die damit verbunden sind. Die Ratlosigkeit der Medizin sollte sich nicht in der Untätigkeit der Gesellschaft niederschlagen. Vor allem aber machten Sie sich auf, durch zahllose Besuche bei den Kontaktgruppen und in den MS-Pflegeheimen das Schicksal der Betroffenen kennen zu lernen. Sie sahen hautnah, wo es strukturell am meisten fehlte: zum Beispiel an Einrichtungen für die kurzzeitige Unterbringung von MS-Betroffenen oder auch an einem Sozialarbeiter, um den Ausbau der Kontaktgruppen zu ermöglichen. Und Sie erkoren es – mit einem gehörigen Maß an Pioniergeist - zum persönlichen Anliegen, die Lebenssituation für die MS-Kranken und deren Angehörigen nachhaltig zu verbessern. So beeindruckte es Sie zutiefst, dass junge MS-Betroffene in gewöhnlichen Altenheimen untergebracht werden mussten. Sie setzten sich deshalb nachdrücklich ein für die Schaffung von Wohn- und Pflegeheimgruppen, die zwar an bestehenden Einrichtungen angegliedert sind, aber doch als eigenständig wahrgenommen und empfunden werden. Und schon Ende 1983 war es soweit: In Bietigheim-Bissingen konnten Sie die – bundesweit - erste spezielle Wohn- und Pflegeheimgruppe für MS-Betroffene eröffnen. Damit ließen Sie es aber nicht bewenden. Etliche Oberbürgermeister im Land bekamen im Lauf der Zeit einen Besuch oder zumindest Post von Ihnen als Teil Ihrer – dann auch erfolgreichen – Bemühungen, weitere Einrichtungen zu schaffen. Diese Facette erwähne ich im Übrigen auch, um in unser Bewusstsein zu rufen, dass an Jubiläen naturgemäß nur die Meilensteine eines langen Weges beschrieben werden können, dass der Fortschritt in der Realität fernab der öffentlichen Wahrnehmung mühselige Kleinarbeit über längere Fristen erfordert. Öffentliche Wahrnehmung garantiert war und ist hingegen den Benefizveranstaltungen der AMSEL. Und Wohltätigkeitsevents aller Art und Größe anzustoßen, zu eröffnen oder zu moderieren, das gehörte bald zu Ihrem Tagesgeschäft, verehrte Frau Späth – ohne dass Ihre Dankbarkeit und die Herzlichkeit Ihres Auftretens abstumpften. Als herausragendes Beispiel sei hier nur das Militärkapellenkonzert „ Parade der Nationen" genannt, das dank Ihrer Initiative seit 1984 in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle stattfindet und das Jahr für Jahr 100.000 Euro für die Arbeit der AMSEL einspielt. Bereits 1985 machten Sie Ihre unverzichtbare Arbeit unumkehrbar: Durch die Gründung des „AMSEL-Förderkreises Ursula Späth-Stiftung“ erhielt die facettenreiche Arbeit des AMSEL-Landesverbandes eine langfristige Absicherung. Ihr Anliegen war, zu dokumentieren und festzuklopfen, dass der AMSEL-Landesverband für die MS-Betroffenen ein Lebensbegleiter sein soll und sein will – ein Lebensbegleiter, der über Jahrzehnte hilft. 1989 gab es den nächsten großen Sprung nach vorne: Die AMSEL wurde Mitgesellschafter der neu gestalteten Klinik für Neurologie Dietenbronn. Vorausgegangen war eine Phase, in der wir Landespolitiker – und insbesondere die damalige Sozialministerin Barbara Schäfer – Sie, verehrte Frau Späth, als höchst energische, unerschrockene und ausdauernde Streiterin für eine MS-Fachklinik erlebt hatten. Sie zeigten, dass Sie das sprichwörtliche „Bohren dicker Bretter“ bestens beherrschen – und Sie erreichten schließlich, dass für die Fachklinik für Neurologie Dietenbronn als Krankenhaus der Akutversorgung eine spezielle, an den Bedürfnissen der MS-Patienten ausgerichtete Konzeption erarbeitet wurde. Bei der Neugestaltung der Klinik setzten Sie sich für eine patientenfreundliche, behindertengerechte Ausstattung und für eine Ausweitung der Therapiebereiche ein. Die Fachklinik für Neurologie Dietenbronn genießt heute einen hervorragenden Ruf und ist eine der besten Kliniken in Deutschland. Es ist leider eine Tatsache: In den Köpfen vieler Menschen dominieren Vorurteile und Gedankenlosigkeit. Von Theodor W. Adorno stammt die Formulierung, er träume von einer Welt, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Zu Ende gedacht meint dieser kluge Satz auch, dass wir eine Rehabilitation brauchen, die Menschen nicht passiv und abhängig macht, sondern die ihre eigene Verantwortung stärkt und die so viel Selbstentfaltung wie möglich eröffnet. Deshalb haben Sie sich, verehrte Frau Späth, neben der Verbesserung der neurologischen Akutversorgung auch für den Auf- und Ausbau der stationären Rehabilitation eingesetzt. Und ich liege sicher richtig, wenn ich vermute, dass der 23. Juli 1996 ein besonderer Freudentag für Sie gewesen ist. An diesem Tag nämlich konnte durch die Eröffnung des Neurologischen Rehabilitationszentrums Quellenhof in Bad Wildbad eine gravierende Lücke in unserer Sozialinfrastruktur geschlossen werden. Der „Förderkreis Ursula Späth-Stiftung“ wirkt seither auch in dieser Einrichtung als Gesellschafter und bringt vor allem die Anliegen der MS-Kranken ein. Ihr Engagement für die AMSEL, verehrte Frau Späth, wird nicht zwanzig Jahre alt, sondern zwanzig Jahre jung. Das sieht man an der Innovationsfreude, mit der Sie mit dafür gesorgt haben, dass die AMSEL in unserem Informations- und Kommunikationszeitalter angekommen ist. Ich nenne nur ein paar Projekte aus der jüngsten Vergangenheit. Zum einen haben Sie 1999 durch einen Internationalen Workshop aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der AMSEL die europaweite, ja man kann im Grunde sagen – und Ihr Gatte hört den Begriff bekanntlich nicht ungern -, die „globale Vernetzung“ des Engagements für die MS-Betroffenen nachhaltig vertieft. Zum anderen gelang es Ihnen im gleichen Jahr, die Leserschaft der Stuttgarter Nachrichten als Spender zu gewinnen für die Beschaffung eines Info-Mobils der AMSEL und damit für das Anliegen, die AMSEL den Menschen noch näher zu bringen. Und heuer fand nicht nur der erste Aktionstag für junge MS-Erkrankte statt; darüber hinaus ging ein neuer multifunktionaler Internet-Auftritt ins Netz, der nicht bloß eine virtuelle Visitenkarte, sondern eine echte Kommunikationsplattform ist: Die Möglichkeiten des Mediums werden so genutzt, dass sie tatsächlich etwas nützen. Diesen Internet-Auftritt findet man unter www.ein-netz-gegen-die-isolation.de“. Und die Web-Adresse ist kein Gag - sie ist eine zentrale Botschaft. Diese Web-Adresse kündet nämlich - in der Sprache unseres digitalen Zeitalters - vom Kern des Selbstverständnisses der AMSEL und damit auch vom Kern des Selbstverständnisses Ihres Engagements, verehrte Frau Späth, für die AMSEL. Praktisch in keinem Interview, das Sie in den zurückliegenden zwanzig Jahren gegeben haben, und wohl auch in keiner Rede, die Sie gehalten haben, fehlte der Hinweis, dass es Ihnen nicht allein um Konzepte und das Geld für den Ausbau der Infrastruktur und der technischen Hilfen geht, sondern dass es Ihnen ebenso um den Kampf gegen die Isolation MS-Betroffener geht. Sie haben der Öffentlichkeit ins Bewusstsein gehämmert: Auch wer von der Geisel MS befallen wird, will dabeisein, mitdenken, miterleben, mitfühlen, mitreden und mithandeln. Die MS-Betroffenen und ihre Angehörigen wollen kein Mitleid - Sie wollen Chancen. Vor allem die Chance auf Selbstbestimmung und Teilhabe. Und natürlich die Chance auf jene Gemeinsamkeit, die stark macht. Was MS-Betroffene brauchen ist Aufmerksamkeit, ist Zuwendung, ist Freundschaft, ist ganz einfach Anschluss - Anschluss an unser Gemeinschaftsleben. Anschluss über die virtuelle Welt des Internets; und ganz besonders Anschluss in der wirklichen Welt unseres Alltags, zum Beispiel indem wir ihnen die Mobilität zu ersetzen suchen, die ihnen die Krankheit nimmt. Es obliegt uns allen, die wir das Glück haben, von der MS verschont zu sein, MS-Betroffene nicht ins Abseits geraten zu lassen. Unsere Kultur – Kultur als Lebensweise verstanden - muss sich darin bewähren, dass das ganze menschliche Schicksal eingemeindet bleibt - das ganze Schicksal, also auch mit seinen Tiefen und Bürden, also auch, wenn es ein so schweres Los bereithält wie die MS. Der Versuch der Gesellschaft, einfach eine Krankheit oder eine Behinderung aus dem Leben auszuklammern, erweckt nicht nur einen ganz unnatürlichen Eindruck von dem, was menschliches Leben in Wahrheit ist – er sagt viel über den Geisteszustand der Gesellschaft selbst aus. Deshalb war und ist es so wichtig, dass Sie, verehrte Frau Späth, stets auch etwas Zweites anschaulich transportiert haben und transportieren – nämlich mit wie viel Mut und mit wie viel Kraft sich die MS-Kranken gegen ihr Schicksal stemmen. Wenn nur ein Bruchteil dieser Kraft und dieses Mutes vielen vermeintlich Gesunden zu Eigen wäre, würde es uns insgesamt erheblich besser gehen. Heute ist Ihr Tag, verehrte Frau Späth. Sie stehen im Mittelpunkt, und viele haben Ihnen vieles zu danken. Wir alle denken aber auch an die 600 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, denen Sie zum motivierenden Vorbild geworden sind. Und deshalb erwähne ich gerne: Eines der besonderen Qualitätsmerkmale der AMSEL ist der Beitrag der ehrenamtlich tätigen Menschen. Dieses Engagement mit Herz und Verstand, das durch Ihr Wirken, verehrte Frau Späth, so viel Ermutigung erfahren hat und erfährt, erfüllt uns alle mit Dank und höchstem Respekt. Die Ehrenamtlichen der AMSEL widerlegen das oft vorschnell politisch instrumentalisierte Bild von der kalten Gesellschaft in Deutschland; sie beweisen, dass Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft keine vernachlässigbaren Größen sind; sie sorgen dafür, dass der Wärmestrom in unserer Gesellschaft nicht versiegt; und sie vermitteln eine Ahnung, wie zahlreich und differenziert jene Dienste sind, die in unserer Gesellschaft selbstlos geleistet werden, die aber nicht im Scheinwerferlicht der medialen Wahrnehmung stattfinden. Ihr Einsatz, verehrte Frau Späth, war nicht politisch motiviert – Ihr Einsatz war und ist jedoch nicht apolitisch. Ganz im Gegenteil. Alles, was Sie, verehrte Frau Späth, in der AMSEL und für die AMSEL geleistet haben , hat den Aspekt befördert und gefördert, dass die AMSEL und vor allem die AMSEL-Kontaktgruppen nicht Objekte, sondern Subjekte unsers Sozialstaats sind. Die AMSEL und die AMSEL-Kontaktgruppen gehören zu den Akteuren des Sozialstaates, denn sie praktizieren eine unserer grundlegenden Sozialideen: Sie verwirklichen das Subsidiaritätsprinzip! Ein wirklicher Sozialstaat ist eben mehr als eine große Transfermaschinerie. Und ein Sozialstaat wird eben nicht allein dadurch besser, dass die Gesetzbücher an Volumen zunehmen wie die Braunbären vor dem Winterschlaf. Ein Sozialstaat verdient seinen Namen erst dann, wenn das als Kraft wirksam werden kann, was in den individuellen und doch verbindenden Einzelschicksalen wurzelt. Je mehr das geschieht, desto mehr wird die Würde des Menschen gewahrt. Hinzu kommt: Die Transfermaschinerie des Sozialstaats funktioniert nicht von selbst zielgenau; und es gibt keinen „Autokorrekturmechanismus“, der notwendige Neujustierungen garantiert. Althergebrachte Besitzstände und der Hang zum Standardisieren sind beträchtliche Störgrößen. Deshalb unterstreiche ich am Beispiel der AMSEL und am Beispiel von Ihnen, verehrte Frau Späth, als deren öffentliche Fürsprecherin gerne: Die konstitutive – und damit zutiefst politische - Bedeutung des Selbsthilfegedankens anzuerkennen, heißt Selbsthilfeorganisationen als Partner des Staates, der Kommunen, der Sozialversicherungsträger in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihre spezifische Kompetenz zu nutzen. Das dient dem Gemeinwohl, das dient uns allen. Verehrte Frau Späth, von Renoir stammt der Satz: "Die größten Menschen sind bescheiden".Wer Sie und Ihr phänomenales Wirken betrachtet, bestätigt dieses Erkenntnis. Umso mehr ist mir deswegen ein Anliegen, Ihnen im Namen des Landtags von Baden-Württemberg für zwei Jahrzehnte praktizierter Menschlichkeit zu danken und Ihnen zuzurufen: Machen Sie weiter! Die AMSEL und wir allen brauchen Sie unverändert - vielleicht anders als vor zwanzig Jahren, aber keinesfalls weniger dringend.