Sozialausschuss diskutiert erneut über Maßregelvollzug

Stuttgart. Auf Antrag von SPD und FDP/DVP hat sich der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Integration in einer öffentlichen Sondersitzung am Montag, 18. Oktober 2021, erneut mit der Situation im Maßregelvollzug befasst. Die beiden Fraktionen sahen nach der vorherigen Sondersitzung, bei dem der Ausbruch von vier Patienten aus einer geschlossenen Station des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg am 22. September bereits thematisiert worden war, nicht alle Fragen beantwortet. Auch die jüngste Entweichung eines Patienten am 10. Oktober aus einer offenen Station der Weinsberger Einrichtung wurde bei der Sondersitzung am Montag angesprochen. 

Die SPD-Fraktion hielt Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) nach den Worten des Ausschussvorsitzenden Florian Wahl (SPD) in der neuerlichen Sondersitzung mangelnde Ernsthaftigkeit und eine unangemessene Kommunikation im Umgang mit den Ausbrüchen und der jüngsten Entweichung vor. So habe Lucha in der ersten Sondersitzung in flapsigem Ton erklärt, Therapie gehe vor Sicherheit. Angesprochen wurden laut Wahl von der SPD auch unterschiedliche Einschätzungen zur Gefährdungslage in Pressemitteilungen von Polizei und Ministerium unmittelbar nach dem Ausbruch am 22. September, die zur Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen hätten. Zudem habe die SPD den über soziale Medien ausgetragenen Schlagabtausch zwischen Sozialminister Lucha und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) über eine mögliche Nutzung der früheren Justizvollzugsanstalt Fauler Pelz in Heidelberg für den Maßregelvollzug kritisiert. Auch dadurch seien Menschen verunsichert worden.

Die FDP/DVP-Fraktion zeigte sich nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Wahl ebenfalls befremdet über den Schlagabtausch zweier grüner Kabinettsmitglieder in Sachen Fauler Pelz. Die Liberalen hätten zudem die Ergebnisqualität des Maßregelvollzugs thematisiert und wissen wollen, wie viele Patienten die Therapie abbrechen. Die FDP/DVP habe zudem nachgefragt, warum Insassen, deren Therapieabbruch wegen Unwillens absehbar sei, noch wochenlang in der Einrichtung bleiben statt möglichst schnell in den Strafvollzug zurückgeschickt zu werden. Dies gehöre abgestellt, so die Forderung der FDP/DVP nach Angaben des Ausschussvorsitzenden. 

Minister Lucha erklärte in der per Livestream übertragenen Sondersitzung, er habe nicht beabsichtigt, sich flapsig zu äußern. Er nehme den Maßregelvollzug sehr ernst, das gelte auch für die Sicherheit der Einrichtungen. Daran würden höchste Maßstäbe gelegt. Die Sicherheitskonzepte würden ständig überprüft, auch mit Hilfe von externen Dienstleistern. Lucha mahnte, der Ausbruch von vier Patienten am 22. September sei nicht mit der Entweichung eines Patienten am 10. Oktober aus einer offenen Station zu vergleichen. Patienten im Maßregelvollzug, denen Lockerungen zugestanden sind, unternähmen rund 200.000 Ausgänge pro Jahr. In den vergangenen Jahren habe es nie mehr als 40 Entweichungen jährlich gegeben. Ausbrüche aus geschlossenen Stationen seien äußerst selten. In Weinsberg habe es seit 2006 bis zu dem Vorfall am 22. September keinen Ausbruch gegeben.

Lucha kritisierte in diesem Zusammenhang, dass zu viele Straftäter in den Maßregelvollzug gelangen, um sich dort wegen einer Drogensucht therapieren zu lassen. Der Paragraf 64 des Strafgesetzes, der die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt regelt, setze massive Fehlanreize für kriminelle Personen. Dr. Udo Frank, Leiter des Zentralbereichs Maßregelvollzug des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg, erklärte in der Sondersitzung, es mache ihn fassungslos, dass in den Kliniken „reihenweise Leute einsitzen, die dort nicht hingehören“. Eine Abbrecherqoute von 50 Prozent belege dies. Es sei offensichtlich, dass die Aussicht, die Haftstrafe nach erfolgreicher Therapie um die Hälfe verkürzen zu können, zu dieser Situation führe. Er stimmte mit Lucha darin überein, dass der Gesetzgeber dies dringend ändern müsse.

Mit Blick auf eine mögliche Nutzung der früheren Justizvollzugsanstalt Fauler Pelz erklärte Lucha, dass er angesichts der Überbelegung in Weinsberg und in anderen Einrichtungen neue Standorte suchen müsse. Heidelberg biete sich an, da man dort schnell arbeitsfähig sein könne. Aber natürlich werde dies nur im Einvernehmen mit allen Beteiligten möglich sein.

Nach den Worten des Ausschussvorsitzenden Florian Wahl äußerten die Grünen grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit der Sondersitzung. Die Kritik am Ministerium sei überzogen angesichts der Tatsache, dass es zwischen 2006 und 2021 keinen Ausbruch in Weinsberg gegeben habe. Die Kritik sei mit Blick auf die Verunsicherung in der Bevölkerung, die sie ausgelöst habe, auch nicht verantwortungsgerecht. Lucha sagte zu, die Kommunikation etwa mit der Polizei in Gefährdungslagen künftig besser abzustimmen.